Mögliche Absage Bonner Sportler warten auf Entscheidung zu Olympia

Bonn · Abgesagte Qualifikationsturniere, Quarantäne, eingeschränkte Reisemöglichkeiten – die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele läuft für die Bonner Sportler alles andere als rund. Die Athleten aus der Region hoffen darauf, dass das Großevent in Tokio trotz der Coronakrise stattfinden kann.

 Trainingseinheit auf dem Rhein: Max Rendschmidt musste das Trainingslager Hals über Kopf verlassen.

Trainingseinheit auf dem Rhein: Max Rendschmidt musste das Trainingslager Hals über Kopf verlassen.

Foto: Bartsch

Die frühabendliche Sonne spiegelt sich im Rhein. Durchbrochen wird das idyllische Lichtspiel nur von dem rhythmischen Eintauchen eines Paddels. Doppel-Olympiasieger Max Rendschmidt trainiert zurzeit in Bonn. Große Menschenansammlungen meidet der 25-Jährige lieber, als eingeschränkt würde er seinen privaten Lebensablauf aber nicht beschreiben. „Ich gehe ganz normal einkaufen. Ich muss ja etwas essen“, sagt der Ramersdorfer gewohnt gelassen. Dabei war die vergangene Woche ungewohnt hektisch.

Denn eigentlich sollte sich Rendschmidt bis zum kommenden Donnerstag im Trainingslager in Spanien befinden. Doch das Coronavirus hat einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Es war schon während des Trainingslagers abzusehen, dass wir es möglicherweise früher abbrechen müssen“, sagt Rendschmidt. „Man hat uns gesagt, dass Spanien die Grenzen schließen würde. Wir haben am Freitag sicherheitshalber schon mal die Kanus in den Hänger gepackt.“ Nach dem Abendessen ging alles sehr schnell. „Wir haben einen Leihwagen und vier Taxen bekommen und sind noch in der Nacht nach Portugal gefahren.“ Am Samstag flog das Team zurück nach Deutschland. „Offenbar wurden kurz darauf die Grenzen geschlossen“, sagt Rendschmidt. „Das war schon eine extreme Anspannung.“

Angespannt ist die Situation auch in Tokio. Das IOC, aber auch die Veranstalter der Olympischen Spiele geraten aufgrund der Pandemie zunehmend unter Druck. Die Zahl der Infizierten in Japan ist überschaubar, die der durchgeführten Tests offenbar auch. Laut verschiedenen Medienangaben hat Japan mehr als 25 Milliarden Euro in die Spiele investiert, rund 17 Milliarden wären bei einer Absage verloren. Auch deswegen halten die Verantwortlichen am Terminplan fest. „Wir arbeiten mit vollem Engagement auf den Erfolg dieser Spiele mit der Eröffnungsfeier am 24. Juli hin“, sagte unlängst IOC-Präsident Thomas Bach. „Manche Äußerungen von Herrn Bach kann ich nicht nachvollziehen“, meint Ute Pilger, die Vorsitzende des Bonner Stadtsportbundes. „Die Athleten werden im Ungewissen gelassen. Es muss dringend eine Entscheidung her.“

So geht es zum Beispiel Pilgers Sohn Max. Der Schwimmer ist die Olympia-Norm bereits geschwommen, eine Absage der Spiele würde ihn hart treffen. „Er hat vier Jahre auf diesen Traum hingearbeitet. Jetzt weiß er nicht, was passiert. Es wäre vernünftig, sich zu rütteln, einmal durchzuatmen und in zwei, drei Tagen eine finale Entscheidung zu treffen.“

Sinnvoll wäre eine Verschiebung der Spiele, denn es stehen zahlreiche Qualifikationswettbewerbe aus. Aufgrund des Virus sind einige verschoben, andere komplett abgesagt. Die Chancen, sich jetzt noch zu qualifizieren, sinken von Tag zu Tag. Das gilt für die deutsche Handball-Nationalmannschaft genauso wie für die Taekwondoka. Yanna Schneider hat sich wenige Monate vor den Spielen in herausragender Form befunden. Unter anderem gewann die 23-Jährige die deutsche Meisterschaft. Die Teilnahme an den Spielen war schon vor dem Ausbruch des Virus unwahrscheinlich. „Man hat mir ganz klar gesagt, dass ich aktuell die Nummer zwei bin“, so Schneider. „Aber natürlich hat man immer die Hoffnung, doch noch mitzufahren.“ Eine Chance, sich zu beweisen, wäre die EM in Zagreb gewesen. Das Turnier wurde abgesagt. „Hätte ich den Titel in Zagreb geholt, wären das natürlich gute Argumente für mich gewesen.“ Das Event soll nachgeholt werden, auch damit kein Nachteil gegenüber bereits qualifizierter Sportler anderer Kontinente entsteht.

Es wird im Vorfeld der Spiele viel über Fairness gesprochen. Aufgrund der zahlreichen Absagen ist die allerdings nicht mehr gegeben. „Es gibt ja jetzt in vielen Teilen Europas Quarantäne, es werden zahlreiche Qualis abgesagt“, zählt Rendschmidt auf. „In Sachen Fairplay ist das natürlich schwierig. Gerade für potenzielle Wackelkandidaten. Für die ist das super schlecht. Dann wird wohl eher auf Sportler zurückgegriffen, die in der vergangenen Saison gute Leistungen gebracht haben.“ Max Hartung, der Athletensprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), sprach ebenfalls davon, dass durch Quarantäne und abgesagte Reisen keine gleichen Voraussetzungen unter den Sportlern herrschen würden. Auch er wünscht sich, dass es schnell eine Entscheidung in der großen Olympia-Frage gibt.

Die richtige Entscheidung kann laut der meisten Sportler nur eine Verschiebung der Spiele sein. In Zeiten der Isolation ist es kaum vorstellbar, dass 18.000 Athleten auf engstem Raum im Olympischen Dorf zusammensitzen werden. Zumal davon auszugehen ist, dass in anderen Teilen der Welt das Ansteckungsfenster von Corona noch nicht geöffnet oder die Spitze der Ausbreitung noch nicht erreicht ist. „Insofern kann es nur eine Verschiebung der Spiele geben. Es gab ja schon mal eine Verlegung der Winterspiele“, sagt Pilger und spricht den Rhythmuswechsel Anfang der 1990er Jahre an.

Bis 1992 wurden Sommer- und Winterspiele im gleichen Jahr ausgerichtet. Diesen Rhythmus änderte das IOC durch die Winterspiele 1994 in Lillehammer. „Man sollte die Sommerspiele um zwei Jahre verschieben und dann sollte der Rhythmus auf die kommenden Jahre angepasst werden“, so Pilger. „Es wird zahlreiche Sportler geben, die sich fragen: ‚Tue ich mir das noch einmal vier Jahre lang an?‘“

Max Rendschmidt wird voraussichtlich am Donnerstag nach Kienbaum aufbrechen. In dem Bundesleistungszentrum vor den Toren Berlins sollen sich die deutschen Olympioniken auf die Spiele vorbereiten (siehe Bericht auf dieser Seite). „Wir sind darüber mit dem DOSB und den Spitzensportverbänden in Sondierungsgesprächen“, sagte Kienbaum-Geschäftsführer Klaus-Peter Nowack dem SID. Eine finale Entscheidung sei angesichts der großen Herausforderungen dieses Plans noch nicht gefallen. Denn es gibt auch Kritik an dem Plan. Sollte sich ein Athlet mit dem Virus infizieren, könnte im Nu der ganze deutsche Kader betroffen sein.

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