Kammerspiele Bonn Mirja Biel und Joerg Zboralski inszenieren Büchners "Leonce und Lena"

BONN · Knall auf Fall beginnt die Premiere von "Leonce und Lena" in den Kammerspielen: Pardauz, da liegt das große, mit Glühbirnen gespickte "P" auf der Seite, das für den Palast König Peters von Popo steht, wahlweise auch für Provinz, Posse oder Prinz. Dieser heißt Leonce , soll Lena vom benachbarten Zwergstaat Pipi heiraten und dann König werden.

 Zerplatzte Blütenträume: Benjamin Berger (Leonce) und Julia Keiling (Rosetta) in der Bonner Inszenierung von "Leonce und Lena".

Zerplatzte Blütenträume: Benjamin Berger (Leonce) und Julia Keiling (Rosetta) in der Bonner Inszenierung von "Leonce und Lena".

Foto: Thilo Beu

Das will er zuerst nicht, am Ende aber doch und tut es auch. Die Handlung des Lustspiels, das Georg Büchner 1836 als absurd wortwitzige Politsatire verfasste, ist unkompliziert und schnell erzählt. Umso reizvoller ist "Leonce und Lena" als Spielwiese für Regisseure, die das Stück gern in ihre Einzelteile zerlegen und in anderer Reihenfolge wieder zusammensetzen.

In der Neuauflage ihrer Inszenierung, die 2012 am Theater Bremen debütierte, basteln sich auch Mirja Biel und Joerg Zboralski einen Büchner voller Brechungen, die aber Verständnis und Substanz der Vorlage wenig oder gar nicht beschneiden. Mit Knarf Rellöm, geborener Frank Möller und ein vielseitig begabter Mensch, setzen sie einen Erzähler ein, der das Geschehen erklärt, kommentiert und vor allem musikalisch begleitet.

Dazu gibt es hübsche Video-Effekte, ein schlüssig rationalisiertes Personeninventar sowie eine große Menge von Anspielungen und Zitaten aus Literatur, Politik, Philosophie und Popkultur. Prinzessin Lena singt auf der Flucht vor der arrangierten Hochzeit Chris Isaaks "No, I don't wanna fall in love with you", bevor sie genau das tut; Rosetta, hier zugleich Lenas Gouvernante, mutiert bei Bedarf zur MG-bewehrten RAF-Terroristin, und der an Langeweile, Leere und Leben verzweifelnde Leonce lanciert seine Aphorismen wie ein junger Oscar Wilde, mit weniger Biss zwar, aber genauso elegant gekleidet.

Doch auch wenn die beiden Staatsminister Philippe und Pierre (Thomas Hatzmann und Samuel Braun) in Plisseeröckchen und mit Kinderfahrrädern über die Bühne flitzen und Rellöm das Lebenskunstprinzip von Taugenichts Valerio mit dem Song "Lass uns Drogen nehmen und rumfahrn" erläutert, auch wenn nicht jede Slapstick-Pointe zündet - es ist alles da, worauf es ankommt: die Absurdität biedermeierlicher Duodezstaaterei, die zerplatzten Blütenträume der Romantik, Ennui, Lebensüberdruss und die große Frage nach dem Wozu der verblendeten, verblödeten und vollbeschäftigten Leistungsgesellschaft.

Nicht zu vergessen Büchners Zeitkritik, wie sie sich am schärfsten vor den geplanten Hochzeitsfeierlichkeiten manifestiert. "Sämmtliche Unterthanen" haben sich "mit zufriedenen Gesichtern" einzufinden: "Erkennt, was man für euch thut, man hat euch grade so gestellt, dass der Wind von der Küche über euch geht und ihr auch einmal in eurem Leben einen Braten riecht."

Die stärksten Momente hat die Inszenierung da, wo es inmitten der fröhlichen Betriebsam- und Beliebigkeit plötzlich still und ernst wird, etwa wenn Leonce nach dem ersten Kuss nicht mehr weiterleben will: "Mein ganzes Sein ist in dem Augenblick. Mehr ist unmöglich."

Benjamin Bergers Prinz, zu Beginn ein verwöhnter, pubertär aufbegehrender Jammerlappen, wird doch schließlich ein bisschen erwachsen, Lena sei Dank, die Johanna Falckner mit einer naiven Melancholie spielt, hinter der sich ein tiefes Erkennen verbirgt. Glenn Goltz ist ein wunderbar debiler König Peter, Julia Keilings Rosetta macht als Vamp eine ebenso gute Figur wie als Terroristin, und Sören Wunderlich säuft und scherzt sich in der Rolle des Valerio mit virtuoser Lässigkeit zum Publikumsliebling. So können die Zuschauer am Ende überzeugt in Knarf Rellöms Schlusslied einstimmen: Juppidu, Juppidu, Juppidubidu."

Info: Die nächsten Vorstellungen: 15. und 24. November, 6., 21., 26. und 28. Dezember. Karten bei Bonnticket und in den Geschäftsstellen des General-Anzeigers.

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