Willenbrock

"Wenn man den Abgrund kennt, weiß man auch wieder das Schöne am Leben zu schätzen." Bernd Willenbrock sollte wissen, wovon er spricht, denn er ist einer, der es geschafft hat. Das Geschäft mit Gebrauchtwagen läuft so gut, dass er seiner Frau Susanne eine Boutique im Zentrum finanzieren kann, und für ein neues Haus reicht es auch noch.

  Axel Prahl  ist Willenbrock.

Axel Prahl ist Willenbrock.

Foto: Delphi

Für die Leistungen belohnt sich Willenbrock mit gelegentlichen außerehelichen Affären, zuletzt mit einer Professorin. Susanne duldet die Ausflüge, das Paradies auf Erden ist eben nicht perfekt. Die trügerische Sicherheit bröckelt, als die Willenbrocks eines Nachts in ihrem neuen Haus brutal überfallen werden und sich beim polizeilichen Protokoll vorschnelle Täteridentifikation leisten.

Und da ist noch Anna, die Tochter von Willenbrocks Nachtwächter, die es sich zunächst gefallen lässt, dass Willenbrock ihr schöne Augen macht. Dass der ältere Mann sich verliebt hat, ist ihr dann aber doch zu viel. Immer mehr wird Willenbrocks Selbstverständnis unterhöhlt.

Andreas Dresen hat die alltäglichen Befindlichkeiten in den neuen Bundesländern so präzise skizziert, dass Presse, Publikum und Festival-Jurys ihm gleichermaßen gewogen waren. Es spricht für den Filmautoren, dass er sich mit seinem neuen Projekt nicht nur einer ambitionierteren Bildsprache, sondern erstmalig auch mit dem zugrunde liegenden Roman von Christoph Hein der Umsetzung einer Fremdvorlage zugewandt hat.

Formal öffnen sich damit zweifellos Horizonte. Die Cinemascope-Optik von "Willenbrock" ist nach den spartanischen Digital-Video-Experimenten von "Die Polizistin" und "Halbe Treppe" ein ästhetischer Zugewinn.

Dramaturgisch hingegen hat sich Dresen gründlich verhoben. Die scheinbar spontane Zufallsbeobachtung, aus der heraus sich Charaktere und Situationen bislang so erfolgreich zum filmischen Gesamtbild fügten, bleibt hier allzu erkennbar Resultat dramatischer Planspiele. Das Unberechenbare, Irrationale der menschlichen Natur ist nicht mehr Teil eines organischen Prozesses, sondern Stilelement um seiner selbst willen. Nicht einmal Dresens Gespür für Besetzung und seine intensive Schauspielerführung können dem Film aus der Bredouille helfen.

Axel Prahl zitiert in der Hauptrolle seine Darstellung aus "Halbe Treppe", was für einen Verlierer, der sich moralisch selbst ins Abseits bugsiert hat, zu eindimensional ist, um nachhaltige Anteilnahme zu verlangen. Dagmar Manzels Professorin ist als Nebenfigur ebenso limitiert wie die studentische Femme fatale Anne Ratte-Polle. Lediglich Inka Friedrich kann als Willenbrocks Frau spannende Einblicke vermitteln, dass Geld allein nicht glücklich macht.

Das wirklich Traurige an dem Film "Willenbrock" ist es, dass das große Drama von einem, der erkennen muss, dass nicht alles nach eigener Regie laufen kann, nicht zu Herzen geht.

(Film-Kritik aus dem General-Anzeiger)

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