Wir haben zu dienen

„Wer Musik machen will, muss auch etwas von Liebe verstehen“, sagt Enoch zu Guttenberg. Der Dirigent und Umweltschützer ist beim Beethovenfest zu Gast. Mit zu Guttenberg sprach Ulrich Bumann

 Musik braucht Liebe: Dirigent Enoch zu Guttenberg

Musik braucht Liebe: Dirigent Enoch zu Guttenberg

Foto: PA / dpa

In Bonn dirigieren Sie Beethovens relativ unbekanntes Oratorium „Christus am Ölberge“. War das Ihr Wunsch?

Guttenberg: Nein, das war der Wunsch von Ilona Schmiel, der Intendantin, die ich sehr gut kenne und sehr hoch schätze. Dieses Oratorium aufzuführen, ist schon eine spannende Geschichte. Es ist der junge Beethoven mit allen Ecken und Kanten – ein schwieriges, sperriges Stück, aber wahnsinnig liebevoll. Man spürt die ganze arme Seele Beethovens, die eigentlich in jedem Stück da ist und die er manchmal mit triumphaler Musik zu überdecken versucht. Diese arme geplagte Seele – das ist es, was mich an ihm am meisten fasziniert.

Sie gelten als musikalischer Erklärer. Braucht der Zuhörer Erklärung, Aufklärung?

Guttenberg: Reden wir doch mal von der Allegorienlehre. Früher waren jedem Menschen, der in einer protestantischen oder katholischen Kirche war, die Allegorien in der Musik oder auch in der Malerei bekannt. Dieses Wissen ist uns verloren gegangen. Wir brauchen es aber, um etwa Bach zu verstehen. Ein Beispiel: der Barabbas-Ruf aus der Matthäus-Passion. Für unsere Ohren ist das heute keine Dissonanz mehr, damals war es eine Dissonanz, die die Leute wahrscheinlich von den Stühlen gehoben hat. Entweder muss ich das dem Publikum heute erklären oder den Barabbas-Ruf so dirigieren, dass es die Leute wieder von den Stühlen hebt. Die Skandale, die bewusst komponiert worden sind, müssen als Skandale wieder spürbar werden.

Sehen Sie sich damit in einer Einzelposition?

Guttenberg: Das wäre vermessen. Für mich gab es, als ich jung war, zwei Schulen. Das eine war die Karajan-Schule mit ihrer Schönheit und ihrem Hochglanz, der Beethoven musste so klingen wie das Sportauto. Und dann gab’s Leonard Bernstein, der emotionalisiert hat bis zum Umfallen. Beide waren Weltklasse-Dirigenten. Und dann kam die dritte, für mich wichtigste Schule dazu, das war Nikolaus Harnoncourt, der große Revolutionär in der Musik. Und ich versuche jetzt, mir von diesen drei Schulen das herauszusuchen, was ich für die Musik als gut empfinde. Von Karajan die Perfektion, von Bernstein die Emotionalität, von Harnoncourt das Wissen – damit kann man sich auf einem richtigen Weg befinden. Ich glaube nicht, dass ich damit allein bin. Denken Sie zum Beispiel an diesen wunderbaren südamerikanischen Dirigenten Gustavo Dudamel.

Wie verstehen Sie sich selbst als Dirigent? Mehr Imperator oder mehr Moderator?

Guttenberg: Gewiss nicht als Imperator. Ich glaube – und das sage ich ohne Koketterie: Unser Beruf ist überschätzt. Einfach deswegen, weil wir zu dienen haben. Punkt. Und wir können ohne Liebe nicht Musik machen. Auch das ist eine Wahrheit. Der Satz ist nicht von mir, sondern von Bernstein, aber es ist einfach so.

Sie waren - oder sind es immer noch - berühmt-berüchtigt für politische Ansprachen vor oder im Konzert.

Guttenberg: So etwas darf man nicht inflationär betreiben, weil man die Musik nicht missbrauchen darf. Ich will nie Menschen in einem Konzert außermusikalisch provozieren. Wenn da jemand hingeht und sein Geld ausgibt, darf man ihn nicht verärgern. Auf der anderen Seite: Wenn man Haydns „Schöpfung“ oder „Jahreszeiten“ aufführt, finde ich es schon wichtig, dass man sagt: Meine Damen und Herren, zurücklehnen geht jetzt nicht. Das alles, was Sie hier in der Musik hören, ist schon kaputt.

Wir haben überhaupt nicht von ihrem Sohn gesprochen. Nervt es Sie, dass Sie so oft dazu gefragt werden?

Guttenberg: Ach, ich sage meistens: Bei Interviews bitte nichts über oder zu meinem Sohn. Ich liebe ihn über alles, das darf man ruhig öffentlich sagen. So sehr ich auf ihn stolz bin, so deutlich sage ich auch: Wir haben zwei sehr verschiedene Leben. Er ist Politiker. Ich bin auch Politiker, aber Umweltpolitiker, vor allem allerdings bin ich Musiker. Natürlich tauschen wir uns aus, und natürlich hole ich mir soviel Rat bei meinen Söhnen wie die bei mir, was aber in jeder anderen Familie auch so ist.

Zur PersonEnoch zu Guttenberg, 1946 in Guttenberg (Oberfranken) geboren, studierte Komposition und Dirigieren in München und Salzburg. Vor allem mit den ihm eng verbundenen Ensembles Chorgemeinschaft Neubeuern und Orchester der KlangVerwaltung fand der Dirigent internationale Anerkennung. Er ist Intendant der Festspiele Herrenchiemsee. Ausgezeichnet wurde zu Guttenberg unter anderem mit dem Deutschen Kulturpreis und dem Echo Klassik. Enoch zu Guttenberg gehört zu den Mitbegründern des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND). Er ist der Vater des Bundesverteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg.

Konzert-TippEnoch zu Guttenberg ist am 1. Oktober mit dem Orchester der KlangVerwaltung und der Chorgemeinschaft Neubeuern zu Gast in der Beethovenhalle. Auf dem Programm stehen Beethovens Oratorium „Christus am Ölberge“ und die „Nelsonmesse“ von Joseph Haydn.

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