Abschied von Hans-Dietrich Genscher „Ein wahrhaft heroischer Staatsmann“

Bonn · Die Zahl und die Namen der Trauergäste belegen, welche Lücke der Mann im gelben Pullunder hinterlässt: Die Spitzen des Staates erweisen Hans-Dietrich Genscher in Bonn die letzte Ehre.

 Trauergäste beim Staatsakt für den verstorbenen früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher im ehemaligen Plenarsaal des Bundestags in Bonn.

Trauergäste beim Staatsakt für den verstorbenen früheren Außenminister Hans-Dietrich Genscher im ehemaligen Plenarsaal des Bundestags in Bonn.

Foto: dpa

Der Sarg in der Mitte des ehemaligen Plenarsaals ist bedeckt mit der Bundesflagge. Neben dem Sarg Blumenschmuck: Ein farbenfroher Kranz der Witwe, ein herzförmiges Gesteck aus weißen Rosen von seiner Tochter. Ein schlichter Schmuck, ohne jeden Pomp. Und damit charakterlich passend für einen Mann, der um seine eigene Person auch zu Lebzeiten wenig Aufhebens machte.

Bundespräsident Joachim Gauck ist dafür an den Rhein gekommen, und seine Vorgänger Christian Wulff, Horst Köhler und Roman Herzog. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre wichtigsten Minister mitgebracht.

Unter ihnen ist natürlich auch Frank-Walter Steinmeier, der heute das Amt innehat, das Genscher 18 Jahre bekleidete: Als damals schon dienstältester Außenminister in Europa trat der FDP-Politiker 1989 auf den Balkon der deutschen Botschaft in Prag und erklärte den Flüchtlingen unten im Garten, dass ihre Ausreise in die Bundesrepublik genehmigt sei. Immer wieder ist beim Staatsakt im früheren Plenarsaal die Rede von den Verdiensten, die Genscher sich an der Seite des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl um die deutsche Einheit erwarb.

Dass Genscher eine Ikone der Bonner Republik war, bezeugen die zahlreichen damals politisch Aktiven, die ihm die letzte Ehre erweisen. Neben Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder sitzt die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, Norbert Blüm ist da, Franz Müntefering und Gerhart Baum.

Gewiss hätte ihm auch sein politischer Ziehsohn Guido Westerwelle das letzte Geleit gegeben. Aber Westerwelle war seinem Leitstern Genscher vorausgegangen, am 18. März gestorben an den Folgen seiner Krebserkrankung. Es ist Klaus Kinkel, ein anderer von Genschers politischen Enkeln und Nachfolgern als Außenminister, der daran erinnert, dass die FDP innerhalb weniger Wochen zwei ihrer über Jahrzehnte prägenden Führungspersönlichkeiten verloren hat.

Bundespräsident Joachim Gauck erinnert an den Lebensweg Genschers, die Erlebnisse des jungen Menschen, die seinen Lebensweg prägen werden. Geboren in der Weimarer Republik, eingeschult im Jahr von Hitlers Machtübernahme, Flakhelfer, Soldat im letzten Aufgebot der Wehrmacht. Genscher habe „nichts so sehr fürchten und hassen gelernt wie den Krieg“, so Gauck.

Folgerichtig habe er sich Zeit seines Lebens eingesetzt für Verständigung, sei ein „überzeugter und leidenschaftlicher Entspannungspolitiker“ geworden, der sich für Abrüstung und den Abbau von Misstrauen einsetzte, als die Welt noch in zwei sich waffenstarrend gegenüberstehenden Blöcke aufgeteilt war. Klaus Kinkel erinnert später daran, dass Genscher noch in den letzten Wochen vor seinem Tod in Sorge gewesen sei wegen der schlechten Beziehungen zu Russland und gemahnt habe, das Tor für Moskau offen zu halten.

Gauck hebt aber nicht nur die Sternstunden des Genscherismus hervor, sondern erwähnt auch die Tiefpunkte seines politischen Lebens: die „Welle von Antipathie“, die ihm entgegengeschlagen sei, als er die sozialliberale Koalition kündigte; oder die von Genscher selbst so empfundene „schwärzeste Stunde“, als 1972 – er war Innenminister – palästinensische Terroristen während der Olympischen Spiele israelische Sportler als Geiseln nahmen und sie ermordeten.

Doch statt zu verzweifeln, handelt Genscher und stellt die Anti-Terror-Einheit GSG 9 auf. „An diesem Beispiel zeigt sich, was den Minister Genscher auszeichnet: eine rasche Einsicht in das Notwendige (...) ein unaufgeregter Pragmatismus, eine entschiedene Ergebnisorientierung – und eine unbeirrbare Prinzipienfestigkeit“, so Gauck. Der Bundespräsident vergisst aber auch die Witwe nicht, Barbara Genscher, die er zum Auftakt in den Saal geführt hatte: Sie sei eine „verlässliche Stütze“ gewesen und „eine treue Partnerin: Zu seinem Lebenswerk hat auch sie ihren Teil beigetragen“.

Aus den USA ist zu Genschers Ehren James Baker angereist, 1989 bis 1992 Außenminister der Vereinigten Staaten unter Präsident George Bush und gegen skeptische Briten und Franzosen einer der wichtigsten Unterstützer der deutschen Einheit. Baker nennt Genscher einen „wahrhaft heroischen Staatsmann“, einen „Titan unter den Diplomaten Europas“, der dazu beigetragen habe, „die Welt für uns alle zu einem sicheren Ort zu machen.“ Und das, obwohl die US-Regierung anfangs Argwohn gegen Genscher hegte, ihn für zu weit links stehend hielt: „Damit lagen wir natürlich vollkommen falsch.“

Der deutsche Außenminister sei ein harter Verhandlungspartner gewesen: „Wie wir in Texas zu sagen pflegen: Er konnte zäh sein wie das Leder eines texanischen Cowboystiefels.“ Baker erzählt eine Anekdote um die deutsche Einheit: Als es darum ging, wie die Verhandlungen Deutschlands mit den vier Mächten genannt werden sollten, habe er die Kurzbezeichnung „Vier plus Zwei“ vorgeschlagen. Genscher aber habe auf „Zwei plus Vier“ bestanden, um klar zu machen, dass die beiden deutschen Staaten bei den Gesprächen das Sagen haben sollten und nicht die Weltkriegs-Alliierten.

Seine Rede schließt Baker auf Deutsch ab: „Gott segne Deutschland. Gott segne Hans-Dietrich Genscher.“ Der evangelische Theologe Friedrich Schorlemmer schließlich würdigt die besondere Beziehung Genschers zu Halle, das er als Heimatstadt empfunden habe. Im Wendejahr 1989 sei der Bonner Außenminister „ein einzigartiger Mutmacher“ für die Oppositionellen in der DDR gewesen. „Ihm war ein reiches, ein erfolgreiches Leben beschert“, so Schorlemmer.

Das ist der Ton, den das Streicherensemble der Klassischen Philharmonie Bonn aufnimmt, das den Staatsakt musikalisch begleitet. Dem lebhaften 1. Satz von Mozarts Salzburger Sinfonie folgt Beethovens Ode an die Freude, die Europahymne. Zum Abschluss stimmen die rund 900 Trauergäste die Nationalhymne an – ein stimmiger musikalischer Abschied für den, so Bundespräsident Gauck, „deutschen Patrioten und überzeugten Europäer“ Genscher.

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