Euphorie um Handball-WM THW-Sportchef Szilagyi glaubt an nachhaltigen Handball-Boom

Kiel · Die Euphorie um die Handball-WM ist riesig. Die Medien berichten nonstop, die Hallen sind voll, die TV-Zuschauerzahlen explodieren. Aber was kommt danach? Gerät der Handball wieder in Vergessenheit? THW Kiels Sportchef Szilagyi glaubt an eine nachhaltige Wirkung.

 Glaubt an einen deutschen Handball-Boom: Kiel-Manager Viktor Szilagyi.

Glaubt an einen deutschen Handball-Boom: Kiel-Manager Viktor Szilagyi.

Foto: Markus Scholz

Viktor Szilagyi ist sich sicher: Kommt Deutschland bei der Handball-WM ins Finale, wird die Begeisterung für diesen Sport hierzulande anhalten.

"Die Situation jetzt ist ganz anders als 2007", sagte der Sportliche Leiter des deutschen Rekordmeisters THW Kiel der Deutschen Presse-Agentur. Damals krönte die DHB-Auswahl das Wintermärchen mit dem WM-Titel. Die Euphorie, aus der sich eine Aufbruchstimmung entwickeln sollte, war jedoch recht schnell verflogen. Auch nach dem Gewinn des Europameister-Titels 2016 war der Handball rasch aus dem Blickfeld geraten.

"2007 gab es noch nicht den regen Austausch über Social Media. Das ist jetzt ganz anders. Die Zahlen gehen steil nach oben, viel mehr Menschen werden erfasst", erklärte der 40-jährige Szilagyi den Unterschied zu damals. Die Zuschauerzahlen in den Bundesliga-Hallen werden nach Ansicht des in Budapest geborenen Österreichers steigen.

Zudem ist er überzeugt, dass bei Kindern und Jugendlichen Interesse geweckt wurde. "Wenn sie nicht gleich zu einem Verein gehen, so werden sie doch im Schulsport fragen, ob sie Handball spielen können", vermutet der Sportchef. Er plädiert, mehr Handball-Camps für Jugendliche in den Sommerferien abzuhalten, das Scouting der Vereine zu intensivieren.

Ex-Handball-Profi und TV-Experte Stefan Kretzschmar hatte schon vor Beginn der WM gefordert: "Wir müssen das Image unserer Sportart verändern. Das heißt, wir müssen jünger werden, interessanter für die Kids. Da ist uns der Basketball voraus. Das ist die Herausforderung für die nächsten Jahre." Mit der WM scheint dies derzeit zu gelingen. "Wir sind jetzt da, wo wir hinwollten. Wir wollen den Abstand zur Lieblingssportart verkürzen", meinte DHB-Vize Bob Hanning nach dem Einzug ins Halbfinale mit Blick auf den Fußball.

Schon jetzt gibt es Anfragen von TV-Sendern, die Spieler wie Torhüter Andreas Wolff zu Talkshows einladen möchten. "Das tut dem Handball gut. Leider wird es nicht klappen, von Talkshow zu Talkshow zu ziehen. Elf Tage nach dem Finale geht die Bundesliga wieder los. Und da brauchen wir jeden Spieler", betonte Szilagyi und stöhnte zugleich: "Es geht brutal schnell zurück in den Alltag." Schon am 1. Februar steht das All-Star-Game gegen die Nationalmannschaft an.

Der Philosoph und Bestseller-Autor Wolfram Eilenberger (46) glaubt jedoch nicht an einen nachhaltigen Boom. "Man kennt diese Effekte von anderen WMs, da wird ein kurzzeitiges Hoch erzeugt, das vielleicht auch ganz kurzzeitig einen Mitgliederzuwachs erzeugt, aber die Gesamtinteressenlage ist so stark verankert, so stark verhärtet, dass man nicht annehmen kann, dass Handball jetzt einen extrem hohen Zuwachs erfahren wird", sagte Eilenberger, langjähriger Chefredakteur des "Philosophie Magazins" im Deutschlandfunk Kultur.

Der THW Kiel hat zwölf Spieler zur WM abgestellt, davon spielen in der Hauptrunde noch elf. Die Schleswig-Holsteiner sind gemeinsam mit dem FC Barcelona am stärksten von WM-Abstellungen betroffen. Mit Bangen schaut Szilagyi auf angeschlagene Spieler. Von den Kielern hatte es Steffen Weinhold aus der deutschen Mannschaft erwischt. Ein anderer ist der Kroate Domagoj Duvnjak. "Er musste in zwei Spielen an zwei Tagen fast komplett durchackern. Das ist Russisch Roulette, das ist schon an der Grenze", sagte der THW-Sportchef.

Dennoch versicherte Szilagyi: "Die Chancen, die wir durch einen tolle WM für unseren Sport haben, sind größer als mögliche negative Auswirkungen, auch wenn sich die Verletzungen in den vergangenen Tagen explosionsartig entwickelt haben." Die Emotionen, die man bei Zuschauern auslöse, "kannst du auf Clubebene nie erreichen".

Szilagyi glaubt, dass Ansehen und Glaubwürdigkeit des Handballs durch lobende Worte von Protagonisten aus anderen Sportarten deutlich gewonnen haben. "Gerade, wenn Spieler und Trainer aus der Fußball-Bundesliga Lob für Handball äußern, bewirkt das einiges."

Dass der Handball nach der WM vom öffentlich-rechtlichen wieder ins Pay-TV abwandern wird und Bundesliga wie auch Champions League mit deutlich geringeren Einschaltquoten leben müssen, beklagte Szilagyi nicht. "Der TV-Vertrag mit Sky ist ein Meilenstein, weil jedes Bundesliga-Spiel hochwertig produziert wird", sagte der Ex-Profi. "Leider wird Pay-TV in Deutschland nicht so stark angenommen wie in anderen Ländern."

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