Klimawandel Zu spät

Der Klimawandel ist in den USA eine Brillenfrage. Schaut man durch die republikanische, so ist die globale Erwärmung eine natürliche Klimaschwankung, die nichts mit Autoverkehr, Kohlekraftwerken und schon gar nichts mit dem American Way of Life zu tun hat.

Blickt man durch die der Demokraten, so dreht die Menschheit mit ihrem weiter steigenden Treibhausgas-Ausstoß am Erd-Thermostat. "Keine Herausforderung bedroht uns und die nächste Generation mehr", sagte US-Präsident Barack Obama, als er vor Wochen seinen Energie-Aktionsplan "Clean Power" auf den Weg brachte - eine behördliche Verordnung, die (an den Republikanern vorbei) nicht durch den Kongress musste. Der Plan läuft letztlich auf die Schließung maroder und klimaschädlicher US-Kohlemeiler hinaus, und die Betreiber laufen bereits Sturm.

Bei seinem Ausflug in die Gletscherwelt Alaskas gebärdete sich Obama nun erneut als Klimaretter, der die Zeichen der Zeit und die Botschaften aus der Wissenschaft verstanden habe. Das war in seinem ersten Wahlkampf vor sieben Jahren nicht anders. Dazwischen aber gab es nur Schweigen. Kampf gegen die globale Erwärmung? Keine Spur. So läuft eben amerikanische Realpolitik.

Jetzt aber läuft Obamas Zeit als Präsident ab, und so sendet er um zwei Minuten vor zwölf noch einen letzten Impuls für die Geschichtsbücher. Ob seine "Clean-Power"-Mission Wirklichkeit oder in den Mühlen der US-Justiz zerrieben wird, wird der Präsident nur noch als gewöhnlicher Bürger erleben. Und dennoch greift die Welt seine Worte begierig auf.

Warum? Weil die Lage kaum düsterer erscheinen könnte. Der Klimawandel schreitet mit seinen extremen Witterungen und Folgen zügig fort, während die Menschheit von einem Kohlendioxid-

Rekordausstoß zum nächsten eilt. Da wirkt Obamas Last-Minute-Mission tatsächlich nur wie eine Funzel am Ende eines langen dunklen Tunnels. Ob daraus ein Scheinwerfer wird, kann die Welt bereits Anfang Dezember verfolgen, wenn der nach offizieller Lesart alles entscheidende UN-Klimagipfel in Paris stattfindet.

Es spricht nicht viel dafür, dass sich die Welt nach Jahrzehnten des Nichtstuns nun zu einem Herkulesakt aufrafft, der der Herausforderung angemessen wäre. Das Klima ist als Thema ganz einfach von der Agenda verschwunden. Es ist so, wie es immer war: Stets hält ein anderes politisches Feuer die Politik in Atem, das kurzfristig gelöscht werden muss.

Inzwischen hat sich in der Atmosphäre das zusammengebraut, was Forscher seit vielen Jahren vorhersagen. Realistisch betrachtet, kann die Welt eine Erwärmung um zwei Grad kaum mehr abwenden. Aber sie hat immer noch die Chance, allerschlimmste Szenarien zu verhindern. Das bedeutet für Obama: Er kommt zu spät. Seine Enkel werden die

Gletscher Alaskas nur noch als Eiszwerge erleben.

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