Interview mit bpb-Präsident „Ich bin für Wählen ab 14“

Der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, über die Absenkung des Wahlalters, junge Muslime und die AfD.

 Schüler diskutieren: Die Landtage, wie hier das nordrhein-westfälische Parlament, öffnen sich zu bestimmten Anlässen wie dem Wettbewerb „Jugend diskutiert“ jungen Leuten.

Schüler diskutieren: Die Landtage, wie hier das nordrhein-westfälische Parlament, öffnen sich zu bestimmten Anlässen wie dem Wettbewerb „Jugend diskutiert“ jungen Leuten.

Foto: picture-alliance/ dpa

Wie funktioniert politische Bildung heute?

Thomas Krüger: Wir setzen nicht mehr nur auf die Profis der politischen Bildung, sondern immer mehr auf jene, die einen Glaubwürdigkeitsvorsprung haben: Bei jungen Leuten sind das oft Rapper, Youtuber, Sportler oder Engagierte im Nachbarschaftsquartier.

An welche Aktionen denken Sie konkret?

Krüger: Auf Youtube haben wir uns im vorigen Jahr mit Rechtsextremismus und Salafismus auseinandergesetzt. Eine Beautybloggerin, also eine junge Frau, die sonst Schminktipps gibt, hat Begriffswelten des Islam erklärt. Damit haben wir Zielgruppen erreicht, die wir mit herkömmlichen gedruckten Materialien oder Seminaren in Bildungsstätten nie erreichen würden.

Warum ist das so wichtig?

Krüger: Uns ist aufgefallen, dass sowohl in der deutschen Mehrheitsgesellschaft als auch unter jungen Muslimen die Kenntnis über die Religion überschaubar ist. Das ist oft eine Einflugschneise für radikale Positionen. Da ist politische Bildung gefordert, zu intervenieren, glaubwürdige Multiplikatoren zu aktivieren und Erklärungen dafür anzubieten, dass der Salafismus ganz bestimmte Grenzen überschreitet. Gleichzeitig darf damit nicht der gesamte Islam in Misskredit geraten. Es geht darum, jungen Muslimen in dieser Gesellschaft ihren Platz einzuräumen und sie wertzuschätzen.

Hat politische Bildung heute den richtigen Stellenwert?

Krüger: Politische Bildung hat Konjunktur, das Image hinkt dem vielleicht noch etwas hinterher. Wir haben mit 54 Millionen Euro das höchste Budget in der 65-jährigen Geschichte der bpb, in den vergangenen vier Jahren haben wir 45 Stellen zusätzlich zur Verfügung gestellt bekommen.

Das Aufkommen von Extremismus und Populisten wird oft als eine Folge mangelnder politischer Bildung gesehen. Sehen Sie da Defizite?

Krüger: Wir würden uns überheben, wenn wir sagen würden, mit politischer Bildung können wir ein 100-prozentiges Reinheitsgebot in Sachen Demokratie herstellen. In jeder offenen Gesellschaft gibt es einen signifikanten Anteil von Menschen, die sich gegen Pluralität stellen.

An welche Gruppen kommen Sie nicht ran?

Krüger: Sorge machen uns die bildungsbenachteiligten Milieus. Dort liest man nicht mehr, man geht auch nicht in Bildungsstätten. Deshalb müssen wir für diese Gruppen Partner gewinnen. Die jungen Erwachsenen gehören hingegen zu jenen mit der größten Demokratieakzeptanz.

Woran liegt das?

Krüger: Offenbar hat die Schule dort einen ganz wichtigen positiven Einfluss. Wir sollten daher nicht leichtfertig mit Fächern wie Sozialkunde, Geschichte und Politik umgehen und sie den Bedürfnissen naturwissenschaftlicher und sprachlicher Fächer opfern. Sie sind eine wichtige Investition in die demokratische Gesellschaft.

Wer ist denn aus Ihrer Sicht empfänglich für populistische Argumentationen?

Krüger: Nicht so sehr junge Erwachsene oder Rentner, sondern überraschenderweise die berufsaktiven Gruppen. Politische Informationen erhalten sie vornehmlich in den Betrieben, am Stammtisch oder in den Sozialen Medien. Ich hielte es aber für fatal, wenn wir den aktuellen Herausforderungen aktionistisch hinterherlaufen und unsere Ressourcen nur noch auf diese Klientel abstellen. Gerade in solchen Umbruchsituationen ist es enorm wichtig, jene zu unterstützen, die bereit sind, sich für die Demokratie einzusetzen.

Wie?

Krüger: Wir sorgen für Coaching, Fortbildung, stellen Materialien zur Verfügung und liefern Argumente. Politische Bildung hat eine hohe Verantwortung für die Habenseite der Demokratie.

Ist das eine Reaktion der Politik darauf, dass es im Osten nach der Wiedervereinigung nicht gut gelaufen ist und es dort ein Demokratiedefizit gibt?

Krüger: Sehr oft kommt das Demokratiedefizit nicht nur aus 40 Jahren Kommunismus in der DDR, sondern entstammt Enttäuschungen aus der Zeit nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit. Da gilt es, an den Alltagssituationen der Menschen anzuknüpfen und nicht blindlings scheinbar glückseligmachenden Konzepten hinterherzulaufen.

