Nachruf auf früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler war ein Streiter und Schlichter

Berlin/BONN · Die Auseinandersetzung suchen und Frieden stiften: Der ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler konnte beides. Der Politiker starb am Dienstag im Alter von 87 Jahren.

 CDU-Generalsekretär Heiner Geißler 1986 in Bonn, als er die die Journalisten mit einer Auftaktkampagne zur Bundestagswahl bekannt machte.

CDU-Generalsekretär Heiner Geißler 1986 in Bonn, als er die die Journalisten mit einer Auftaktkampagne zur Bundestagswahl bekannt machte.

Foto: dpa

In vielen Abwandlungen existierte eine oft zitierte Lebensweisheit: Wer in der Jugend nicht links ist, hat kein Herz, wer es im Alter immer noch ist, hat keinen Verstand. Bei Heiner Geißler war das umgekehrt – das machte ihn zu einem Ausnahmepolitiker. Seinen scharfen Verstand und seine ebenso scharfe Zunge setzte er unermüdlich gegen politische Gegner ein. Sein Herz kam insbesondere in seiner sozial- und gesellschaftspolitischen Agenda zum Vorschein. Er war gläubiger Katholik und früherer Jesuiten-Schüler. Die ideellen Werte, die er bei den Jesuiten erlernt habe, habe er in die Politik mitgenommen: Politik sei Berufung, befand Geißler, der Beruf des Politikers sei vergleichbar dem des Priesters.

Heiner Geißler, der im Alter von 87 Jahren verstorben ist, galt in der frühen Ära Kohl als politischer Scharfmacher. Am Ende seines Lebens war er Mitglied der globalisierungskritischen Gruppierung Attac und beklagte die ungleiche Verteilung von Reichtum auf dem Globus. Mit ihm geht ein intellektuelles Schwergewicht, das die bundespolitische Debatte über Jahrzehnte bereichert, belebt und oft polarisiert hat.

Den Höhepunkt seines politischen Wirkens erlebte der Jurist in der ersten Hälfte der 80er Jahre. Bereits 1977 hatte Helmut Kohl seinen damaligen Vertrauten Geißler zum CDU-Generalsekretär gemacht. In Kohls Zeit als rheinland-pfälzischer Ministerpräsident war Geißler Sozialminister. Als Kohl selbst noch zu den jungen Wilden in seiner Partei zählte, schätzte er insbesondere Geißlers innovative Kraft. 1982 erhielt Geißler zusätzlich zu seinem Job als Generalsekretär den Posten des Familienministers. In dieser Zeit leitete er für die CDU eine neue Frauen- und Familienpolitik ein, die Rita Süssmuth und später Ursula von der Leyen vollendeten.

In jener Zeit wurde er von Ursula Lehr beraten, der Bonnerin, die später ebenfalls Familienministerin wurde. Im Juli traf sie Geißler noch am Rande des Requiems für Helmut Kohl. Schon bei ihrer ersten Begegnung Anfang der 70er Jahre habe sie ihn als einen eloquenten und weitsichtigen Politiker kennengelernt: „Ich war zwar nicht immer seiner Meinung, aber ich fand es bemerkenswert, mit welchem Elan er in einigen Themen eine abweichende Position vertrat“, erinnert sich Lehr im Gespräch mit dem GA.

Während Geißler seine Partei gesellschaftspolitisch öffnete, gab er in der Auseinandersetzung um den Nato-Doppelbeschluss und die Stationierung der Pershing-II-Raketen in Europa den Hardliner. In die Geschichtsbücher ist sein Auftritt im Juni 1983 im Bundestag eingegangen. Die Stimmung damals war aufgeheizt.

Hunderttausende demonstrierten in Bonn gegen die Rüstungspolitik der Bundesregierung. Gegen die Anwürfe von Oppositionspolitikern wie Joschka Fischer und Otto Schily sagte Geißler: „Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.“

Daraufhin kam es zu tumultartigen Szenen. Ernst Waltemathe (SPD), dessen pazifistische Verwandte in Auschwitz umkamen, fragte Geißler, ob die Opfer seiner Meinung nach an ihrer Vernichtung selbst schuld gewesen seien. Mit Tränen in den Augen wollte Hildegard Hamm-Brücher (FDP) wissen, was der Pazifismus mit dem Judenhass der Nazis zu tun gehabt habe.

Für nichts stand Geißler so in der Kritik wie für dieses Zitat, das er nie zurücknahm. Unter anderem dafür musste er sich vom früheren Bundeskanzler Willy Brandt zwei Jahre später sagen lassen, er sei „seit Goebbels der schlimmste Hetzer im Land“. Geißler wiederum bezeichnete die SPD als „fünfte Kolonne Moskaus“. Heute klingt das Fazit des ehemaligen politischen Kontrahenten und früheren SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering fast schon milde: „Der parteiliche Streit mit Heiner Geißler über Form und Inhalt der Politik war für uns Sozialdemokraten rhetorisch oft unerbittlich, aber intellektuell spannend“, sagt der heutige Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (Bagso) in Bonn dem GA.

Die scharfen Auseinandersetzungen mit Sozialdemokraten und Grünen dürfen aber nicht überdecken, dass Geißler auch in seinen frühen Jahren stets zum linken Flügel der CDU zählte. Es war sein Drängen auf Reformen, das Ende der 80er Jahre den Bruch mit Kohl brachte. Geißler war Kohl intellektuell überlegen, machtpolitisch war er es nicht. So blieb Kohl Kanzler, und Geißler verlor mit seinem von Kohl betriebenen Abgang als Generalsekretär seinen Einfluss in der CDU. Still wurde es dennoch nicht um dieses „Political Animal“ mit dem asketischen Aussehen, das Bergsteigen und Gleitschirmfliegen liebte. Als Talk-Gast, Autor und insbesondere als Schlichter in Tarifkonflikten und im Streit um den Großbahnhof Stuttgart 21 blieb Geißler ein gefragter Mann.

Überraschend war sein Eintritt bei Attac. Die jüngere Generation feierte ihn gar als „Meister Yoda“ – eine weise Figur aus der Star Wars Saga. Je älter er wurde, desto mehr fiel er mit politisch linken Positionen auf. Die Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel verteidigte er. Er sprach sich auch für eine Korrektur der Arbeitsmarktreformen aus der Kanzlerschaft Gerhard Schröders aus, die sonst nur von Teilen der SPD, Grünen und Linken gefordert wird. Geißler selbst meinte nicht, dass sich seine Überzeugungen im Lauf seines Lebens wesentlich geändert hätten. Im März erklärte er: „Es gibt auf der Erde Geld wie Dreck. Es haben nur die falschen Leute.“

Meistgelesen
Neueste Artikel
„Die Bedrohungslage ist hoch“
Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Gespräch „Die Bedrohungslage ist hoch“
Zum Thema
Aus dem Ressort