Demo in Berlin Vor 50 Jahren starb Benno Ohnesorg

Vor 50 Jahren wird in Berlin bei einer Demonstration gegen den Schah von Persien der Student Benno Ohnesorg erschossen. Das Ereignis bedeutet den Wendepunkt der studentischen Bewegung. Dass der Todesschütze Stasi-Agent war, kommt erst 42 Jahre später heraus.

Ho-Ho-Ho-Chi-Minh! Ho-Ho-Ho-Chi-Minh! Die etwas älteren Bewohner der Bonner Südstadt erinnern sich noch lebhaft an den Kampfruf der Studentenbewegung, der eines Tages auch zwischen den beschaulichen Gründerzeitfassaden rund um die Mensa an der Nassestraße zu hören ist.

Im Juni 1967 zum Beispiel. Gerade hat eine Nachricht aus dem 600 Kilometer entfernten und – wie ganz Deutschland – durch den Eisernen Vorhang geteilten Berlin das Land erschüttert. Dort, vor der Deutschen Oper im Westteil der Stadt, hat die Studentenbewegung durch den tödlichen Schuss auf den Studenten Benno Ohnesorg ihr erstes Opfer gefunden.

Drinnen wird Mozarts „Zauberflöte“ gegeben. Begleitet von Bundespräsident Heinrich Lübke lauschen Schah Reza Pahlewi von Persien und seine Frau Farah Diba dem Gesang von Pamina und Sarastro. Draußen auf der Straße im Stadtteil Charlottenburg eskaliert die Stimmung unter den Studenten, die gegen das Regime der Staatsgäste demonstrieren.

Bereits am Vormittag ist die Stimmung hochgekocht. Bei einem Besuch des Schöneberger Rathauses gehen persische Unterstützer des Schah- Regimes mit Dachlatten und Totschlägern auf Demonstranten los. Als „Jubelperser“ gehen sie in die Geschichte der Bundesrepublik ein, zumal die Berliner Polizei mit einem Eingreifen zögert und dem Treiben tatenlos zusieht.

"Leberwurst-Strategie" für den Einsatz

Als Devise für den Einsatz am Abend gibt Berlins Polizeipräsident Erich Duensing die „Leberwurst-Strategie“ aus: „Nehmen wir die Demonstranten als Leberwurst, nicht wahr, dann müssen wir in die Mitte hineinstechen, damit sie an den Enden auseinanderplatzt.“

Während die Springer-Medien täglich neues Öl in die ohnehin schon aufgeheizte Atmosphäre gießen, geht folglich auch die deutsche Polizei nicht gerade zimperlich gegen die Demonstranten vor. Ein Polizeisprecher kündigt vorsorglich an: „Heute gibt es Dresche.“

Gegen 19.30 Uhr fallen Schüsse. Eine Kugel trifft den 26-jährigen Benno Ohnesorg tödlich. Der taugt eigentlich gar nicht zum politischen Märtyrer, gehört keiner Organisation an und wird von Freunden wie dem Schriftsteller Uwe Timm („Der Freund und der Fremde“) als feinsinniger, literaturbeflissener junger Mann beschrieben. Doch das Foto des sterbenden Studenten auf der Fahrbahn der Krumme Straße wird zum Symbolbild, sein Tod zur Zäsur der deutschen Nachkriegsgeschichte.

Was genau passiert ist, bleibt zunächst hinter dem Schleier einer scheinbar diffusen Nachrichtenlage verborgen. Aus drei bis fünf Metern, dies ergibt die Obduktion, ist Ohnesorg in den Hinterkopf getroffen worden. Der Schütze ist der 40-jährige Polizeiobermeister Karl-Heinz Kurras. Zwei Strafverfahren wegen fahrlässiger Tötung übersteht er mit Freisprüchen. Die Tat bleibt ungesühnt.

Vor allem in der studentischen Linken wirkt der Tod Ohnesorgs wie ein Fanal. Gewalt fordere weitere Gewalt, heißt es plötzlich. Einige rufen nach einer Bewaffnung der „außerparlamentarischen Opposition“. Und der Soziologe Detlev Claussen bemerkt später, im Juni 1967 sei der „euphorische Funke“ der Rebellion auf die westdeutschen Universitäten übergesprungen.

Gudrun Ensslin betritt die Bühne

Anders gesagt: Aus Spaß und Ironie ist blutiger Ernst geworden, was im besonderen für den gewaltbereiten Arm der Protestbewegung gilt. Nur Stunden nach Ohnesorgs Tod platzt eine junge Frau in eine Berliner Diskussionsrunde des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) und fordert Konsequenzen. Da der Staat die Opposition physisch bedrohe, müsse eine Polizeikaserne überfallen und ausgeraubt werden, um die eigene Bewaffnung sicherzustellen.