Vieles haben früher die Parteien gemacht. Müssen Sie da einiges kompensieren?

Krüger: Wir ergänzen uns gut mit den parteinahen Stiftungen. Ich beobachte aber auch eine neue Sensibilität für die Rolle von Parteien. Fast alle Parteien haben derzeit überraschenderweise Mitgliederzuwächse.

Das Ende der Parteienverdrossenheit?

Krüger: Mir scheint es, dass diese Entwicklung nicht wegen, sondern trotz der Parteien stattfindet.

Weil die Menschen Sorge um die Demokratie haben?

Krüger: Genau. Es gibt eine Kumulation von politischen Herausforderungen: Rechtspopulismus, Veränderungsprozesse in der globalen Politik – Stichwort Trump –, Globalisierung und eine Wirtschaftspolitik, die zu massiven Rissen in den Gesellschaften geführt haben. Die Leute sagen, Parteien sind doch wichtiger, als wir es bisher gedacht haben. Das ist ein ermutigendes Zeichen. Denn unser System braucht starke Parteien.

Sie haben mehr politische Debatten gefordert. Wie stellen Sie sich denn eine gute politische Debatte vor?

Krüger: Was da manchmal an unterirdischen Kommentaren kommt von Menschen, die sich nicht aufgehoben fühlen in öffentlichen Debatten, zeugt davon, dass wir uns in einer sehr prekären Lage befinden. Deshalb mein Plädoyer: Alle, die eine bestimmte Sicht auf die gesellschaftlichen Herausforderungen haben, sollten immer die anderen Perspektiven mitdenken und es nicht als eine Gefahr betrachten, eine Gegenstimme zu hören. Demokratie braucht Vielfalt. Uns allen bekommt es gut, wenn wir friedvoll, kultiviert und fair mit der jeweiligen anderen politischen Position umgehen.

Viele fühlen sich aber abgehängt und machen sich empört Luft.

Krüger: Viele Gruppen sind in der Gesellschaft und in den Parlamenten gar nicht mehr repräsentiert, zum Beispiel die am schlechtesten Verdienenden und die Bildungsbenachteiligten. Wir müssen darüber nachdenken, wie diese wieder eine Stimme in der Öffentlichkeit erhalten.

Für viele von ihnen ist die AfD eine attraktive Alternative.

Krüger: Ich halte von einer Pauschalverdammung der AfD gar nichts, weil sie auch Fragen stellt, die von den vorhandenen Parteien bisher zu wenig aufgegriffen worden sind.

Äußerungen wie die von dem Thüringer Landeschef Björn Höcke können Sie aber sicherlich nicht gutheißen.

Krüger: Dass einzelne Sprecher über das Ziel hinausschießen und Demokratie in ihren Grundwerten infrage stellen, verlangt von uns in der politischen Bildung die allerschärfste Kritik. Ich glaube aber, dass die AfD ein Weckruf für die parlamentarische Demokratie sein kann. Ein Weckruf dergestalt, dass sich die klassischen Volksparteien wieder darauf besinnen, stärker an die wunden Punkte, die „Defekte“ der Demokratie zu gehen und sich diesen Herausforderungen zu stellen.

Ist der Weckruf schon angekommen?

Krüger: Ja, die Sensibilität wächst.

Der belgische Historiker David Van Reybrouck sagt, statt zu wählen, sollten wir losen, wer uns vertritt. Was halten Sie davon?

Krüger: Die repräsentative Demokratie hat sicher ihre Defizite und Van Reybrouck weist zurecht auf die Unterrepräsentanz bestimmter Gruppen in den Parlamenten hin, aber ich glaube nicht, dass ein Losverfahren da helfen könnte.

Wie betrachten Sie stärkere Elemente der direkten Demokratie?

Krüger: Im kommunalen oder landespolitischen Bereich ist da sicher einiges möglich. Auf Bundesebene bin ich da skeptischer geworden, weil komplizierte politische Prozesse sehr oft nicht auf eine einfache Ja-/Nein-Frage vereinfacht werden können.

Auch Kinder und Jugendliche sind nicht in Parlamenten vertreten. Sie dürfen sich nicht mal an Wahlen beteiligen. Was halten Sie von der Absenkung des Wahlalters?

Krüger: Seit Jahren bin ich dafür. Schon wegen des demografischen Wandels. Die Renten- und Gesundheitspolitik spielt eine überproportional große Rolle, die Bildungspolitik kommt nur bedingt zum Zuge. Ich verspreche mir eine stärkere Sensibilität für Themen der Jugend, wenn Jugendliche mitwählen dürfen.

Wo würden Sie die Wahlaltersgrenze setzen?

Krüger: Ich bin für Wählen ab 14. Wir muten Jugendlichen in dem Alter schon die Straf- und Religionsmündigkeit zu, sie sind scheckkartenfähig, haben also wahnsinnig viel Verantwortung. Gleichzeitig lernen sie in der Schule sehr viel über Demokratie und Geschichte. Das ist Wissen, das sie parat haben, später aber an der einen oder anderen Stelle verloren geht. Für die Politik verspreche ich mir viele Impulse, wenn sich 14- bis 17-Jährige an Wahlen beteiligen dürfen.

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