Buchtipp: "Im Garten der Romantik" Unendliche Weiten

Bonn · Autor Hans von Trotha sucht den Garten der Romantik und findet ihn jenseits der Natur. Ein Buch über Wanderer, den Park und die Sehnsucht nach der Ferne.

 Fernsicht und Innerlichkeit: Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ (um 1818) aus der Hamburger Kunsthalle. Natur wird als gewaltiges Ereignis begriffen.

Fernsicht und Innerlichkeit: Caspar David Friedrichs „Wanderer über dem Nebelmeer“ (um 1818) aus der Hamburger Kunsthalle. Natur wird als gewaltiges Ereignis begriffen.

Foto: picture-alliance/ dpa/dpaweb

Das Wandern ist des Müllers Lust.“ So beginnt Wilhelm Müllers berühmtestes Gedicht, 1821 verfasst, zuerst 1823 von Franz Schubert vertont und in den Zyklus „Die schöne Müllerin“ aufgenommen. Nicht die letzte Vertonung des Evergreens. „Das Wandern ist des Müllers Lust“ ist bis heute die Hymne aller Wanderer und drückte in der Romantik, als das Gedicht entstand, das Lebensgefühl der Menschen aus. Und mehr: „Das Wandern ist eine typisch romantische Kulturtechnik“, schreibt Hans von Trotha, Experte für Gartenkunst. Das Wandern als Weg zur Natur, auch zum Ich, ist eine „Erfindung“ des späten 18. Jahrhunderts und fand sein Aktionsfeld etwa in den Landschaftsgärten des Fürsten Pückler, der seine Erfahrungen und Eindrücke aus dem Orient und aus England mit der Natur rund um Muskau oder Branitz verschmolz.

Trotha nennt Pückler den „romantischsten der deutschen Gartenkünstler“ und bezeichnet seine Arbeit als künstliche Natur oder naturgestaltende Kunst, deren Höhepunkt die mit Wein überrankte riesige Erdpyramide im Park von Branitz sei. Dieses naturähnliche Bauwerk – in dem der Fürst beigesetzt wurde – zählt Trotha zu den Höhepunkten der Gartenkunst der Romantik. Der romantische Mensch wird eins mit der Natur.

Tiefste Sehnsucht nach dem Einssein mit der Natur

Der 1877 geborene Spätromantiker Rudolf Borchardt, der nach der Machtergreifung der Nazis in die innere Emigration gehen musste, verfasste gegen Ende seines Lebens das Buch „Der leidenschaftliche Gärtner“. Dort liest man: „Was der Mensch mit der Natur teilt, was er von ihr fordert und auf sie überträgt, ersehnt und abweist, dies alles mag Lied und Gedicht werden, Musik und Philosophie, oder Mythus und Religion, aber innerhalb der sichtbaren Welt muß es früher oder später Garten werden.“

Trotha folgt dieser These quer durch die Epoche der Romantik (Spätes 18. bis ausgehendes 19. Jahrhundert), eine Zeit tiefster Sehnsucht nach dem Einssein mit der Natur, in der „Garten“ und „romantisch“ fast wie Synonyme klingen. Er folgt der These, aber er findet keine Belege. Denn was den Menschen der Renaissance mit ihrem italienischen Garten gelang, der eine Allegorie der Ländlichkeit in Harmonie mit Kunst und Architektur war; was die Barockfürsten mit ihrer theatralisch inszenierten Natur, ihren geometrischen Formen und Mustern erreichten; was sich schließlich im englischen Landschaftsgarten als „begehbares Landschaftsgemälde“ manifestierte – das alles gelang in der Romantik nicht: Ausgerechnet die Romantik hat keine eigene Parkform entwickelt. Für Trotha wäre sein Buch „Im Garten der Romantik“ eigentlich mit dieser Feststellung beendet. Aber er macht sich und seinem Leser einen Spaß aus der Suche nach dem Warum, nach dem Romantischen in der Gartenkunst.

Denn auch im 19. Jahrhundert galt es, diesen Raum zwischen dem Privaten und der wilden Natur zu definieren. Die Monarchen des Absolutismus wollten der Welt zeigen, wie akkurat sie die Natur domestizieren konnten, im englischen Garten des späten 18. Jahrhunderts schlug sich die tiefe Verehrung der Natur nieder. Wohl möglich, so Trotha, dass sich der immens breite, die Seele und das Universum umfassende Naturbegriff der Romantiker einfach nicht in ein Gartenkonzept bringen, in eine Konvention zwingen ließ. Brauchte die Romantik überhaupt einen Garten?

Für Trotha ist die Erforschung des Unendlichen eines der großen Projekte der Romantik, kein einfaches Feld, birgt es doch Verstörung, Unsicherheit, Verlorensein. Das Biedermeier schützt sich vor der Unendlichkeit durch Mauern, die die Idylle des Gärtners etwa in Carl Spitzwegs Bild „Der Blumenfreund“ vor der Uferlosigkeit und Entgrenzung bewahren. Und trifft sich in dieser Kontrolliertheit mit Pückler, der meint: „Denn ein Garten im großen Stil ist eben nur eine Bildergalerie, die Bilder verlangen ihren Rahmen.“ Pücklers Parks mit ihren künstlich gestalteten Landschaftstableaus, idealisierten Naturräumen und Sichtachsen, die sich im wilden Naturwald brechen, entsprechen diesem biedermeierlichen Drang nach Orientierung und Ordnung – aber auch nach Rückzug. Aber das waren schon die Markenzeichen des Zeitalters der Aufklärung und der Empfindsamkeit.

Trotha lässt den Leser in seinem brillanten, Jahrhunderte übergreifenden Essay über die Gartenkunst lange zappeln, um ihm am Ende zu erklären, dass der zutiefst naturaffine Romantiker seine Gärten und Parks eben nicht im Freien suchte und fand, sondern in den Gemälden von William Turner und Caspar David Friedrich und dessen „Wanderer über dem Nebelmeer“ aus der Hamburger Kunsthalle. Ferner in den Schriften von Joseph von Eichendorff und Jean Paul, in der Liedkunst von Franz Schubert und in den Sinfonien Ludwig van Beethovens. Hier fanden die Romantiker die ersehnten Orte der Unschärfe und des Übergangs von der Wirklichkeit ins Wunderbare, von der berechenbaren häuslichen Welt ins Unberechenbare der Natur, wie Trotha das sehr schön ausdrückt.

„Der Garten der Romantik ist eine poetische Idee, die wir in uns tragen“, schreibt er, „der Garten der Romantik ist eine Option. Aber Vorsicht. Er ist auch eine Gefahr“. Das 19. Jahrhundert war auch das Ende der Parks und der Beginn der Industrialisierung des Gartens mit Messen, Workshops, Bundesgartenschauen und am Ende dem Gartencenter um die Ecke. Und auch mit dem Wandern und Müllers Lust war es bald vorbei. 1953 schrieb Gottfried Benn an seine Tochter Nele: „Ich finde schon Gehen eine unnatürliche Bewegungsart, Tiere laufen, aber der Mensch sollte reiten oder fahren.“

Hans von Trotha: Im Garten der Romantik. Berenberg Verlag, 150 S. 22 Euro

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