"Ich bin gegen jede behäbige Gemütlichkeit"

FDP-Chef Guido Westerwelle ändert das Motto für den Kölner Parteitag, das jetzt "Vorfahrt für Arbeit" heißt - Scharfe Abgrenzung zur inneren Sicherheitspolitik der Bundesregierung und der Union: "Schily und Beckstein sind siamesische Zwillinge im Geist"

  Auf Distanz  zur Union, wenn es um die Bürgerrechte geht: Guido Westerwelle.

Auf Distanz zur Union, wenn es um die Bürgerrechte geht: Guido Westerwelle.

Foto: ap

Berlin. Vom 5. bis zum 7. Mai findet in Köln der 56. FDP-Bundesparteitag statt. Mit Parteichef Guido Westerwelle sprachen Ulla Thiede und Thomas Wittke.

General-Anzeiger: Wie schwer ist der Wandel vom Spaßpolitiker zum seriösen Liberalen?

Guido Westerwelle: Die FDP war immer eine Partei mit ernsten Inhalten und einem seriösen Programm. Ich werde mir es als rheinischer Liberaler aber auch in Zukunft nicht nehmen lassen, die Menschen in schweren Zeiten mit Optimismus und Fröhlichkeit zu überzeugen.

GA: Liberale Zukunftsfreude ohne FDP-Kanzlerkandidaten?

Westerwelle: Im Jahr 2002 sind wir ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf gegangen. Deswegen meine damalige Kanzlerkandidatur. Die Lage vor 2006 ist anders: Wenn wir mit einer Koalitionsaussage auf Gegenseitigkeit in den Wahlkampf gehen, dann macht nur ein FDP-Spitzenkandidat Sinn.

GA: Sind Sie zufrieden mit der öffentlichen Wahrnehmung der FDP?

Westerwelle: Das Bessere ist immer des Guten Feind. Mit den Wahlergebnissen der FDP bin ich allerdings ganz überwiegend zufrieden.

GA: Sind Sie, was Düsseldorf und Berlin angeht, uneingeschränkt zuversichtlich?

Westerwelle: Ja. Ich bin grundoptimistisch, weil ich fest davon überzeugt bin, dass die Menschen einen politischen Neuanfang wollen. Ein Neuanfang durch eine neue Regierung kann ein neues Wirtschaftswunder schaffen.

GA: Franz Müntefering hat seine eigenen Ansichten über die Schuldigen am ausbleibenden Aufschwung ...

Westerwelle: Schwarze Schafe gibt es überall, in der Politik wie in der Wirtschaft. Im Kern geht es doch darum, dass Herr Müntefering glaubt, Arbeitsplätze dadurch zu schaffen, indem er Unternehmer als Heuschrecken diffamiert. Investoren sind in Deutschland dringend nötig und herzlich willkommen, deshalb muss man sie einladen, nicht beschimpfen.

GA: Ist das bei Ihnen und der CDU nur Zuversicht oder Sieges-Besoffenheit?

Westerwelle: Die Disziplinlosigkeit in der Unions-Fraktion bei der Wahl des Wehrbeauftragten im Bundestag zeigt, dass sich einige zu sicher fühlen. Die SPD wird alles tun, um das Blatt zu wenden. Nehmen Sie die Anzeigenpropaganda-Serie der Steinkohleindustrie. Das wird aus Steuersubventionen finanziert, ist also im Prinzip eine Veruntreuung von Steuermitteln für den rot-grünen Wahlkampf.

GA: Die NRW-FDP dümpelt bei sieben Prozent: Schuld der Einkommensaffäre des Spitzenkandidaten?

Westerwelle: Ingo Wolf ist als Quereinsteiger in die Politik gekommen. Deswegen hat er Bezüge aus mehreren Ämtern. Er stiftet schon seit letztem Jahr ein Viertel seiner Bezüge für sozial schwache Kinder. Ich fordere die Grünen - an der Spitze Bärbel Höhn - auf, diesem guten Beispiel zu folgen. Solange sie das nicht tun, sollen sie besser schweigen.

GA: Es gibt in Düsseldorf unter keinen Umständen ein sozialliberales Bündnis?

Westerwelle: Richtig. Spätestens mit der Zustimmung von Herrn Steinbrück zum Müntefering-Klassenkampf ist das doch jedem klar: Das Gespenst Oskar geistert wieder durch die SPD.

GA: Sie schließen nicht aus, dass nach einer rot-grünen Wahlniederlage auch die Macht der Bundesregierung zerbröselt?

Westerwelle: Die Rede Franz Münteferings beweist doch, dass sich die SPD auf die Opposition vorbereitet. Der Bundeskanzler wird nach dem Scheitern der letzten rot-grünen Landesregierung in Düsseldorf die Vertrauensfrage stellen müssen. Damit könnte der Weg für Neuwahlen frei gemacht werden. Das wäre auch das beste - das rot-grüne Siechtum darf nicht noch anderthalb Jahre dauern.

GA: Auf dem Parteitag stellen Sie die Bürgerrechte stärker in den Mittelpunkt ...

