Großbritanniens Weltkulturerbe So marode ist der Palast von Westminster in London

London · Im Palast von Westminster sitzt nicht nur das Parlament, sondern auch der Schimmel und Schlimmeres. Das Londoner Parlamentsgebäude ist dringend renovierungsbedürftig. Das lässt sich der Staat umgerechnet vier Milliarden Euro kosten.

 Big Ben ist eingerüstet und andere Gebäudeteile auch: Der Palast von Westminster sah schon herrschaftlicher aus.

Big Ben ist eingerüstet und andere Gebäudeteile auch: Der Palast von Westminster sah schon herrschaftlicher aus.

Foto: dpa

Zum ersten Mal seit den Bombenangriffen der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg werden britische Parlamentarier aus dem „Palast von Westminster“, wie das Londoner Parlament offiziell heißt, ausziehen, um ein Restaurierungsprogramm zu ermöglichen. Überraschend stimmten am Mittwochabend 234 gegenüber 185 Abgeordneten für den Auszug. Ein Gegenvorschlag hatte gelautet, die Renovierung parallel zum Verbleib des Unter- wie Oberhauses vorzunehmen. In diesem Fall hätten die Arbeiten wesentlich länger gedauert – bis zu 35 Jahre – und wären auch deutlich teurer geworden. Die jetzige Lösung sieht eine Abwesenheit der Parlamentarier von sechs Jahren vor – bei geschätzten Baukosten von 3,5 Milliarden Pfund, umgerechnet rund vier Milliarden Euro.

Es ist eines der berühmtesten Gebäude der Welt, aber hinter der Fassade des „Palace of Westminster“ knirscht es gewaltig im Gebälk. Das Mitte des 19. Jahrhunderts errichtete Bauwerk zählt zum Weltkulturerbe der Unesco, doch die Renovierung ist seit Jahrzehnten überfällig. Zur Zeit wird gerade der große, als „Big Ben“ bekannte Glockenturm eingerüstet und soll über die nächsten drei Jahre generalüberholt werden. Die Sanierung des restlichen Gebäudekomplexes wird frühestens im Jahr 2025 begonnen werden.

Dabei ist sie dringend geboten. Von den Dächern tropft es, die Wände sind feucht. Vor wenigen Wochen zog ein mächtiger Gestank durch die Korridore, als die Toiletten überfluteten. Ungeziefer wie Mäuse, Ratten oder Tauben sind ein täglicher Anblick. Das ist unangenehm, aber weniger gefährlich als andere Defekte. Von der Decke der sieben Jahrhunderte alten „Westminister Hall“ fallen mehrmals im Jahr Holzstücke herunter. Hinter Wänden und unter Böden lauert Asbest. Von den Aufzügen datieren einige aus dem Jahre 1893, und nur gerade neun Lifts genügen den Sicherheitsvorschriften.

Elektrik wurde nie ordentlich überholt

Aber besonders beängstigend ist die Brandgefahr. Die Elektrik wurde nie ordentlich überholt. Als die „Times“ einen Reporter in die Kavernen des Parlaments schickte, entdeckte dieser Zustände, für die er die Worte „Haus des Horrors“ fand. In den Kellern liegen elektrische Kabel direkt neben Wasser-, Heizungs- und Gasleitungen. Fünf kleinere Brände pro Woche gibt es im Durchschnitt. Der Sprecher des Unterhauses John Bercow hat Patrouillen angeordnet, die 24 Stunden am Tag Feuerwacht halten.

Obwohl nicht besonders vertrauenswürdig, läuft die alte Heizungsanlage das ganze Jahr. „Wir wissen nicht, ob wir sie wieder anbekommen, wenn sie einmal aus ist“, hatte der leitende Ingenieur Andy Piper einmal erklärt.

Während der dreistündigen Debatte im Unterhaus flog, wohl um die Probleme zu illustrieren, ein Rotkehlchen durch den Saal. Doch nicht alle Abgeordneten waren der Ansicht, dass der Auszug geboten sei. Sir Edward Leigh von den Konservativen argumentierte für den Verbleib: „Können wir wirklich den Wählern sagen, dass wir in diesen Zeiten der Austerität Milliarden für unseren eigenen Arbeitsplatz ausgeben?“ Er blieb in der Minderheit. Seinen Kollegen blieb wohl im Ohr, was Chris Bryant zu bedenken gab: „Wenn hier ein Feuer ausbricht“, so der Labour-Abgeordnete, „wird sich das schneller ausbreiten, als wir laufen können.“

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