Interview mit Schauspielerin Ulrike Folkerts Spektakulär: Ein "Tatort" ohne Drehbuch

BONN · Die Schauspielerin Ulrike Folkerts kommt mit der musikalischen Lesung „Die Blechtrommel“ in die Bonner Oper. Außerdem ermittelt sie als Kommissarin Lena Odenthal in einem neuen ARD-„Tatort“ aus Ludwigshafen. „Babbeldasch“ ist ihr 65. Fall – und er wird mit Sicherheit viel Aufsehen erregen.

 Ulrike Folkerts: "Der Tatort hat da noch seine Sonderstellung. Allein in Berlin gibt es 50 Kneipen, die jede Folge übertragen."

Ulrike Folkerts: "Der Tatort hat da noch seine Sonderstellung. Allein in Berlin gibt es 50 Kneipen, die jede Folge übertragen."

Foto: Agentur Studlar

Doch Folkerts kann nicht nur Polizei: Am 20. Februar gastiert die 55-Jährige mit einer musikalischen Lesung in der Bonner Oper. „Die Blechtrommel“ basiert auf dem gleichnamigen Jahrhundertroman von Günter Grass. Folkerts spricht den kleinen Oskar, Clemens von Ramin übernimmt die Rolle des Erzählers, Stefan Weinzierl untermalt die Texte mit Vibrafon und Perkussion. Mit der Schauspielerin sprach Heinz Dietl.

GA: Frau Folkerts, Sie reisen mit der „Blechtrommel“ durchs Land. Was ist Ihre Mission?

Ulrike Folkerts: Der Schlagzeuger Stefan Weinzierl hatte die Idee zu dieser Vertonung. Natürlich ging es zunächst darum, dieses gewaltige Werk von Günter Grass in ein bühnenfähiges Format zu bringen. Unsere Fassung dauert knapp zwei Stunden, sie hat viel Power, und ich lese den Oskar.

GA: Wie erweckt man eine solche Romanfigur zum Leben?

Folkerts: Indem man sich in die Perspektive von Oskar versetzt und erforscht, wie er die Welt wahrnimmt und warum er beschließt, nicht mehr zu wachsen. Oskar macht mir beim Lesen einfach Spaß, auch weil er sich stets darüber im Klaren ist, dass er mehr weiß als sein Umfeld. Und er hat seine kleinen Waffen, um sich durchzusetzen.

GA: Werden Sie also auf der Bühne Glas zersingen?

Folkerts: Daran übe ich noch (lacht). Aber im Ernst: Um diese Effekte kümmert sich unser Perkussionist Stefan Weinzierl.

GA: Was ist mit dem Hauptrequisit, der Blechtrommel?

Folkerts: Sie steht auf der Bühne – im Zentrum des Geschehens.

GA: Was würde wohl Günter Grass zu dieser Inszenierung sagen?

Folkerts: Stefan Weinzierl hat Grass vor dessen Tod noch getroffen und ihm die Idee vorgestellt, er fand sie super. Trotzdem war diese Produktion ein aufwendiger Akt. Die Aufführungsrechte mussten geklärt werden, dann musste sich das Team finden.

GA: Was sagt uns die „Blechtrommel“ heute?

Folkerts: Es gibt in der Gesellschaft einen Ruck nach rechts, und wenn wir nicht aufpassen, werden es immer mehr. Grass beschreibt diese Entwicklung am Beispiel der 30er Jahre: Leute, die mitmachen – Leute, die wegschauen – Leute, die sich wehren.

GA: Das Thema hat viele Facetten, auch in aktuellen Debatten. Köln, Freiburg, Berlin, dann wieder Köln: Wie gehen wir damit um?

Folkerts: Dass Polizisten in Köln attackiert werden, weil sie eine bestimmte Personengruppe eingrenzen, finde ich heikel. Erst wirft man der Polizei vor, nicht präsent zu sein, und dann wirft man ihr Rassismus vor, wenn sie eingreift. Nach welchen Kriterien soll man denn kontrollieren? Jedenfalls ist in Köln dieses Mal nichts passiert, und das ist der Polizei hoch anzurechnen.

GA: Sie sind selber Polizistin, wenn man so will. Seit 1989 spielen Sie im „Tatort“ aus Ludwigshafen. Ihre Lena Odenthal kann auch gut durchgreifen, oder?

Folkerts: Stimmt, aber wir agieren in einem anderen Metier, es geht um Mord und Totschlag. Wir ermitteln Täter, müssen stichhaltige Beweise liefern.

GA: Mit der Folge „Tod im Häcksler“ vom Oktober 1991 sind Sie schlagartig ins Fadenkreuz der Öffentlichkeit geraten. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Folkerts: Eine legendäre Folge, in der Tat. Ein ganzes Dorf in der Pfalz jagt einen Täter.

GA: Man warf dem Regisseur Nico Hoffmann vor, die Region als „pfälzisches Sibirien“ dargestellt zu haben. Selbst der Landtag in Mainz debattierte das Thema.

