Kommentar zum Bundestrainer Was nun, Herr Löw?

Meinung | Bonn · Nach dem desaströsen Aus der DFB-Elf fordern viele die Ablösung des Bundestrainers. Doch ist das gerechtfertigt? Und wie sieht eine sinnvolle Nachfolge aus? GA-Redakteur Simon Bartsch warnt vor einem Schnellschuss.

Laut einer repräsentativen Umfrage ist das Urteil längst gefällt. 55 Prozent der Befragten fordern Joachim Löws Rücktritt. Aber ist das nicht etwas voreilig? Immerhin: Seine Bilanz ist beeindruckend. Unter Löw hat die DFB-Elf fünf Halbfinals bei EM oder WM in Folge erreicht. Von 101 Pflichtspielen hat er nur elf verloren.

Tatsächlich kann sich der Bundestrainer bei dem blamablen Vorrunden-Aus der WM nicht von Fehlern freisprechen. Im Gegenteil: Es gibt gleich mehrere Schuhe, die sich der Bundes-Jogi anziehen muss. Zum Beispiel taktische: Gegen die konterstarken Mexikaner spielte die deutsche Mannschaft zu offensiv, ließ erstaunliche Lücken im Defensiv-Verbund erkennen. Es wirkte, als habe sich Löw nicht ausreichend mit der Spielweise des Gegners auseinandergesetzt. Zudem funktionierte das Umschaltspiel nicht. Und das nicht erst in Russland. Löw hat offenbar nicht die richtigen Schlüsse aus der schwachen Vorbereitung gezogen. Gegen Südkorea fehlte es der deutschen Mannschaft zudem an einem Matchplan. Immer wieder rannte das Team an, zwingende Torchancen erspielte sich die DFB-Auswahl allerdings erst in der Schlussphase.

Insgesamt setzte der Bundestrainer bei der WM 20 Spieler ein. Einige aufgrund von Verletzungen, andere weil Löw einfach nicht die Erfolgsformel seines Teams gefunden hat. Außerdem ist da Löws Eigenschaft, an Altbewährten festzuhalten. Der Bundestrainer hat auf ein Gros seiner Weltmeister gesetzt. Dabei präsentierten sich unter anderem Thomas Müller, Sami Khedira, aber auch Mesut Özil bereits in der vergangenen Saison weit unter Normal-, geschweige denn WM-Form. Auch nach dem schwachen Auftritt gegen Mexiko ließ er Khedira und Özil wieder auflaufen. Über die Kadernominerung lässt sich streiten. Wer weiß, ob ein Leroy Sané mehr gebracht hätte als ein Julian Draxler. Einen Versuch wäre es zweifelsohne wert gewesen.

Löw allerdings die alleinige Schuld an dem blamablen Scheitern zu geben, ist zu einfach. Die Spieler waren nicht fit, wirkten lustlos, mitunter gelähmt. Vielleicht war die Bürde, als Weltmeister anzutreten, zu groß - vielleicht auch die Angst, Fehler zu machen.

Zweifellos hat es im Team nicht gestimmt. "Die Mannschaft", die 2014 vom Marketing-Slogan zum Synonym für den späteren Erfolg wurde, hat es nicht gegeben. Das #zsmmn, das das Projekt fünfter Stern sichern sollte, war nicht mehr als ein müder Abklatsch. Äußerungen von Mats Hummels und Thomas Müller lassen den Verdacht zu, dass es keine Einheit gab. Auch zwischen Oliver Bierhoff und Löw scheint es zu kriseln. Die Causa Özil/Gündogan hat als zusätzliches Störfeuer geschadet.

Nun ist das Geschrei nach einem Umbruch groß. Und ja: Nach dem desaströsen Auftritt der DFB-Elf ist dieser umungänglich. Doch über die Umsetzung sollte man sich ganz in Ruhe Gedanken machen, mehr als nur eine Nacht drüber schlafen. Denn eine entscheidende Frage, wäre nicht geklärt: Wer soll Löws Job übernehmen? Jürgen Klopp ist ein möglicher Kandidat, der allerdings mit Liverpool aktuell eine attraktive Aufgabe hat. Die Nagelsmann-Generation ist dann doch für den Job noch ein wenig zu grün hinter den Ohren. Naheliegend wäre die Beförderung eines Marcus Sorg oder von Stefan Kuntz. Ob Löws Teammitglieder aber wirklich einen kompletten Umbruch anstreben, ist zumindest fraglich.

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