Ehemaliger Handballstar Stefan Kretzschmar: Mir ist wahnsinnig vieles peinlich

Frankfurt/Main · Zehn Jahre nach seiner Biografie hat Stefan Kretzschmar erneut ein Buch veröffentlicht. Darin schreibt er über die Faszination des Handballs, erzählt Anekdoten aus seiner Karriere und gibt selbstkritische Einblicke in sein Privatleben.

 Vermisste bei den deutschen Handballern zuletzt den Teamgeist: Stefan Kretzschmar.

Vermisste bei den deutschen Handballern zuletzt den Teamgeist: Stefan Kretzschmar.

Foto: Uwe Anspach

Im Interview der Deutschen Presse-Agentur anlässlich der Veröffentlichung seines Buches "Hölleluja" spricht der ehemalige Handball-Star Stefan Kretzschmar über eigene Fehler der Vergangenheit, den Handball in Deutschland und seine Erwartungen für die bevorstehende Heim-WM.

Sie blicken in ihrem Buch auf 25 Jahre im Handball zurück. Ist da etwas, von dem Sie sagen, das würde ich im Leben niemals wieder so machen?

Stefan Kretzschmar: Wenn ich zurückblicke, ist mir natürlich wahnsinnig vieles peinlich und unangenehm, weil es im Handball keinen größeren Schreihals und keinen größeren Phrasendrescher als mich gab. Ich habe so einen sinnlosen Müll teilweise von mir gegeben. Das war nicht marketingtechnisch gesteuert, sondern irgendwie mein Habitus in der Zeit zwischen Zwanzig und Dreißig. Aber das hat mir andererseits eine Entwicklung ermöglicht und mich auch zu dem gemacht, was ich jetzt bin. Und dort, wo ich jetzt bin, geht es mir sehr, sehr gut. Deshalb kann ich im sportlichen Bereich, auch wie ich mich da in der Öffentlichkeit präsentiert habe, im Nachhinein nichts Negatives abgewinnen.

Und im Privaten?

Kretzschmar: Da muss ich zugeben, dass ich nicht alles richtig gemacht habe. Ich habe meine Tochter zweimal verlassen, war nicht der perfekte Papa, wie man ihn sich im heutigen Gesellschaftssystem vorstellt. Dieser Aufgabe bin ich in diesem Rahmen nicht gerecht geworden. Ich versuche, dies jetzt zu korrigieren und der beste Vater zu sein. Aber da habe ich natürlich einiges versäumt. Das gibt man nicht gerne zu, weil es schmerzhaft ist. Aber es ist nun mal die Wahrheit. Ich bin nicht unbedingt stolz darauf, wie ich 15 Jahre lang durchs Leben gegangen bin.

Sie galten immer als Typ, der die Sportart durch sein Auftreten in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt hat. Fehlen dem Handball heute solche Typen?

Kretzschmar: Das ist ein Punkt, über den wir uns jahrelang schon Gedanken machen in unserem Sport. Wenn man sich umhört, dann sehnen sich die Menschen nach Typen wie Stefan Kretzschmar, Mario Basler oder Stefan Effenberg. Ganz ehrlich: Wir haben zwar Leistung gebracht, letztlich aber doch nur durch irgendwelche chaotischen Situationen oder Sprüche auf uns aufmerksam gemacht. Solche Leute würde man heute systematisch fertigmachen, gerade im Zeitalter von Social Media. Deswegen kann ich jeden Sportler verstehen, der sich nicht mehr zu weit aus dem Fenster lehnt, der sich auf keinen Fall mehr politisch äußert.

Zuletzt wurde viel über den Status der Handball-Bundesliga diskutiert. Was muss sich tun, damit sie nicht nur in der Breite die stärkste Liga der Welt ist, sondern auch wieder in der Spitze?

Kretzschmar: Die Debatte dürfte sich dieses Jahr - zumindest was Frankreich angeht - wieder erledigen. Ich glaube nicht, dass Titelverteidiger Montpellier und Vorjahresfinalist Nantes in der Champions League erneut eine große Rolle spielen werden. Paris ist sicherlich eine andere Hausnummer. Wenn du ein Budget von 20 Millionen Euro hast, dann wirst du im Handball auch Erfolg haben.

Ist die Bundesliga schon am Limit?

Kretzschmar: Ökonomisch gesehen, ja. Ich glaube, dass wir da nicht mehr viel verändern können, weil die Vereine vom Werbeetat an ihre Limits kommen. Du wirst in Flensburg keine 20 Millionen Euro generieren können. Das geht nicht. Flensburg arbeitet da schon am absoluten Maximum - genauso wie Kiel oder Berlin. Aber wir müssen das Image unserer Sportart verändern. Das heißt, wir müssen jünger werden, interessanter für die Kids. Da ist uns der Basketball voraus. Das ist die Herausforderung für die nächsten Jahre.

Zunächst steht im Januar erst einmal die Heim-WM an. Was kann die DHB-Auswahl bei der Endrunde erreichen?

Kretzschmar: Alles ist möglich - in die eine wie die andere Richtung. Wir haben eine gewisse Qualität an internationaler Klasse, wie wir sie in der Breite noch nie hatten. Aber du hast eben nicht diesen einen überragenden oder diese zwei überragenden Spieler, die das Heft in die Hand nehmen, wenn es mal knapp wird. Und jetzt musst du natürlich auf den Effekt einer Heim-WM setzen. Dass du gut ins Turnier startest, die Emotionen deines Landes mitnimmst, dass die Jungs zusammenwachsen.

Worauf wird es speziell ankommen?

Kretzschmar: Es muss sich jeder darüber bewusst sein - und das war bei der EM in Kroatien nicht so - dass es nur zusammengeht inklusive des Trainers. Diese Mentalität muss die Mannschaft entwickeln, dann ist durchaus etwas wie 2016 in Polen möglich, wo ja auch eine Mannschaft aus No-Names Europameister geworden ist.

Wer sind die größten Medaillenanwärter?

Kretzschmar: An erster Stelle Frankreich. Die sind nicht unschlagbar, aber die Topmannschaft und der Topfavorit. Die werden sicher das Halbfinale erreichen, dazu Co-Gastgeber Dänemark und Vize-Weltmeister Norwegen. Wir werden uns mit Spanien und Kroatien darum streiten, wer als viertes Team zur Vorschlussrunde nach Hamburg geht. Ich glaube, es wird ein riesiges Spektakel, bei dem unsere Jungs hoffentlich super performen. Ich hoffe, dass wir ins Halbfinale kommen. Das wäre großartig!

ZUR PERSON: Stefan Kretzschmar (45) absolvierte in seiner aktiven Zeit 218 Länderspiele, in denen er 821 Tore erzielte. Mit der DHB-Auswahl wurde er 2002 EM-Zweiter, 2003 WM-Zweiter und 2004 Olympia-Zweiter. Seine größten Erfolge mit dem SC Magdeburg waren der Gewinn der deutschen Meisterschaft 2001 und der Champions League 2002. Heute ist Kretzschmar TV-Experte und sitzt im Aufsichtsrat des Bundesligisten SC DHfK Leipzig.

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