Vor dem Spiel gegen Schweden Timo Werner will mehr WM-Atmosphäre erleben

Sotschi · Gegen die kantigen Schweden könnte Timo Werner zeigen, wie weit er im Jahr nach seinem Länderspieldebüt ist. Die ersten Eindrücke beim WM-Auftakt hat der deutsche Angreifer mittlerweile verarbeitet.

Der ganze Bombast, den das riesige Luschniki-Sadion in Moskau aufbaut, die trampelnden und trompetenden mexikanischen Fans in Fiesta-Stimmung, die flirrende Atmosphäre auf dem Rasen – all das muss einschüchtern und gleichzeitig faszinierend wirken auf einen jungen Kerl. Auf dieser imposanten Bühne war Timo Werner, 22, neulich einer der Protagonisten einer Aufführung, die das deutsche Fußballvolk mit einigem Erstaunen begleitete, und die nach dem Schlussakt bedacht wurde mit lauten Buhs. Seine Faszination hatte der Nationalspieler aus Leipzig aber nicht verloren für die Größe des Moments. Seines Moments. Natürlich haderte er mit der Niederlage, konnte sich aber daran erfreuen, bei seiner ersten WM, das erste Spiel bestritten haben zu dürfen.

Das müsse die WM-Atmosphäre sein, flüsterte Timo Werner am späten Sonntagabend in die Mikrofone, fasziniert wie ein junger Fan, der das erste Mal an der Hand seines Vaters ein Bundesligaspiel seines Lieblingsclubs besucht. Es sei etwas ganz besonderes gewesen dieser Auftritt vor 80000 Fans in Moskauer Stadion. „Die Stimmung war wirklich außergewöhnlich“, sagte er. „Das hat Lust auf mehr gemacht, deshalb wäre es schade, wenn es schon nach drei Spielen zu Ende wäre. Aber davon gehen wir auch nicht aus.“

Lust auf mehr

Der kleine schwäbische Bub, geboren in Stuttgart, ist nun angekommen in der großen Welt des Fußballs. Bei seinem Aufstieg legte er lange eine schnittige Rasanz an den Tag, die vermuten ließ, der Stürmer könne schon mit Anfang 20 in die Fußstapfen solcher Größen treten wie Uwe Seeler, Gerd Müller, Rudi Völler, Jürgen Klinsmann und Miroslav Klose. Doch sein steiler Aufstieg war keiner, der kerzengerade nach oben führte. Sein Weg glich einer turbulenten Achterbahnfahrt. Auf und nieder, und das immer rasend schnell, was auch sonst.

Ohnehin gibt sich Werner bevorzugt dem Rausch der Geschwindigkeit hin. Es heißt, er sei auf den ersten 30 Metern schneller als der schnellste Mann der Welt: schneller als Usain Bolt. Werner selbst sagt, dass sein Ansporn dabei immer das Tor sei: „Je näher man dem Kasten kommt, desto mehr Adrenalin pumpt sich durch meinen Körper.“ Der Rausch der Tiefe löst ihn dann ab, Werners speziellen Rausch der Geschwindigkeit. Und genau diese Vorzüge sind es, die Bundestrainer Joachim Löw so sehr schätzt an dem Leipziger: seine imposante Schnelligkeit, die er vorbildlich zu verbinden weiß mit den Läufen in die Tiefe.

Schwierigkeiten in Stuttgart

Deshalb wurde er auch zu Beginn seiner Karriere als Talent ohne Grenzen in der Stuttgarter Heimat gefeiert. 2013 wurde er durch seinen Einsatz im Spiel gegen Bayer Leverkusen mit 17 Jahren und 164 Tagen zum jüngsten Bundesligaspieler des VfB. Und so ging es weiter: Jüngster Bundesligatorschütze des VfB, jüngster Doppeltorschütze der Bundesliga, jüngster Spieler mit 50 Bundesliga-Einsätzen. Die allgemeine Erwartung jedoch, Werner zünde den Turbo und könne Mauern durchbrechen, erfüllte sich so schnell nicht. In Stuttgart hatte er schwere Zeiten zu durchstehen. Sportlich, klar. Aber er spürte auch den Argwohn einiger Arrivierter – das setzte ihm zu. Er wechselte nach Leipzig. „Ich hätte mir gewünscht“, sagt er neulich, „dass es manchmal nicht ganz so steil verläuft – und zwar nach oben wie nach unten.“ Heute aber sehe er das auch positiv, denn: „Diese Erfahrung schon gemacht zu haben, kann in Zukunft ein Vorteil sein.“

Auf eine andere Erfahrung, davon ist auszugehen, hätte er gerne verzichtet. Die deftigste nahm im Dezember 2016 seinen Lauf. Nach einer plumpen Schwalbe gegen Schalke 04 wurde Werner in den Stadien monatelang beschimpft und mit Schmähgesängen verunglimpft. Auch bei Länderspielen. Von den deutschen Fans. Die aber pfeifen heute längst andere aus wie Ilkay Gündogan.

Werner ist zurück auf der Schiene, dem Rausch der Geschwindigkeit hat er nie abgeschworen. Und der soll auch nach der Partie gegen Schweden am Samstag (20 Uhr) nicht nachlassen. Werner, dem es an Selbstbewusstsein nicht mangelt, hat sich ein klares Ziel gesteckt. Er will, so sagte er am Donnerstag, „Tore schießen, etwas anderes wird von uns nicht verlangt“. Er weiß um sein Anforderungsprofil, dass Löw über seine Stürmer erstellt. „Wir sind dazu da, das Spiel nach vorne anzukurbeln“, meinte er in Sotschi.

„Wir“, damit könnte er eben auch gemeint haben, an der Seite von Mario Gomez aufzulaufen. Hier der Strafraumspieler Gomez, dort der Tiefensprinter Werner. Das könnte klappen. Das sei zumindest immer eine Option, sagte Werner. „Mario und ich verstehen uns gut und wir können auch sehr gut zusammen vorne spielen.“ Dass er selbst spielt, das ist inzwischen keine Frage.

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