Maler Gerhard Richter: Farben tanzen im Licht

köln · "Eines Tages werden wir keine Bilder mehr brauchen, wir werden einfach glücklich sein." Das Zitat von Gerhard Richter ist über ein Vierteljahrhundert alt. Wir können uns vorstellen, wie er es sagte. Leise, zurückhaltend, freundlich. Vielleicht so irritiert und letztlich ablehnend, wie er in diesen Tagen auf den Rummel um seine Person und seinen bevorstehenden 80. Geburtstag am Donnerstag auf Fragen und Blitzlichtgewitter reagiert.

 Der Mann an der Spitze: Gerhard Richter gilt als erfolgreichster Maler der Gegenwart.

Der Mann an der Spitze: Gerhard Richter gilt als erfolgreichster Maler der Gegenwart.

Foto: ap

Seine Prophezeiung hat sich nicht wirklich erfüllt. Wie brauchen noch immer Bilder - und zwar Richter-Bilder - und wir sind glücklich mit ihnen.

Dass sich der Maler beharrlich an der Spitze der Kunstrankings hält - der Branchendienst Artnet hat für 2010 den Gesamt-Auktionsumsatz von Werken Richters mit 76,9 Millionen Dollar angegeben, mehr, als jeder andere lebende Künstler erzielte - ist keiner Marketing-Strategie geschuldet. Der Mann ist einfach gut.

Und er weiß es. Oder, um es mit einem Zitat zu sagen, das 1986 bei seiner ersten großen Retrospektive in Düsseldorf fiel: " Wenn jemand Maler werden will, soll er sich erst einmal überlegen, ob er nicht zu etwas anderem besser geeignet ist: Studienrat, Minister, Professor, Handwerker, Arbeiter, denn malen können nur wahrhaft große Menschen!"

Der gebürtige Dresdner wusste schon als 16-Jähriger, dass er Maler werden wollte. Seine Heimat lag damals in Schutt und Asche - in den frühen 60ern werden die Erinnerungen an die Stuka-Flugzeuge und den gefallenen Onkel Rudi in unscharfen Bildern wieder auftauchen.

Richter studiert Malerei an der vom Sozialistischen Realismus durchdrungenen Dresdener Kunstakademie. Seine Diplomarbeit, ein Wandgemälde mit dem Namen "Lebensfreude", ist heute leider übermalt. 1959 besucht er die documenta - für ihn der Impuls, die DDR zu verlassen.

Richter geht 1961 nach Düsseldorf ("eine hässliche Stadt"), kommt in den Kreis um Konrad Fischer, Sigmar Polke und Blinky Palermo. Der Rest ist Kunstgeschichte. Richter, Polke und andere mischen mit ihrem kapitalistischen Realismus die Szene auf, es entstehen fotorealistische, jedoch unscharfe Bilder, Amateurfotos auf der Leinwand.

Ab Ende der 60er Jahre wächst Richters Bilderspeicher aus Tausenden Fotos, der "Atlas", der gerade in Dresden ausgestellt wird. Ein faszinierender, schier unerschöpflicher Fundus, aus dem sich Richters Oeuvre speist.

Wer den "Atlas" kennt, kennt auch Richters Kompass: Der schickt den Betrachter zu grauen Wolken und Farbtafeln, lässt ihn durch Fenster und auf Meerlandschaften blicken, konfrontiert ihn mit ganz privaten, intimen Porträts und lässt ihn in den abstrakten Bildern ab Mitte der 70er Jahren erfahren, was mit Farbe, Spachtel und Rakel möglich ist. Das Ganze in einer Zeit, in der Malen als Anachronismus gilt. Aufgeladen, energiestrotzend, physisch können diese Bilder sein, sie können aber auch brüchig, verletzt wirken, wenn sich eine schrundige Farbmembran über die Leinwand spannt.

Diese Bandbreite, dieser Hang zum Perspektivwechsel hält die Richter-Gemeinde in Atem und Bewegung. Kein zeitgenössischer Maler hat - zu Lebzeiten - so heterogene Ikonen zu bieten. Der gespenstisch-faszinierende RAF-Zyklus "18. Oktober 1977" aus dem MoMA gehört ebenso dazu wie "Ema (Akt auf einer Treppe)" aus dem Kölner Museum Ludwig, oder die Kerzenbilder.

Als die Bundeskunsthalle in Bonn 1994 eine eindrucksvolle Bilanz über drei Jahrzehnte Richter-Kunst zog, man 2005 bei der großen Retrospektive in Düsseldorf die neue "Silikat"-Reihe sah, seine "Übermalten Fotografien" in Leverkusen (2008) und ein Jahr später seine Porträts in London gezeigt wurden oder im vergangenen Jahr in Hamburg die unscharfe Fotomalerei zum Thema einer spannenden Ausstellung wurde: Stets reagierte eine breite Öffentlichkeit.

Das war auch so, als der in Köln-Hahnwald lebende Maler im Allerheiligsten der Kölner aktiv wurde. Richters 19 Meter hohes, zehn Meter breites Fenster im Südquerhaus des Kölner Doms hat die Bürger 2009 aufgewühlt, wie kaum ein anderes Ereignis. An der Spitze der Kritiker stand der rheinische Oberhirte Kardinal Meisner: Das abstrakte Glasfenster passe eher in eine Moschee oder ein anderes Gebetshaus als in eine gotische Kathedrale.

Der Kölner Ehrenbürger Richter, der aus der evangelischen Kirche ausgetreten und bekennender Agnostiker ist, konterte mit einer Gegenfrage: "Aber wie sähe eine katholische Gestaltung aus, die nicht plagiatorisch die Historie beschwört und nicht kunstgewerblich ist?" Wer an einem sonnigen Tag Richters Farben im Licht tanzen sieht, ist dankbar, dass man ihn machen ließ.

Er wird weiter für Überraschungen sorgen. Jeden Morgen steht er um sechs Uhr auf, verriet er kürzlich, und arbeitet von Punkt acht Uhr bis etwa 19 Uhr im Atelier, nur unterbrochen von einem fünfzehnminütigen Mittagsschlaf. Und er geht am Nachmittag mit dem Hund: "Lust habe ich dazu nie, aber wenn ich dann im Wald bin, bin ich immer glücklich, dass ich doch gegangen bin."

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