Rat will Abschiebehaft stoppen Die gängige Praxis für Flüchtlinge soll in Bonn beendet werden

BONN · Zigtausend Menschen werden jährlich aus Deutschland abgeschoben. Viele darunter kommen in sogenannte Abschiebehaft, also ins Gefängnis. Auch in Bonn stellt die Ausländerbehörde immer wieder beim Amtsgericht Anträge auf Abschiebehaft.

Eine Praxis, die die Ratsfraktion der Linken aus humanitären Gründen ablehnt. In der Ratssitzung am Donnerstagabend forderte sie deshalb, die Beantragung von Abschiebehaft in Bonn zu stoppen. Mit knapper Mehrheit votierte der Rat für diesen Antrag.

Nach mehrfachen, vergeblichen Versuchen, das Abstimmungsergebnis per Auszählen der erhobenen Hände zu ermitteln, ließ Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch schriftlich abstimmen. Das Ergebnis: 42 Ja- zu 40 Nein-Stimmen. Nimptsch kündigte nach der Sitzung an: "Ich werde prüfen, ob ich diesen Beschluss beanstanden muss." Denn: "Aus rechtlichen Gründen ist es der Stadt Bonn nicht möglich, grundsätzlich den Verzicht auf das gesetzliche Mittel der Abschiebungshaft zu erklären", hatte die Verwaltung zum Antrag der Linken vorher erklärt.

Claus-Ulrich Prölß vom Verein des Kölner Flüchtlingsrats, der auch in Bonn eine Beratungsstelle unterhält, ist ebenfalls skeptisch. "Ich glaube nicht, dass dieser Beschluss rechtlich Bestand haben wird. Als politische Initiative ist er aber sehr zu begrüßen. Der Beschluss wird den Druck auf das Land erhöhen", ist er überzeugt.

Den Linken gehe es nicht darum, in berechtigten Fällen, etwa bei terroristischem Hintergrund, eine Abschiebehaft zu verhindern, erklärte Linksfraktionschef Michael Faber. "Wir wollen, dass die Stadt ihre Spielräume, die sie ohne Frage hat, stärker ausnutzt", und ohne Antrag der lokalen Ausländerbehörde könne eine Haft nicht veranlasst werden. Eine Abschiebehaft für Menschen, denen keine wirklichen Straftaten, sondern allein ihr Aufenthaltsort zum Vorwurf gemacht werde, sei schon aus humanitären Gründen ein Skandal.

"Die juristische Grundlage ist in den allermeisten Fällen äußerst fragwürdig", meinte sein Fraktionskollege Holger Schmidt. Er verwies auf Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) und dessen Einschätzung, nach der in 85 bis 90 Prozent aller Fälle die Abschiebehaft einer Überprüfung durch den BGH nicht standhalte.

Als Anlass für den Antrag nannte Schmidt das Urteil des Europäischen Gerichtshof in diesem Sommer. Darin hatte die EU die deutsche Praxis zur Unterbringung von Abschiebehäftlingen zusammen mit Straftätern in gemeinsamen Haftanstalten als Verstoß gegen die europäischen Richtlinien gewertet.

Weil das Land NRW über keine den EU-Normen entsprechende Hafteinrichtung verfügt, bringt es seither Abschiebehäftlinge in einer zugelassen Haftanstalt in Berlin unter. "Auf diese Weise wird den Angehörigen und den Rechtsanwälten der Kontakt nochmals zusätzlich erschwert", sagte Schmidt. Aus Bonn sitzen derzeit zwei Flüchtlinge in Berlin im Gefängnis, bestätigte Marc Hoffmann vom städtischen Presseamt.

Zahlen und Fakten

Laut Auskunft des Kölner Flüchtlingsrates wurden 2013 insgesamt 10 198 Personen aus Deutschland abgeschoben (2012: 7 651) . Die Hauptzielstaaten waren Serbien, die Russische Föderation, Mazedonien, Kosovo und die Türkei.

Wie viele Personen in NRW abgeschoben wurden und wie viele unter ihnen in Abschiebehaft gekommen sind, war am Freitag vom NRW-Innenministerium nicht zu erfahren. Ebenso war von dort keine Stellungnahme zur rechtlichen Bewertung des Ratsbeschlusses zu erhalten. Die Bonner Ausländerbehörde hat laut Vize-Stadtsprecher Marc Hoffmann 2013 39 Anträge auf Abschiebehaft gestellt, dieses Jahr sind es bisher 28 Anträge.

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