Buchbesprechung Die Faust im Bild

Joost Zwagermans bissige und spannende Satire „Duell“ über den internationalen Kunstbetrieb stellt das Schicksal von Mark Rothkos Gemälde "Untitled No. 18" in den Mittelpunkt

 Faszination Rothko: Blick auf ein Bild des Malers bei einer Sotheby's Auktion 2015.

Faszination Rothko: Blick auf ein Bild des Malers bei einer Sotheby's Auktion 2015.

Foto: picture alliance / dpa

Für einen Kunstfan, erst recht für einen Museumschef, ist das der Super-GAU: Plötzlich durchschlägt die eigene Faust die Leinwand eines Gemäldes. Und nicht nur irgendeines, sondern die des Bildes „Untitled N. 18“ von Mark Rothko. Ein geschätzte 30 Millionen Euro teures Meisterwerk. Jelmer Verhooff ist das passiert, und er spürte, „dass tief in seinem Inneren ein kleiner Knirps aufzustehen versuchte, der nach seiner Mutter rief“. Erinnerungen an ein kindliches Trauma werden wach: Jelmer will im Schwimmunterricht auftrumpfen, steigt auf den Sprungturm, springt, landet auf dem Bauch, kollabiert fast unter dem Gejohle von „achtundzwanzig Schülern mit Stielaugen“.

Die Novelle „Duell“ des niederländischen Autors Joost Zwagerman beginnt fulminant und temporeich mit der Schilderung dieses Doppeltraumas – und hält die Spannung bis zur letzten Seite hoch. „Duell“ ist ein Kunst-Thriller mit grotesken Slapstick-Elementen, ein Buch, das gleichermaßen witzig wie tragisch daherkommt. Und es ist eine herrliche, mit viel Sachverstand und tiefer Detailkenntnis geschriebene Satire über den Kunstbetrieb.

Die Eitelkeit und Hybris von Museumsdirektoren wird hier ebenso zum Thema wie die Arbeit verschrobener Restauratoren, die Kaltschnäuzigkeit stromlinienförmiger Kulturmanager und die Rücksichtslosigkeit einer Marketing-gesteuerten Kulturverwaltung. Auch deren Nachlässigkeit spießt Zwagerman auf: Denn hinter dem „Hollands Museum“, dessen Chef Verhooff in der Novelle ist, verbirgt sich das berühmte Stedelijk Museum in Amsterdam, das 2003 wegen Brandschutzauflagen geschlossen werden musste, dessen Umbau 2008 begann, immer wieder stockte, sich verzögerte, nach der Insolvenz der Baufirma sogar ruhte. Ende 2012 wurde das Stedelijk endlich feierlich wiedereröffnet.

2010 schrieb Zwagerman seine brillante Satire, die natürlich in der Kunstszene diskutiert wurde. Munter spekuliert etwa die im Kulturministerium für kulturelles Erbe zuständige niederländische Kunsthistorikerin und Publizistin Fransje Kuyvenhoven in ihrem Blog über Zwagermans Personal: Hinter Verhooff verberge sich Gijs van Tuijl (2005 bis 2010 realer Stedelijk-Chef), Verhooffs Ausstellung „Duell“ bringt Kuyvenhoven mit einem ähnlichen Projekt von Rudi Fuchs zusammen, und Verhoofs fiktiver Stichwortgeber Bernard Shorto (Buchtitel: „The End Of Art As We Know It“) sei, so die Bloggerin, in Wahrheit Arthur Danto mit seiner Schrift „After the End of Art“ (deutsch: „Das Fortleben der Kunst“, 2000).

Das Ende einer Kunst, wie wir sie kennen: Das ist das Schlüsselwort für Zwagermans halsbrecherischen Kunstkrimi. Denn Verhooff lädt junge Künstler ein, sich im leeren Stedelijk einem „Duell“ mit Meistern der Sammlung zu stellen. Emma Duiker, eine der jungen Künstlerinnen, wählt Rothkos Gemälde „Untitled No. 18“ von 1962 für ihren künstlerischen Showdown. Duikers Arbeitstitel: „Doppelgänger“.

„Zwei Farbflächen, blau und dunkelrot, wurden umrahmt von einem ruhig aufglühenden Gelb (...). Das Rot und das Blau schienen wie eine Landschaft in glühender Hitze zu flimmern – doch betrachtete man das Bild aus einem minimal anderen Blickwinkel, dann ergossen sich die beiden Farben über den Betrachter wie das kälteste Wasser, das man sich vorstellen kann.“ So schön beschreibt Zwagerman den Rothko.

Und so eine kalte Kunstdusche schockt bald auch den Museumsmann. Denn die reizende Duiker hat „Untitled No. 18 im Atelier minutiös und täuschend echt kopiert – nicht nur einmal. Sie hat in der „Duell“-Ausstellung Original und Kopie gemeinsam ausgestellt. Und sie hat – das ist Teil ihres künstlerischen Konzepts – nach Ende der Schau die Kopie im Stedelijk gelassen und das Original auf Reisen geschickt. „Ich gebe Rothko den Menschen wieder“, sagt Duiker dem entsetzten Museumsmann. Der macht sich konspirativ – immerhin steht sein Ruf auf dem Spiel – auf die Suche, erlebt haarstäubende Dinge, macht selbst vor kriminellen Kompromissen nicht halt. Die Geschichte endet nicht gut.

Zwagerman, der in seinen turbulenten Plot faszinierende, schlaue und ironische Gedanken zur Kunst und zum Kulturbetrieb einstreut, galt als eine der großen Hoffnungen der Literatur der Niederlande. Er galt. Denn kurz nachdem der Autor und sein Verlag in die Übersetzung von „Duell“ ins Deutsche für den Weidle Verlag eingewilligt hatten, setzte er 51-jährig im September 2015 seinem Leben ein Ende. Zwagerman hatte unter einer schweren Depression gelitten. Das ist das erschütternde Nachwort zum spritzigen Duell. Am 8. September 2015 kam sein Essayband „Die Stille des Lichts“ heraus. Zwagerman sollte darüber an diesem Tag im Radio sprechen. Er erschien nicht zum Termin.

Joost Zwagerman: Duell. Novelle. Aus dem Niederländischen und mit einem Nachwort von Gregor Seferens, Weidle Verlag, 156 S., 17 Euro

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