Leichtathletik-WM Konstanze Klosterhalfen träumt von Medaille in Doha

Bonn · Am Mittwoch startet für Konstanze Klosterhalfen das Abenteuer Doha. Doch der Lauf über die 5000 Meter bei der Leichtathletik-WM wird von der Doping-Sperre des NOP-Chefs Alberto Salazar überschattet.

 Genießt den Erfolg: die Mittelstreckenläuferin Konstanze Klosterhalfen aus Königswinter.

Genießt den Erfolg: die Mittelstreckenläuferin Konstanze Klosterhalfen aus Königswinter.

Foto: dpa/Martin Rickett

Gerade einmal 750 Einwohner zählt der kleine Ort Bockeroth. In der beschaulichen Gemeinde der Stadt Königswinter kennt man sich - zwangsläufig. Hier ein Winken, da ein Plausch. Konstanze Klosterhalfen ist in dieser Idylle vor den Toren des Siebengebirges aufgewachsen. Ihre Familie wohnt dort, auf den langen Feldwegen mit Blick auf den Oelberg hat "Koko" ihre ersten Laufschritte absolviert, in der Nähe ist sie zur Schule gegangen. Nach wie vor spielt die Heimat eine große Rolle in ihrem Leben. "Hier bin ich groß geworden. Meine Familie ist für mich ganz wichtig. Auch wenn ich dieses Jahr nicht so oft daheim war", sagt Klosterhalfen. "Dann freue ich mich umso mehr, wenn meine Familie zu den Wettkämpfen kommt." Ein wenig Wehmut ist ihr anzuhören.

Klosterhalfen ist in der großen weiten Welt angekommen. Flugreisen, Höhentraining und Fernsehauftritte statt Klavier im heimischen Wohnzimmer oder Spaziergänge auf den Drachenfels. Die 22-Jährige ist spätestens seit ihrem Fabelrekord in Berlin im August dieses Jahres das Aushängeschild der deutschen Leichtathletik. Hier zahlreiche Medienanfragen, da ihr erster Ausflug an die Torwand des ZDF-Sportstudios. Klosterhalfen ist die Hoffnungsträgerin des deutschen Laufsports und trotz der afrikanischen Dominanz bei der WM in Doha eine Medaillenkandidatin - und die sind aus deutscher Sicht rar gesät. "Ich will meine beste Leistung zeigen und alles geben. Dann bin ich glücklich und zufrieden", sagt sie vor dem Vorlauf über die 5000 Meter am Mittwoch.

Eine bessere Leistung als bei den Finals im August? Um 15 Sekunden verbesserte die Mittelstreckenläuferin dort den deutschen Rekord über die 5000 Meter - für viele Zuschauer ein Quantensprung. Für das Umfeld um Klosterhalfen und Experten der Leichtathletik-Szene nicht.

Schon 2017 hat die Mittelstreckenläuferin eine Schallmauer durchbrochen. Die damals 20-Jährige lief als weltweit jüngste Athletin die 800 Meter unter zwei, die 1500 unter vier und 5000 unter 15 Minuten. 2018 warfen sie zwei Verletzungen zurück. Doch ihre Entwicklung ging trotzdem weiter. "Ich habe nun eine komplette Vorbereitung unter super Bedingungen durchziehen können und alle Wettkämpfe, ob in der Halle oder draußen, bestreiten können", so Klosterhalfen. "Das hat mir in meiner Entwicklung sehr geholfen".

Dennoch: Die Leichtigkeit ihres Erfolgs in Berlin war nicht nur beeindruckend, sie war atemberaubend. Nach und nach überrundete Klosterhalfen nahezu die gesamte Konkurrenz und riss dann im Ziel die Arme ungläubig in die Höhe. Ihr Erfolg weckt Begehrlichkeiten. Medienanfragen, Autogramme für die Fans. Und plötzlich liegt auf den Schultern der zierlichen jungen Frau eine fast nicht zu stemmende Erwartungshaltung. Zudem muss sie sich seit einem knappen Jahr unangenehmen Fragen rund um das Nike Oregon Project (NOP) stellen. Eben jenes Programm, das sie auf das nächste Level gehoben hat. Gegen den Chefcoach des Projekts, Alberto Salazar, gibt es Doping-Vorwürfe.

Für zusätzliche Brisanz sorgt die aktuelle Meldung, dass eben Salazar aufgrund von Verstößen gegen das Anti-Doping-Gesetz von der US-Anti-Doping-Behörde Usada für vier Jahre gesperrt worden sei. Klosterhalfen, die nicht von Salazar, sondern von Pete Julian in Oregon trainiert wird, geht souverän mit dem Thema um. "Jeder, der sich ein negatives Bild macht, soll doch erst einmal vorbeikommen und sich das anschauen. Ich kann nur Positives berichten", hatte Klosterhalfen im August im Sportstudio gesagt. Entgegen ihrer schüchternen Art und dem jugendlichen Auftreten wirkt sie in diesem Moment gereift, erwachsen.

Möglicherweise auch, weil Klosterhalfen einen großen Schritt gemacht hat. Ihr Lebensmittelpunkt liegt nun in Oregon, fernab der so geliebten Heimat im Siebengebirge. Sie ist auf sich alleine angewiesen, in einem hochprofessionellen Umfeld. Die persönliche Entwicklung eine Folge. Das gilt aber eben auch im sportlichen Sinn. Das NOP bietet der 22-Jährigen ganz neue Möglichkeiten. Sie trainiert mit einer Weltklasse-Trainingsgruppe unter einzigartigen Bedingungen. Gemeinsam mit dem Sponsor Nike suchte das Team um Klosterhalfen eine Möglichkeit, sie auf das nächste Level zu heben. Der Kontakt zum NOP entstand. Trainer Pete Julian hatte sie nicht erst seit ihrem beeindruckenden Jahr 2017 auf dem Schirm. Ihr unglaubliches Potential zeigte Klosterhalfen unter anderem bei der WM in London.

Am Mittwoch stehen mit den Vorläufen über die 1500 und 5000 Meter Klosterhalfens Spezialdisziplinen auf dem Programm. Die Königswintererin geht über die 5000 Meter an den Start. Meldungen über beide Distanzen wären nicht zielführend, da die Vorläufe am Mittwoch, aber auch die Endläufe am Samstag innerhalb weniger Stunden gelaufen werden.

Bis zum Dienstag wurde fleißig gepokert. Auch, um den stärksten Rivalinnen aus dem Weg zu gehen. So wie ihrer Teamkollegin Sifan Hassan aus dem NOP. Nach dem Erfolg über die 10 000 Meter hat sich die Niederländerin für die 1500 Meter entschieden. Die Chancen auf Edelmetall stehen für Klosterhalfen gut. Da auch die Top-Läuferinnen Letesenbet Gidey und die Titelverteidigerin Hellen Obiri die 10 000-Meter bereits in den Beinen haben.

Nach Doha kann Klosterhalfen die Saison austrudeln lassen. Ein Heimatbesuch ist spätestens zu Weihnachten eingeplant. Die Ruhe vor dem Sturm. Denn 2020 steht der nächste Höhepunkt auf dem Programm an. Bei den Olympischen Spielen in Tokio könnte Klosterhalfen zu einem weiteren Höhenflug ansetzen. Bei der rasanten Entwicklung ist alles möglich.

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