Präsidentenwahl in Frankreich Erbitterter Kampf um die Wähler

Paris · Vor der zweiten Runde der Präsidentenwahl liegt Emmanuel Macron vor Marine Le Pen. Doch noch ist alles offen, und die Töne im Wahlkampf werden schärfer.

 Wahlkampf in Arras: Emmanuel Macron.

Wahlkampf in Arras: Emmanuel Macron.

Foto: AFP

Emmanuel Macron braucht ein wenig Zeit, um warm zu werden. Zu Beginn seines Auftritts spricht er noch zurückhaltend-ruhig, bis er allmählich feuriger wird und dann immer heftiger den Gegner anklagt. „Die Front National ist keine Partei der Patrioten, sondern der Nationalisten. Und Nationalismus, Protektionismus – das ist Krieg!“

Hier in Nordfrankreich, seiner Heimat, die so schwer gezeichnet sei von jahrhundertelangen kriegerischen Auseinandersetzungen, habe man bitter bezahlt für „Hasstiraden“ gegen andere, ruft der 39-Jährige: „Ich will etwas anderes für mein Land, aber nicht das! Nicht das!“ Mit einem zustimmenden Johlen antworten ihm die Menschen und schwenken Europa- und Frankreich-Fahnen. Die Temperatur steigt in der Halle im nordfranzösischen Arras, wo sich der unabhängige Präsidentschaftsbewerber vor 3000 Anhängern als bessere Alternative zu seiner Gegenkandidatin Marine Le Pen präsentiert.

Während sich die Rechtspopulistin im ersten Wahldurchgang in dieser einst kommunistisch geprägten Region insgesamt an die Spitze setzte, lag Macron im Städtchen Arras vor ihr. Viele hat der frühere Wirtschaftsminister überzeugt mit seiner Jugend, den Versprechen, in der Mitte zu regieren und das Land sowie die Wirtschaft von alten Blockaden zu befreien.

„Ich bin Unternehmerin und hoffe, dass Macron sein Programm umsetzen kann“, sagt Laurence Pawlak-Bonadonna, Besitzerin einer Boutique in der Innenstadt. Allerdings komme es darauf an, bei den Parlamentswahlen im Juni eine stabile Mehrheit mit Abgeordneten von links und rechts bilden zu können. Dagegen lehnt die Geschäftsfrau Le Pen ab: „Ich handle viel mit Italien, ein Austritt aus der EU oder der Eurozone wäre eine Katastrophe.“

Die 55-Jährige gehört zu denen, die sich auch für Macron entscheiden, um die EU-Feindin als Präsidentin zu verhindern. Von ihnen gibt es viele. „Mir macht sie Angst mit ihren faschistischen Reden“, sagt auch Jacqueline Dewaele, Französin mit belgischen Wurzeln. „Mein Leben lang habe ich links gewählt, aber ich fühle mich nicht als Verräterin, jetzt hinter Macron zu stehen.“

Genau diese Frage wird bei den Anhängern des Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon momentan kontrovers diskutiert: Während sich Politiker verschiedener Lager, darunter zuletzt auch der konservative Ex-Präsident Nicolas Sarkozy, für Macron ausgesprochen haben, verweigert Mélenchon eine „republikanische Front“ gegen Le Pens „nationale Front“.

Das war 2002 noch anders, als ihr Vater Jean-Marie Le Pen neben Jacques Chirac in die Stichwahl einzog: Auch dank der Stimmen von Linkswählern, die sich gegen den rechtsextremen Bewerber erhoben, triumphierte Chirac mit 82 Prozent. Doch nun lässt Mélenchon seine Mitglieder online über eine Wahl- oder Enthaltungsempfehlung abstimmen, anstatt klar Stellung zu beziehen – viele sehen darin ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.

„Ich glaube nicht, dass alles schon entschieden ist: Le Pen kann noch gewinnen“, warnt der 72-jährige Daniel Sellier, der mit seiner Frau die Wahlkampfkundgebung in Arras besucht. „Wir wohnen in einem Dorf, wo sehr viele Front National wählen. Bei uns gibt es keinen einzigen Einwanderer! Die Angst ist trotzdem da.“

Zwar sagen Umfragen dem Ex-Wirtschaftsminister am 7. Mai einen Wahlsieg mit mindestens 60 Prozent voraus; doch dass der Ausgang noch offen scheint, zeigt auch der erbitterte Wahlkampf beider Gegner. Macron stehe für „völlige Deregulierung und zügellose Globalisierung“, warnt Le Pen: „Bei ihm regiert der König Geld!“

Er wiederum nennt die 48-Jährige eine Demagogin: Noch während er vor seinem Auftritt am Mittwoch in seiner Heimatstadt Amiens mit Gewerkschaftsvertretern der Firma Whirlpool sprach, die nach Polen verlagert werden soll, fuhr sie überraschend vor dem Werkstor vor. Vor laufenden Kameras verkündete sie, dass sie „auf der Seite der Arbeiter“ stehe. Sie habe eine Viertelstunde auf dem Parkplatz verbracht, Selfies mit Fans gemacht und sei wieder abgerauscht, so Macron später: „Ihr ging es nur um die Bilder.“ Beim Namen von „Madame Le Pen“ erklingen im Publikum erboste Pfiffe. „Nein, pfeift sie nicht aus, so etwas machen wir nicht“, mahnt Macron. „Geht stattdessen in jedes Haus, in jedes Café und versucht, die Menschen zu überzeugen.“

Nicht zufällig tritt er in dieser Region auf, die einst vom Bergbau und der Textilindustrie lebte und im Zug der Deindustrialisierung verarmt ist – hier teilen besonders viele Le Pens Zorn gegen die Eliten. „Der richtige Weg ist Aus- und Weiterbildung. Ich gehe ihn mit euch gemeinsam, damit ihr einen Platz in der Gesellschaft habt“, sagt Macron, der den direkten Kontakt zu den Menschen sucht.

Zwar schwärmen viele Medien schon von einem „französischen Kennedy“ und haben den smarten Jungpolitiker mit den gut sitzenden Anzügen zu ihrem Favoriten gemacht. Doch gerade deshalb erscheint er seinen Kritikern suspekt. Sie stoßen sich an seiner Vergangenheit als Absolvent von Elitehochschulen und Investmentbanker bei der Privatbank Rothschild. „Ich finde ihn arrogant“, sagt die Friseurin Nathalie aus Arras. „Man präsentiert ihn uns so, als habe man eh keine Wahl mehr.“

Auch in seiner Geburtsstadt Amiens sprechen sich zwar viele für ihn aus – aber weil sie gegen Le Pen sind. Einen speziellen Fanclub hat er nicht. Im Tourismusbüro ist man überrascht über die Frage nach dem berühmten Sohn der Stadt: „Macron ging ja nach der Schule von hier weg, wir haben keine besondere Bindung zu ihm“, sagt ein Mitarbeiter. Ein Macron-Rundgang, wie ihn das Städtchen Tulle, wo François Hollande seine politische Karriere begann, nach dessen Wahl 2012 anbot, sei bislang nicht vorgesehen.

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