Zum sechsten Mal Etappenort So prägte Bonn die Geschichte der Deutschland-Tour mit

Bonn · Die wiederbelebte Deutschland-Tour ist am Donnerstag und Freitag bereits zum sechsten Mal zu Gast in Bonn. In der Vergangenheit standen schon Jan Ullrich, Erik Zabel und ein Damenrad im Mittelpunkt.

Die Straßen sind staubig und trocken. Seit zwei Wochen hat es nicht mehr geregnet. Überhaupt ist dieser Sommer 1947 alles andere als angenehm. Die Hitze hält Bonn schon seit Anfang Juni in Atem. Die Stadt ist noch vom Krieg gezeichnet. Knapp drei Jahre zuvor hat ein Luftschlag die Innenstadt in Schutt und Asche gelegt.

Hermann Schwartz ist ein Visionär. Schon vor dem Krieg träumte er davon, ein großes Radrennen in Deutschland zu veranstalten. An diesem Traum hält er auch nach dem Krieg fest. In der britisch besetzten Zone organisiert er das Radrennen „Das Grüne Band vom Rhein“. Es ist ein Vorläufer der heutigen Deutschland-Tour, deren Geburtstag allerdings auf 1911 datiert wird. In sechs Kriterien werden 1947 rund 1000 Kilometer absolviert. 68 davon auf der zweiten Etappe in Bonn. Die Strecke ist nicht länger als 1,7 Kilometer, es werden Runden gefahren. Die Straßen sind gesäumt mit Zuschauern. Für die Bonner ist es ein kleiner Schritt zurück in die Normalität. Der Dortmunder Fritz Diederichs überquert die Ziellinie als Erster. Für den Gesamtsieg reicht es nicht, den sichert sich Erich Bautz.

Vier Jahre später befindet sich die Stadt im Wandel. Die ersten Botschaften haben sich angesiedelt, die provisorische Hauptstadt erwacht zum Leben. Allerdings ist das Stadtbild geprägt von Ruinen, Schuppen und Mauern. Am 24. Juli 1951 sind mehr als 25 000 Menschen in der City versammelt. Manche nutzen die Ruinen als Tribüne, andere stehen in Dreierreihen an der Römerstraße. Sie kann selbst der einsetzende Regen nicht abhalten. Die Bonner erwarten den Sieger der dritten Etappe der Deutschland-Rundfahrt.

Über 16 Etappen geht es von Hannover aus quer durch die Republik. Bonn ist Ziel-, aber auch Startort. An diesem Montag endet die 260 Kilometer lange Etappe auf der Römerstraße. Unter den Fans macht sich das Gerücht breit, dass der Bonner Jupp Sauerborn nach einem Ausreißversuch die Etappe gewinnen könnte. Doch Sauerborn befindet sich im Feld. Es ist der Belgier Raymond Impanis, der mit mehr als einer Minute Vorsprung Bonn schließlich als Erster erreicht.

Zuschauerin das Rad entrissen

Hinter Impanis überquert Hermann Schild als Zweiter die Ziellinie. Ein Raunen geht durch die Reihen, als der Belgier Roger Decorte das Ziel erreicht. Decorte war auf der Rheindorfer Straße gestürzt. Sein Fahrrad – ein einziger Schrotthaufen. Doch der Belgier ist ehrgeizig, kurzerhand entreißt er einer Zuschauerin das Fahrrad und radelt mit dem Damenrad als Fünfter über die Ziellinie. Sauerborn belegt Rang zwölf. Auch am Folgetag schauen die Radsportfreunde auf Bonn. Über 264 Kilometer geht es nach Mannheim.

48 Jahre müssen die Bonner Fans auf die Rückkehr der Deutschland-Tour warten – zumindest als Etappenort. 1999 ist es soweit. Nach 17 Jahren Abstinenz wird die Rundfahrt wieder ins Leben gerufen. Die Erfolge von Jan Ullrich und Erik Zabel und der damit ausgelöste Radsport-Boom machen es möglich. Und die Veranstalter lassen sich nicht lumpen und bescheren dem Hauptsponsor des erfolgreichen deutschen Radstalls, der Deutschen Telekom, ein Heimspiel auf Bonner Boden. Die letzte Etappe führt nach Bonn.

Doch diese Deutschland-Tour steht für den Bonner Rennstall unter keinem guten Stern. Auf der dritten Etappe stürzen Jan Ullrich und Rolf Aldag. Beide müssen das Rennen, aber auch einen Start bei der Tour de France aufgeben. Zudem kommt Erik Zabel nicht richtig auf Touren. Der Sprintstar muss sich gleich vier Mal von dem 21-jährigen Franzosen Jimmy Casper geschlagen geben. Einzig auf der sechsten Etappe von Koblenz nach Bensheim gewinnt Zabel.