Westerwelle: Wir haben mehrere Schwerpunkte: Wir halten es für sträflich, wie in Deutschland mit den Bürgerrechten umgegangen wird. Die Aufhebung des Bankgeheimnisses ist das letzte erschreckende Beispiel. Denn die Sicherheit wird dadurch nicht erhöht. Es gibt in Fragen der Inneren Sicherheit eine rot-grün-schwarze Koalition. Sie steht für den Raubbau an Bürgerrechten, ohne mehr Sicherheit zu schaffen.

GA: Würden Sie in einer Bundesregierung die Revision der Bankgeheimnis-Aufhebung durchsetzen?

Westerwelle: Ja. Es ist doch Realsatire, ein ganzes Volk unter den potenziellen Terror- oder Steuerhinterziehungsverdacht zu stellen. Und das ohne richterlichen Vorbehalt. Das ist empörend. Alle möglichen Behörden haben Zugriff auf die Eckdaten auf jedem Konto von jedem Deutschen. Das hat mit liberalem Rechtsstaat nichts zu tun.

GA: Werden Sie in einer christliberalen Koalition alles zum Thema Innere Sicherheit einer Prüfung unterziehen?

Westerwelle: Der gefährliche Abbau der Bürgerrechte muss rückgängig gemacht werden. Das gilt für das Bankgeheimnis, aber auch für das verfassungsmäßig fragwürdige Luftsicherheitsgesetz. Die Telefonüberwachungen nehmen dramatisch zu und die Sicherheitsbehörden legen keinen Erfahrungsbericht vor. Das hat einen Grund: Die Maßnahmen führen nicht zu mehr Sicherheit. Wir heben uns mit dieser Haltung klar von der Regierung, aber auch von der Union ab. Schily und Beckstein sind siamesische Zwillinge im Geist.

GA: Sie haben die CSU vor einer "Renaissance der Spießigkeit" gewarnt.

Westerwelle: Es wird mit der FDP keine gesellschaftliche Rolle rückwärts geben.

GA: Das weiß Herr Stoiber?

Westerwelle: Nicht nur er. Die Union weiß, dass es beispielsweise beim Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit der FDP keine Beschränkung zu Lasten des Kindeswohles geben wird.

GA: Wie gehen Sie auf Ihrem Parteitag mit der Wirtschaftssituation um?

Westerwelle: Wir werden unter anderem ein Konzept zur Unternehmenssteuerreform vorlegen, das dem alles überragenden Ziel dient: der Schaffung von Arbeitsplätzen. Deswegen haben wir das Motto des Parteitages gewählt: Es lautet "Vorfahrt für Arbeit". Der Bundespräsident hat mit seiner großen Rede eine Vorfahrtsregel für neue Arbeitsplätze gefordert. Wir fühlen uns diesem Ziel hundertprozentig verpflichtet und setzen deswegen unseren Parteitag unter dieses Motto.

GA: Bedauern Sie, am Jobgipfel im Kanzleramt nicht teilgenommen zu haben?

Westerwelle: Vorher war ich ein wenig ärgerlich. Jetzt bin ich heilfroh, für das sklerotische Ergebnis nicht mitverantwortlich zeichnen zu müssen. Das war kein Gipfel, sondern ein Job-Maulwurfshügel. Und das wenige, was dabei rausgekommen ist, soll jetzt auch noch zurückgedreht werden. Wenn die Bundesregierung die Körperschaftssteuer senkt und die Erbschaft bei mittelständischen Unternehmen erleichtert, werden wir das unterstützen und auch in diesen Fragen auf die Union einwirken. Wir blockieren nicht berechtigte Anliegen nur deshalb, weil sie von der Regierung kommen.

GA: Wie beurteilen Sie den Eichel-Vorstoß zur Gegenfinanzierung der Körperschaftssteuersenkung?

Westerwelle: Die FDP wird einen solide und seriös finanzierten Steuersenkungskurs ausdrücklich unterstützen - unabhängig davon, wie sich die Union verhält. Gleichwohl: Deutschland braucht mehr als Trippelschritte in die richtige Richtung.

GA: Haben Sie eigentlich schon ein Regierungsprogramm für 2006?

Westerwelle: Wir haben eine umfassende Steuerreform vorgelegt, werden die sozialen Sicherungssysteme generationsfest machen und die Bürokratie - auch und gerade auf dem Arbeitsmarkt - massiv abbauen. Wir wollen die neuen Technologien nach Deutschland holen, indem wir das Gentechnikgesetz aufheben. Und wir schaffen für mehr Qualität mehr Wettbewerb in der Bildungspolitik.

GA: Wie wichtig ist Ihnen schnelles Reformtempo?

Westerwelle: Beim Thema "Deutschland erneuern" bin ich schon wegen des internationalen Tempos gegen jede behäbige Gemütlichkeit.

Zur Person

Der 43-jährige Bonner Rechtsanwalt Guido Westerwelle ist seit einem Vierteljahrhundert FDP-Mitglied. 1994 wurde er Generalsekretär seiner Partei, seit Mai 2001 ist er deren Vorsitzender. Nach dem Ende der christdemokratisch-liberalen Regierung 1998 war er verantwortlich für einen langsamen Loslösungsprozess der FDP von der Union.

Der immer wieder wegen Führungsschwäche in der innerparteilichen Kritik stehende Westerwelle will seine Partei als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl 2006 führen.

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