Trainingslager der Nationalmannschaft So geht Bundestrainer Löw in Eppan vor

EPPAN · Der Bundestrainer setzt im Trainingslager Südtirol auf Harmonie und teambildende Maßnahmen. Während die DFB-Auswahl in Ruhe arbeitet, ärgern sich Anwohner von Eppan über massive Einschränkungen.

Nein, dass diese zierliche ältere Dame mit den schlohweißen Haaren so richtig aus der Haut fahren kann, das war ihr nicht zuzutrauen. Doch Ingrid Klauser hat genug – schon am zweiten Tag. Was habe sie denn mit dem Löw zu tun?, fragt sie schimpfend, als sie an der riesigen Autoschlange zu Fuß vorbeihetzt, um endlich Antworten zu bekommen. Warum in aller Welt kommen die Autos auf dieser ansonsten spärlich befahrenen Straße, mitten im Landschaftsschutzgebiet gelegen, nicht vom Fleck? Rechts und links der Straße, ganz nahe dem Sportzentrum Rungg, nur hohe Bäume. Frau Klauser versteht die Welt nicht mehr.

Auch auf dem Weg zurück zu ihrem Auto ist ihre Wut nicht gemildert. Drei Kilometer von hier wohnt sie in der 15.000-Einwohner-Gemeinde Eppan mit ihren verstreuten Dörfern, die Straße immer bergauf. Doch dort kommt sie an diesem Mittag so schnell nicht hin. Sie muss warten wie alle anderen, denn die Straße ist gesperrt. „Sie haben uns versprochen“, sagt Frau Klauser, „dass wir keine Einschränkungen haben würden.“ Sie, das sind die Organisatoren, in deren Südtiroler Gemeinde die deutsche Nationalmannschaft zur WM-Vorbereitung Quartier bezogen hat.

„Wir haben von dem Trainingslager der Deutschen hier nichts“, wettert die ältere Dame weiter. „Nur die Hotels verdienen.“ Das Schimpfen bringt zunächst nicht viel. Denn weiter kommt niemand, nicht die Fans der deutschen Elf, die vielen Familien, die ihren Urlaub in Südtirol verbringen und schon gar nicht die Einheimischen – trotz wichtiger Termine wie bei Frau Klauser. Die Anrainer müssen wegen der Nationalmannschaft Umwege in Kauf nehmen und Ausweise herzeigen. Manchmal werden auch, wie an diesem Mittag, ganze Straßen gesperrt. Die heimische Bevölkerung muss sogar in ihrer Eigenschaft als Steuerzahler akzeptieren, dass die Gemeinde geschätzt einen mittleren sechsstelligen Betrag investiert hat, um die alten Bekannten aus Deutschland zum erneuten Kommen zu bewegen. Auch das ärgert Frau Klauser. Sie befürchtet weitere Ärgernisse, sagt: „Es hat ja gerade erst angefangen und dauert noch zwei Wochen.“

Trainingslager der Nationalmannschaft vor der WM in Eppan
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Vorfahrt genießt in den Trainingslagertagen bis zum 7. Juni vor allem einer: Joachim Löw. Am Ende der kleinen, tadellos asphaltierten Straße, die den Wald durchschneidet und direkt zur Sportzone Rungg führt, ist sein Hauptarbeitssitz in diesen Tagen. In diesem komfortablen Sportkomplex mit seinen fünf Plätzen und dem Sichtschutz stimmt er seine Spieler auf die WM in Russland ein. Bei der Eröffnungs-PK wirkte der DFB-Coach entspannt, als habe er von der Aufregung draußen nichts mitbekommen. Sein Fokus liegt auf dem Formen einer Mannschaft, die in der Lage ist, den WM-Titel sachgerecht zu verteidigen.

Teambildende Maßnahmen und die eine oder andere Fahrradtour

Löw setzt auf Harmonie. Das Schweißen einer Einheit ist sein vordringliches Ziel. Bei seinen bisherigen Turnieren, so glaubt er, ist ihm das ganz gut gelungen. Wie er das auch vor dieser WM in Russland erreichen will? Saunaabende wie etwa vor vier Jahren im Passeiertal, 50 Kilometer von Eppan entfernt, sind auch diesmal wohl Teil der teambildenden Maßnahmen. Oder die eine oder andere Fahrradtour. „Wir wollen jedem Spieler das Gefühl geben, wichtig zu sein, auch wenn er mal nicht spielt“, meinte Löw. Als bestes Beispiel eines löblichen Sozialverhaltens zog Löw Christoph Kramer heran, den Weltmeister von Rio. „Der hat immer gut trainiert“, sagte er, „und stand dann im Finale 2014 auf dem Platz. Wenn jeder Spieler den anderen mit Respekt behandelt, sind wir eine echte Mannschaft. Jeder hier ist ehrgeizig und kämpft um seine Position, aber alle respektieren sich.“

Kein Wunder, viele von ihnen spielen ja bereits seit glorreichen U21-Zeiten zusammen. Dass seine tragenden Teile wie Manuel Neuer, Mats Hummels, Mesut Özil und Sami Khedira nicht mehr im ganz jugendlichen Fußballeralter unterwegs sind, ist natürlich auch dem Bundestrainer bekannt. Verschleißerscheinungen hat er bei ihnen jedoch noch nicht ausgemacht. „Alle hatten ein paar Tage Pause und wissen, dass die Belastung hoch ist, aber auch dosiert wird. Wichtig ist, dass die Frische da ist, wenn es gegen Mexiko losgeht. Es ist bei keinem garantiert, dass er jedes Spiel macht.“ Eine Warnung an alle, sich nicht hängen zu lassen. Dass dies geschehen könnte, hält Löw selbstredend für Unfug. „Die Gier und der Ehrgeiz sind bei allen ungebrochen.“

Dennoch: Nach der WM ist vor der WM, und Löw hat ja gerade erst seinen Vertrag bis 2022 verlängert. Denkbar wäre es also, Löw würde auch das WM-Großprojekt in vier Jahren in Katar betreuen. Dass auch die „goldene Generation“ um Neuer dann dabei sein wird, hält er immerhin für fraglich. „Ich glaube, dass einige Spieler sich vielleicht mit dem Gedanken auseinandersetzen, ob das in Russland ihr letztes Turnier ist. Das weiß ich aber nicht. Das ist auch vorher kein Thema. Wenn es zur WM geht, stehen alle Spieler unter Strom.“

Unter Strom, so erlebt man Löw selten. Schon gar nicht in der Vorbereitung, die er zu seinem Fachgebiet erklärt hat. Ob er das Trainingslager aus Aberglauben wieder in der erfolgversprechenden Umgebung Südtirols aufgeschlagen habe, wurde er zum Schluss gefragt. „Nein“, sagt Löw lächelnd, „deswegen sind wir nicht hier.“

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