Verkürzte Etappe durch Bombendrohung

In Bonn herrscht vor der Ankunft des Feldes Volksfeststimmung. Kletterwand und Hüpfburg stehen im Zielbereich, die Straßen sind voll von Menschen. Viele bekommen die Hiobsbotschaft gar nicht mit. Eine Bombendrohung ist bei der Polizei eingegangen. Um 17 Uhr soll eine Bombe im Maritim Hotel hochgehen. Die Polizei verkürzt das Rennen. „Wir wurden über den Streckenfunk informiert. Das ist halt höhere Gewalt“, sagt Telekom-Fahrer Udo Bölts. Auf der Friedrich-Ebert-Allee kommt es schließlich zur Massenankunft, wieder gemacht für die Sprinter, wieder kommt es zum Zweikampf Zabel/Casper, wieder ist der Franzose schneller.

Dennoch gibt es ein Happy End: Telekom-Profi Jens Heppner gewinnt die Gesamtwertung vor dem im Juli verstorbenen Andreas Kappes aus Köln. Das Sprintertrikot geht an Zabel. Die Bonner Verantwortlichen werden in höchsten Tönen gelobt. „Die Deutschland-Tour steht für mich auf einer Stufe mit der Tour de France, dem Giro und der Spanien-Rundfahrt“, sagt Bölts, und Schirmherr und Verteidigungsminister Rudolf Scharping macht den Bonnern Hoffnung: „Im nächsten Jahr wieder, unter Einschluss von Bonn. Die Resonanz hier ist einfach toll.“

Der Minister hält Wort. Die Tour 2000 beginnt dort, wo die Rundfahrt 1999 geendet hat: in Bonn. Mehrere Tausend Menschen sind auf den Münsterplatz gekommen, um die 142 Fahrer zu verabschieden. Über die Friedrich-Ebert-Allee geht es Richtung Bad Godesberg, dann über die B9 nach Remagen und Bad Breisig in Richtung Koblenz. Den Etappensieg sichert sich erneut Heppner. Er weckt die Hoffnungen der deutschen Fans auf einen weiteren Heimsieg. Schließlich macht jedoch Andreas Klöden den besseren Eindruck. Die Entscheidung fällt im Einzelzeitfahren auf der vorletzten Etappe. Überraschend setzt sich der Spanier David Plazza durch.

Keine Attacke von Ullrich gegen Leipheimer

Und Bonn? „Ich hoffe, dass die Stimmung bei Eröffnungsfeier und Start in die Streckenpläne der Organisatoren für das nächste Jahr eingeht. Man sollte die Symbolik mit Bonn und Berlin erhalten“, sagt Friedhelm Julius Beucher, der Sportausschussvorsitzende des Deutschen Bundestages. Doch die Organisatoren entscheiden sich gegen die ehemalige Hauptstadt. Erst im Jahr 2005 kehrt die Rundfahrt wieder nach Bonn zurück – wieder für die Zielankunft der Schlussetappe.

Und die Bonner können sich auf ein illustres Fahrerfeld freuen. Die Tour wurde aufgewertet, gehört 2005 zur Pro-Tour und ist damit interessant für die Top-Fahrer. Mit am Start Jan Ullrich. „Ich freue mich auf das Finale in Bonn. Wer auf der letzten Etappe jedoch eine Tour d’Honneur erwartet, liegt falsch. Heute wird noch einmal richtig hart attackiert“, sagt der Tour-Sieger von 1997 in seinem Gast-Kommentar im GA. Am Tag zuvor hat der Rostocker das Einzelzeitfahren gewonnen, der Rückstand auf den Gesamtführenden Levi Leipheimer vom Team Gerolsteiner beträgt rund 50 Sekunden. Das Profil nach Bonn ist nicht sehr anspruchsvoll. Doch vor der Telekom-Zentrale in Beuel will Ullrich vorne liegen.

40.000 Fans wollen das Finale am Bonner Landgrabenweg sehen. Der Gesamtsieg von Leipheimer gerät nicht mehr in Gefahr. Auch, weil Ullrich auf die versprochenen Attacken verzichtet. Den Sieg ersprintet sich Daniele Bennati, der souverän die Punktewertung gewinnt. „Bonn hat gezeigt, dass es ein guter Zielort ist“, sagt Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann. Man wolle sich auch in Zukunft bewerben.

Nachdem die Deutschland-Tour 2008 wieder eingestellt wird, lebt sie 2018 auf. Bonn ist am Donnerstag und Freitag Ziel- und Startort.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort