"Altersgerechtes Wohnen ist zentrale Aufgabe" Harald Herrmann: Viele Akteure sind gefragt

Der Direktor des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung sieht großen Bedarf an seniorengerechtem Wohnen und reichlich Handlungsbedarf.

Harald Herrmann: "Beim selbstbestimmten Wohnen und Leben im Alter geht es um weit mehr als nur um Wohnungen."

Harald Herrmann: "Beim selbstbestimmten Wohnen und Leben im Alter geht es um weit mehr als nur um Wohnungen."

Foto: Milena Schlösser

Professor Herrmann, wie lässt sich der Bedarf beschreiben, geht es nur um Wohnungen?
Harald Herrmann: Beim selbstbestimmten Wohnen und Leben im Alter geht es um weit mehr als nur um Wohnungen. Neben einer altersgerechten Wohnung sollten möglichst viele Einrichtungen gut erreichbar sein. Haushaltsnahe Dienstleistungsangebote sind ebenfalls wichtig. Auch das ist ein Baustein, um die Teilhabe älterer Menschen am Leben im eigenen Stadtteil zu unterstützen.

Genauso wichtig ist es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir uns im Alter fortbewegen können. Wir benötigen barrierefrei zugängliche öffentliche Verkehrsmittel und wohnungsnahe Haltestellen. Altersgerechtes Wohnen ist eine zentrale Aufgabe der Stadtentwicklung, wobei viele Akteure gefragt sind.

Wie drängend ist das Thema „Schaffung von Wohnraum für das Alter“ bundesweit?
Herrmann: Das Thema wird weiter an Bedeutung gewinnen. Der Anteil der Älteren an der Gesamtbevölkerung nimmt zu. Bereits heute ist jeder fünfte Einwohner 65 Jahre und älter, im Jahr 2030 dürfte es laut der Bevölkerungsprognose des Statistischen Bundesamtes fast jeder dritte sein. Damit wächst natürlich der Bedarf an altersgerechten Wohnungen. Derzeit ist aber nur ein sehr kleiner Teil der Wohnungen in Deutschland altersgerecht.

Gibt es belastbare Zahlen, welche Investitionen nötig sein werden?
Herrmann: Berechnungen zufolge gab es im Jahr 2013 rund 700.000 altersgerechte Wohneinheiten in Deutschland. Dies entsprach nicht einmal zwei Prozent des gesamten Wohnungsbestandes. Experten gehen jedoch davon aus, dass wir bis zum Jahr 2030 etwa 2,9 Millionen altersgerechte Wohneinheiten benötigen werden. Und das kostet. Der geschätzte Investitionsbedarf beträgt rund 50 Milliarden Euro.

Wie stellt sich die Situation in der Region Bonn/Rhein-Sieg/Ahr dar?
Herrmann: Die ist vergleichbar mit der bundesweiten Entwicklung, wenngleich die Umlandkreise stärker als die eigentliche Kernstadt „altern“ dürften. Ein Beispiel ist etwa der Kreis Ahrweiler, der schon jetzt einen vergleichsweise hohen Anteil von Menschen im Rentenalter hat.

Inwieweit lässt sich der Immobilienaltbestand altengerecht sanieren?
Herrmann: Die Wohnungsbestände unterscheiden sich hinsichtlich des Baualters und der baulichen Merkmale stark voneinander. Aus diesem Grund sind die Bedarfe und Möglichkeiten der Anpassung sehr unterschiedlich und erfordern meistens einen individuellen Umbau. Zudem gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, wie sich eine Wohnung umbauen lässt. Kleinere Anpassungen sind in der Regel gut zu realisieren. Bei größeren Umbauten kommt es auf die Beschaffenheit der Wohnung an.

Welchen Mehrwert hat eine Gesellschaft, wenn sie in altengerechten Wohnraum investiert?
Herrmann: Die Gesellschaft insgesamt profitiert von Investitionen. Einer BBSR-Studie zufolge hätte der Heimeintritt von 15 Prozent der rund 1,8 Millionen häuslich versorgten Pflegebedürftigen im Jahr 2012 verhindert werden können, wenn diese in einer altersgerechten Wohnung gelebt hätten. Neben dem positiven Effekt, dass die Älteren im gewohnten Lebensumfeld bleiben können, hätte dies Einsparungen in Höhe von 5,2 Milliarden Euro jährlich bei der Unterbringung und Pflege zur Folge. Der Grund dafür liegt in den niedrigeren Kosten für die ambulante Pflege.

Harald Herrmann, geboren 1953 im hessischen Schlierbach, studierte Rechtswissenschaften in Mainz. Nach Stationen im Bundesverteidigungsministerium wechselte er 1991 ins Bundesbauministerium. Dort war er unter anderem als Referent im Ministerbüro und als Leiter des Referats "Bauwirtschaft" tätig. Von 1998 bis 2011 leitete Harald Herrmann die Zentralabteilung des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung.

Im November 2011 übernahm er die Leitung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Harald Herrmann ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern.

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