Kommentar Mindestlöhne - Kein Allheilmittel

Allheilmittel oder Teufelszeug? Am flächendeckenden Mindestlohn scheiden sich die Geister - nicht erst, seit das Thema zum Zankapfel in Wahlkampf und Sondierungsgesprächen geworden ist.

Dabei eignet sich der staatlich verordnete Stundenlohn für Schwarz-Weiß-Rhetorik denkbar schlecht. Denn gerade hier zählen Nuancen bei der Ausgestaltung mehr als ein schlichtes Dafür oder Dagegen.

In erster Linie entscheidet die Höhe des Mindestlohns über die Wirkung. Wird die Arbeit zu teuer, gehen Jobs verloren, da sich manche Arbeitgeber ihre Beschäftigten nicht mehr leisten können. Die SPD hat sich vorwiegend aus politischen Gründen an einen Stundensatz von 8,50 Euro gebunden. Ob dieser Wert auch wirtschaftlich Sinn macht, zeigt sich unter Umständen erst dann, wenn es zu spät ist. Wer Arbeitsplätze schützen will, sollte mit einem eher niedrigen Mindestlohn starten, der dann schrittweise erhöht wird. Dann dürfte sich das vermeintliche Teufelszeug als vergleichsweise harmloses Mittel erweisen.

Weiterhin ausschlaggebend ist die Interpretation des Wortes "flächendeckend". Gerade in weiten Teilen Ostdeutschlands sind Jobs knapp und die Lebenshaltungskosten eher niedrig. Dass hier für die gleiche Arbeit andere Mindestlöhne gelten sollten als etwa in einer teuren Stadt wie München, ist nicht ungerecht, sondern schlicht ökonomisch sinnvoll.

Neben den Detailregelungen bleibt die Frage: Was kann ein Mindestlohn wirklich leisten? Ein Blick auf andere Länder zeigt: Als Allheilmittel taugt er wenig. Zwar können die gesetzlichen Bestimmungen helfen, Ausbeuter-Löhne zu verhindern. Zu viele Arbeitgeber haben die Zusatzleistungen des Staates für Geringverdiener ausgenutzt, um auf Kosten der Steuerzahler an billige Arbeitskräfte zu gelangen. Diesen Missbrauch kann der Mindestlohn zumindest eindämmen.

Doch die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich wird die verordnete Lohnerhöhung nicht ansatzweise schließen können. Laut Studien arbeiten die meisten Niedriglöhner Teilzeit und werden auch weiterhin auf zusätzliche Sozialleistungen angewiesen sein. Zum anderen dürften in vielen Fällen mit dem Lohnplus auch höhere Steuern und Sozialabgaben fällig werden. Daher kann ein Mindestlohn nur seinen Sinn erfüllen, wenn er von einer Sozial- und Bildungspolitik flankiert wird, die ein menschenwürdiges Auskommen ermöglicht. Dafür ist in Deutschland immer noch der Staat zuständig, nicht der Arbeitgeber.

Die Gewerkschaften sollten die absehbare Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns allerdings als Alarmsignal erkennen. Denn er greift in die Tarifautonomie ein. Der Staat soll richten, was den Gewerkschaften in vielen Branchen nicht mehr gelingt: Die Arbeitnehmer zu organisieren und eine gerechte Entlohnung für sie auszuhandeln.

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