Kommentar Betreuungsgeld - Falsches Signal

Mit der Einigung auf das Betreuungsgeld konnte die Bundesregierung zwar ihren internen Dauerzwist zu dem Thema endlich beenden. Trotzdem hat sie sich und den Bürgern einen Bärendienst erwiesen.

Die teils hoch emotional geführte Diskussion zeigt: Es geht um mehr als die zunächst 100 Euro im Monat für Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in öffentliche Kitas schicken. Es geht um den Stellenwert von Familie und Frauen in unserer Gesellschaft und es geht auch um das politische System.

Ein Kuhhandel nach dem Motto "stimmst Du für meinen Vorschlag, stimm ich für Deinen" gehört zum deutschen Politikeralltag. Das ist für viele Bürger unverständlich genug.

Wenn aber wie beim Betreuungsgeld aus Gründen des Koalitionsdisziplin ein Gesetzentwurf durchgeboxt wird, den eine deutliche Mehrheit der Bürger, nahezu alle Experten und zahlreiche Politiker, die im Bundestag zugestimmt haben, für falsch halten, dann wächst bei den Menschen schlicht die Politikverdrossenheit.

Der Erfolg der Piraten hat bei den vergangenen Wahlen nicht zuletzt gezeigt, wie schwer sich viele Wähler mit intransparenten Entscheidungsstrukturen und strategischen Mauscheleien in der Politik tun.

Das Votum für das Betreuungsgeld zeigt außerdem, dass trotz aller anderslautenden Beteuerungen Familienpolitik weiterhin nicht ausreichend ernst genommen wird. Wer seine Kinder zu Hause erziehen möchte, kann und wird das tun - mit oder ohne Betreuungsgeld. Eltern, die weiter arbeiten wollen, finden trotz des Kita-Ausbaus heute oft keinen Betreuungsplatz.

Für sie muss es wie blanker Hohn wirken, dass ihnen der Staat ausgerechnet zu dem Datum, an dem das Recht auf eine Betreuung für Kinder im Alter unter drei Jahren in Kraft tritt, eine "Herdprämie" fürs Zu-Hause-Bleiben andient.

Die Entscheidung für das Betreuungsgeld ist auch ein falsches Signal an Frauen, die in den weit überwiegenden Familien diejenigen sind, die für die Kindererziehung ganz oder teilweise aus dem Beruf aussteigen. Einerseits verlangt der Staat von ihnen, durch rentenversicherungspflichtige Arbeit für ihr Alter vorzusorgen.

Auch Änderungen im Unterhaltsrecht haben die Hausfrauenehe zur Armutsfalle gemacht. Andererseits setzt das Betreuungsgeld Anreize, mit Kindern erst später wieder in den Beruf zurückzukehren. Das macht keinen Sinn.

Dass die Koalition ihre Familienpolitik zum Bauernopfer für CSU-Chef Horst Seehofer degradiert hat, werden die Wähler sich merken. Doch die Opposition darf sich nicht zu früh freuen: Ihre Proteste hinterlassen einen schalen Beigeschmack. Schließlich war die SPD an zwei Regierungen beteiligt, die wenig getan haben, um die Rahmenbedingungen für Familien in Deutschland etwa nach skandinavischem Vorbild zu verbessern.

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