Der Name der Frau: Gudrun Ensslin. Der Rest ist bekannt. Zehn Monate später kommt es zum ersten Terroranschlag mit Brandbomben in einem Frankfurter Kaufhaus, zehn Jahre später lässt die „Rote Armee Fraktion“ (RAF) ihre Mordserie im „Deutschen Herbst“ eskalieren.

Das ahnt im Sommer 1967 noch niemand. In Berlin nimmt der junge Rechtsreferendar Hans-Christian Ströbele die Arbeit in der Anwaltskanzlei eines gewissen Horst Mahler auf, und an der Universität Bonn endet die Nachkriegszeit: Hier werden die vier im Krieg zerbombten Turmstümpfe des Hauptgebäudes mit ihren traditionellen Aufsätzen – den so genannten Laternen – versehen und erhalten ihr ursprüngliches Aussehen zurück.

Zugleich sitzen Juristen und Volkswirte im kurfürstlichen Schloss auf gepackten Bücherkisten. Ihr Umzug in das neu errichtete Juridicum an der Adenauerallee, die damals noch Koblenzer Straße heißt, steht unmittelbar bevor. Doch nicht nur die Fassade des Neubaus mit dem charakteristischen Vasarely-Mosaik kündet vom akademischen Klimawandel.

Auch in Bonn kommt es zu Protesten

Im Studentenparlament schärfen illustre Figuren wie der spätere Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert und der Bonner „Berufslinke“ Hannes Heer ihr junges rhetorisches Profil. AStA-Vorsitzender ist Rudolf Pörtner junior, Absolvent des Beethoven-Gymnasiums und Sohn des gleichnamigen Althistorikers und Buchautors.

Als Ende Mai 1967 noch vor Berlin die Bundeshauptstadt auf dem Besuchsprogramm der persischen Staatsgäste steht, kommt es auch hier zu Protesten. Eine Kranzniederlegung im Hofgarten endet mit Handgreiflichkeiten zwischen Polizisten und Demonstranten und mehreren Dutzend Festnahmen.

Bei einem „Anti-Dies“, also einer Art Gegenveranstaltung zum traditionellen Dies Academicus, drängen sich am 1. Juni 2000 Studenten im Treppenhaus des Hauptgebäudes, um wenigstens Ohrenzeugen zu werden, wie Gastredner Rudi Dutschke, Anführer des SDS, in der Aula zur Rebellion aufruft. Keine 24 Stunden später folgen die Meldung vom Tod Ohnesorgs und eine viertägige Mahnwache auf dem Münsterplatz.

Auf diplomatischer Bühne löst der Fall paradoxe Reaktionen aus: Die DDR schickt FDJ-Getreue auf die Autobahnbrücken zum hämischen Fähnchenschwenken im Gedenken an ein „Opfer des Militarismus“. Die Verantwortlichen im Berliner Osten lachen sich angesichts des Chaos beim Klassenfeind ins Fäustchen. Denn wer wollte noch den Schießbefehl an der Mauer anprangern, wenn West-Berliner Polizisten harmlose Studenten abknallten?

Keine Hinweise auf einen "Agent provocateur"

Dass viel mehr dahinter steckt als Schadenfreude über die Destabilisierung im Westen, kommt aber erst 42 Jahre später heraus. 2009 nämlich wird Karl-Heinz Kurras als Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der DDR und Mitglied der SED enttarnt. In seiner Akte heißt es: „Bei der Erfüllung seiner Aufgaben zeigte er Mut und entwickelte die notwendige Initiative.“ Kurzzeitig entsteht die Hypothese, Kurras könnte gar als „Agent provocateur“ im Mordauftrag gehandelt haben – wofür sich aber keine Hinweise finden.

Stattdessen aber führt die Enthüllung zu einer Diskussion darüber, inwieweit die Reflexion der Ereignisse von 1967 insbesondere aus Sicht der deutschen Linken völlig neu zu bewerten ist. Denn dass ausgerechnet ein Stasi-Mann (und eben nicht der „reaktionäre“ Westen) die Initialzündung – und den Rechtfertigungsgrund – für den Linksterrorismus lieferte, hätte bei einem früheren Bekanntwerden mutmaßlich in weiten Teilen der Öffentlichkeit zu einer anderen Sicht der Dinge geführt.

So oder so bleibt der 2. Juni 1967 der Scheitelpunkt zwischen Latenzphase und Eskalation der Protestbewegung. Als Kurras vor Gericht freigesprochen wird, fragt Rudi Dutschke rhetorisch, was denn noch passieren müsse, bis man „zur radikalen Tat“ schreite.

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