Folkerts: Der damalige Wirtschaftsminister Rainer Brüderle lud mich in die Pfalz ein, damit ich mir persönlich ein Bild von der Region mache. Die Pfälzer würden nicht einfach Menschen um die Ecke bringen. Wir besuchten ein Weinfest, und man servierte mir diese komische Leibspeise des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Den Namen des Gerichts weiß ich nicht mehr.

GA: Saumagen.

Folkerts: Ja, genau. Aber ich konnte das nicht essen – und wurde zur Vegetarierin.

GA: Sind Sie das bis heute?

Folkerts: Nein, aber damals wurde ich zur Vegetarierin – für 24 Stunden. Meine Abneigung gegen dieses Gericht war auch als politische Aussage zu verstehen.

GA: Wie hält man die Lena Odenthal 28 Jahre lang auf Kurs?

Folkerts: Ich empfinde die Rolle als Segen. Wir arbeiten auch ständig daran. Das Gute an der Krimireihe ist dieser gewisse Konkurrenzdruck. Man muss sich anstrengen, um in der „Tatort“-Landschaft weiterhin wahrgenommen zu werden. Es geht darum, mit guten Folgen aufzufallen, besondere „Tatorte“ zu machen. Mir gefällt es, dass dieses Format mittlerweile gesprengt wird: Es gibt den „Tatort“ als Komödie, als Thriller, es gibt den reinen Kriminalfall, den gesellschaftlich relevanten „Tatort“. Ich arbeite mit unterschiedlichen Regisseuren, auch das sorgt für Abwechslung.

GA: Zählen Sie Ihre Einsätze noch?

Folkerts: Nein. Ich weiß nur, dass im Februar die nächste Folge ausgestrahlt wird: „Babbeldasch“.

GA: Das ist Pfälzisch und bedeutet „Plaudertasche“. Worum geht es?

Folkerts: Es geht um eine Mundartbühne namens Babbeldasch. Während einer Premiere kommt die Chefin um. Jeder beschuldigt jeden.

GA: Ist „Babbeldasch“ eine dieser „besonderen“ Folgen?

Folkerts: Ja. Axel Ranisch, ein relativ junger Regisseur, hat ohne Drehbuch gearbeitet. Das heißt: Wir hatten eine Geschichte, aber keine Dialoge. Wir haben komplett improvisiert.

GA: Und wie lief das?

Folkerts: Wir haben anfangs auch schwer geschluckt. Polizeitexte aus dem Stegreif, wie sollte das gehen?! Echte Polizeikollegen haben uns mit authentischen Verhörtexten versorgt, aber letztendlich mussten wir beim Dreh jeden Dialog improvisieren.

GA: Wie aber improvisiert man Ermittlungen im Mordfall?

Folkerts: Wir haben chronologisch gedreht, auch das ist ungewöhnlich. Andreas Hoppe, Lisa Bitter und ich mussten als Schauspieler real herausfinden, was da passiert war. Wir wussten nicht, wer der Mörder ist, und kannten auch das Ende nicht.

GA: Wo genau wurde gedreht?

Folkerts: In der Hemshofschachtel, einem Mundarttheater im Stadtteil Hemshof. 25 Laienschauspieler haben mitgewirkt. Es ist ein sehr spezieller „Tatort“, wobei ich mich wirklich freue, dass wir dieses Experiment ausprobieren durften.

GA: Das lässt viel öffentliche Aufregung erahnen, oder?

Folkerts: Der Film wurde kürzlich beim Filmfest in Hamburg vorgestellt, die Besucher mochten ihn. Es wird unterschiedliche Meinungen dazu geben.

GA: Ist der „Tatort“ das letzte Lagerfeuer im Wohnzimmern?

Folkerts: Ich habe das schon oft gehört. Klar, das Fernsehen muss aufpassen, dass es als Medium mitkommt. Die Sehgewohnheiten ändern sich, das junge Publikum wandert ab ins Internet. Der „Tatort“ hat da noch seine Sonderstellung. Allein in Berlin gibt es 50 Kneipen, die jede Folge übertragen.

GA: Sie leben in Berlin. Haben Sie einen Bezug zu Ludwigshafen?

Folkerts: Inzwischen schon. Ich kenne ein paar Leute, fühle mich wohl in der Region, zu der ich auch Mannheim und Heidelberg zähle. Wobei man da schnell das Bundesland wechselt.

GA: Ist das ein Problem?

Folkert: Man muss aufpassen, dass man nicht zwischen die „Fronten“ gerät. Ludwigshafen und Mannheim lieben sich wie Köln und Düsseldorf.

GA: Waren Sie heute eigentlich schon laufen?

Folkerts: Nein, es ist mir zu nass und finster draußen. Aber ich gehe gleich schwimmen. Ins Hallenbad natürlich.

GA: Aber Sie laufen im richtigen Leben, oder?

Folkerts: Ja, morgen wieder und gestern auch. Ich habe diese Angewohnheit meiner Fernsehrolle zur Verfügung gestellt, weil Lena Odenthal bitte schön agil sein sollte. Sie muss Verbrechern hinterher rennen und deshalb fit sein. Das steht der Figur gut.

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