Veranstaltungsreihe "Denkraum" im Post Tower Reden, um Ängste abzubauen

Bonn · Im Post Tower diskutierten Bürger am Donnerstag über Chancen und Gefahren von Globalisierung und Digitalisierung.

An der Pinnwand kleben orangefarbene Zettel. Jemand hat geschrieben: "Keine Abschiebung bei einem gültigen Arbeitsplatz", "Interkulturelle Verständigung fördern". Es sind Lösungsvorschläge, die die Gruppe um Abdulmelek Deniz zusammengetragen hat. Zu den Themen "Integration und Migration" hat Deniz viel zu sagen, etwa dass sich Zugewanderte nie richtig zugehörig fühlen werden, wenn sie nicht arbeiten dürfen.

Im zweiten Stock des Bonner Post Towers diskutierte Deniz am Donnerstag im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Denkraum" über Globalisierung und Digitalisierung. Das Gesprächsformat findet seit vergangenem Jahr an verschiedenen Orten in Deutschland statt, erdacht hat es das Forum der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Es soll eine Art Denkfabrik für Bürger sein, die über die Zukunft nachdenken wollen.

"Wir leben in einer merkwürdigen Welt", konstatierte Frank Appel, Vorstandschef der Deutsche Post DHL Group. Politik, Unternehmen und die Medien erlebten eine Vertrauenskrise, obwohl sie - jeder in seinem Feld - Hervorragendes geleistet hätten: einen dritten Weltkrieg verhindert, zuletzt wieder Zehntausende neue Arbeitsplätze geschaffen und mit professioneller Berichterstattung zu einer transparenten Welt beigetragen. Appel beobachtet eine "Schizophrenie" in den westlichen Ländern. "Die Verunsicherung ist geringer in China und Indien."

Die Zuhörer im Post Tower wurden gleich zu Beginn gebeten, über ihre Smartphones mitzudiskutieren und Fragen einzureichen. Befragt nach ihrer Haltung zur Globalisierung, stimmten 32 Prozent für die Aussage, dass sie zu engeren Beziehungen innerhalb Europas geführt habe - nur so viel, möchte man sagen.

Der Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar, der an der Universität Hamburg lehrt, verteidigte die Globalisierung als "bestes Wohlstandsmodell aller Zeiten": "Das sieht man am besten an der Lebenserwartung: Sie ist dramatisch nach oben gegangen - weltweit." Das Problem: Auch die Ungleichheit sei gestiegen, aber nicht zwischen den Ländern, sondern innerhalb der Länder. Die höchsten Gehaltsgruppen hätten am meisten profitiert. Das werde als ungerecht empfunden: "Menschen rebellieren, wenn sie das Gefühl haben, es geht unfair zu." Straubhaar plädierte für ein neues Steuersystem: "Wir müssen alle Wertschöpfung gleichermaßen in die Pflicht nehmen und nicht Arbeit anders behandeln als Kapitaleinkommen."

Was passiert, wenn die Rechtspopulistin Marine Le Pen am kommenden Sonntag die Präsidentschaftswahl in Frankreich gewönne, mochten sich die Diskutanten lieber nicht vorstellen. "Da läuft es mir kalt den Rücken runter", bemerkte der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Straubhaars Werben für ein Bedingungsloses Grundeinkommen wollte Lambsdorff nicht unterstützen, aber er räumte ein: "Es ist etwas, über das man diskutieren muss."

Auch GA-Leser nahmen am "Denkraum" teil. Gisela Hein, Ratsmitglied in Swisttal, sagte: "Das Format hat mich angesprochen: dass hier unterschiedliche Menschen in den Austausch kommen." Gerhard Arndt, der früher für eine Medienagentur arbeitete, erklärte, die angesprochenen Themen müssten an alle Bürger herangetragen werden: "Ängste kann man nur abbauen, wenn man Wissen dagegensetzt. Digitalisierung darf kein Schlagwort bleiben."

Richtig zur Sache ging es in der Schlussrunde, als SPD-Generalsekretärin Katarina Barley die Rente mit 63 verteidigte und Postchef Appel ihr in die Parade fiel. Einig war man sich aber, dass Globalisierung und Digitalisierung als etwas Positives angenommen werden sollten. "Wandel ist die Ursuppe der Sozialdemokratie", so Barley. Es komme nur darauf an, ihn richtig zu gestalten.

Abdulmelek Deniz jedenfalls gefielen die Diskussionen "richtig gut". Der Auszubildende, dessen Eltern in den 90er Jahren aus der Türkei geflüchtet waren, zeigte seinen deutschen Ausweis, den er 2007 erhalten hatte. Neben der Ausbildung studiert er abends auch noch Business Administration. Er will aus seinem Leben etwas machen.

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