Haus der Geschichte in Bonn Ausgezeichnet: "Unter Druck! Medien und Politik"

BONN · Vom 3. Oktober 2015 bis 17. April 2016 beleuchtet die Ausstellung "Unter Druck! Medien und Politik" die Rolle der Medien in Deutschland seit 1945. GA-Redakteur Thomas Kliemann war vor Ort.

 Menschen protestieren für die Pressefreiheit.

Menschen protestieren für die Pressefreiheit.

Foto: FISCHER/HDG

Eine bundesweit bekannte Figur wie den als "Sozialschmarotzer" beschimpften "Florida Rolf" hätte es ohne eine massive Pressekampagne wahrscheinlich nie gegeben, ähnlich wie die Figur des "Viagra Kalle", den 2003 der "Spiegel" durchs mediale Dorf trieb.

Rolf hatte gerichtlich durchgesetzt, dass ihm seine Sozialhilfe samt Miete, Kosten für Arzt und Putzfrau nach Miami überwiesen wurde. "Bild" stellte die Diagnose: "Deutschland-Allergie". Viele Medien stiegen breit in die Sozialneiddebatte ein, "Florida Rolf" machte mit, ließ sich in seinem Anwesen filmen.

Eine große Medien-Welle - dabei bekamen 2003 gerade einmal 1055 Deutsche ihre Sozialhilfe ins Ausland überwiesen. Der Druck der öffentlichen Meinung führte zu verschärften Gesetzen, "Florida Rolf" bekam keinen Scheck mehr, kehrte zurück - ohne großes Medienecho.

Das Bonner Haus der Geschichte dokumentiert diesen Fall wie viele andere in der Ausstellung "Unter Druck! Medien und Politik!" Das Motto lässt sich leicht auf die Rolle der Medien in der Gesellschaft erweitern. In einem äußerst gelungenen, sehr konzentrierten und faktenreichen Parcours werden viele Aspekte einer sehr komplexen Beziehung aufgearbeitet.

"Vierte Gewalt" im Staate

Die Presse erscheint als "vierte Gewalt" im Staate, als Wächterin und Hüterin der Grundrechte - aber sie ist auch Akteurin mit einer großen Macht. Medien können Regierungen ins Wanken, sie können Politiker zu Fall bringen und Debatten anstoßen - der "Spiegel" brachte etwa das Thema "Wandsterben" nachhaltig in die Diskussion, der "Stern" die breite Debatte um die Abtreibung.

"Unter Druck!": Das Motto ist ambivalent. Die Medien stehen unter dem Druck der Aktualität und des Marktes, und sie können Druck machen. Immer wieder standen sie aber auch selbst unter existenziellem politischen Druck. Nur wenige Jahre trennen den Ausspruch des für die Presse zuständigen NS-Propagandaministers Joseph Goebbels, "wir haben nur noch Sender des deutschen Geistes", und den Versuch des ersten deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer, 1952 ein restriktives Pressegesetz durchzusetzen.

Ausstellung: "Unter Druck! Medien und Politik"
8 Bilder

Ausstellung: "Unter Druck! Medien und Politik"

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[kein Linktext vorhanden]Was kümmerte ihn, dass ein Jahr zuvor die Pressefreiheit ("Eine Zensur findet nicht statt") im Artikel fünf des Grundgesetzes festgeschrieben worden war. Adenauers zweiter Reglementierungsversuch, ein regierungsnahes "Freies Fernsehen" gegen die "rote" ARD zu installieren, scheiterte ebenfalls. Diesmal am Widerstand der Länder. 1961 wurde das ZDF als Gegenmodell zur ARD gegründet. Den "Rotfunk" NDR hatten Ende der 70er Jahre konservative Politiker im Visier. Sie wollten die Dreiländer-Institution zerschlagen.

Breit dokumentiert die Ausstellung die durch einen Artikel über den prekären Zustand der Bundeswehr und die Verhaftung des Herausgebers Rudolf Augstein ausgelöste "Spiegel-Affäre" im Jahr 1962, die von Demonstrationen für die Pressefreiheit begleitet wurden. Sogar eine Tür aus dem Gefängnis Holstenglacis, in dem Augstein zeitweilig in U-Haft saß, wurde herbeigekarrt.

Von den Protesten gegen die Verhaftung Augsteins zu den Randalen rund um das Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke im Jahr 1968 sind in der Ausstellung nur wenige Schritte. Mit Exponaten aus dem Apo-Archiv und der Sammlung der Berliner Polizei werden die explosive Stimmung und die Rolle der "Bild"-Zeitung als Anheizerin vermittelt.

Kaum einen Aspekt ausgeblendet

Die "Springer-Presse" gerät unter Druck, 1977 bringt der Undercover-Journalist Günter Walraff alias Hans Esser Interna aus der "Bild"-Redaktion ans Licht.

"Unter Druck!" entführt den Besucher zum "Schwarzen Kanal" Karl-Eduard von Schnitzlers in der DDR und beleuchtet die Rolle des westdeutschen Privatfernsehens, man sieht den "heißen Stuhl" und ist Gast in der "Heute Show". Sabine Christiansens Kostüm ist ebenso zu sehen wie Frank Plasbergs Karteikarten.

Es gibt kaum einen Aspekt deutscher Mediengeschichte, der ausgeblendet wird. Manches fällt notgedrungen etwas knapp aus - etwa die Medienrevolution durch Internet und Soziale Medien. Dafür werden Themen wie das Ritual der Talkshow als Meinungsbildungsinstrument breiter behandelt. Wer tiefer einsteigen will, was sich generell unbedingt lohnt, wird im ausgezeichneten Katalog fündig.

.@BlackBerry von @KaiDiekmann mit #Wulff-Nachricht ist im @hdg_museen#Bonn ausgestellt. Man kann sie auch abhören. pic.twitter.com/gROP65jl5T

Maximilian Mühlens (@MMV_BN) 2. Oktober 2015Die Ausstellung spart auch fragwürdige Entwicklungen nicht aus. Hans Leyendeckers Recherchefehler im Fall Bad Kleinen und des Terroristen Wolfgang Grams ist ebenso Thema (Leyendecker meinte rückblickend: "...eine verheerende Geschichte... eigentlich hätte ich auch gefeuert werden müssen") wie die Kampagne gegen Bundespräsidenten Christian Wulff, die er selbst durch einen Anruf bei "Bild"-Chef Kai Diekmann auslöste.

Erstmals ist das Tondokument von Diekmanns Mailbox öffentlich zu hören. "Für die Bild-Zeitung gilt das Prinzip: Wer mit ihr im Aufzug nach oben fährt, der fährt auch mit ihr im Aufzug nach unten", meinte Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Springer.

Die Wulffs schwammen auf dieser Welle, Karl-Theodor zu Guttenberg nutzte den "Bild"-Aufzug, bis er mit seiner Dissertation aufflog. Auch die ist in dieser hervorragenden Ausstellung zu sehen.

Info

Haus der Geschichte; bis 17. April 2016. Di-Fr 9-19, Sa, So 10-18 Uhr. Katalog (Kerber) 29,95 Euro.

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