Interview mit Michael Scharf "Ich behaupte: Er hat keinen Vorteil"

KÖLN · Als Leiter des Olympiastützpunktes Rheinland (OSP) betreut Michael Scharf in Köln olympische wie paralympische Athleten. Die Entwicklung von Markus Rehm verfolgt er seit den Anfängen - selbstverständlich auch am Wochenende, als der unterschenkelamputierte Weitspringer bei den Deutschen Meisterschaften souverän zum Titel sprang und so in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte. Mit Scharf sprach Tanja Schneider.

Was haben Sie gedacht, als sie gehört haben, dass Markus Rehm deutscher Meister ist? Hatten Sie ihm das zugetraut?
Michael Scharf: Mir war seit der Olympiasaison 2012 klar, dass Markus das Vermögen hat, über die 8,00 Meter zu springen, womit er in jedem Männerfeld wettbewerbsfähig ist. Schön dass es in Ulm mit solch einer tollen Bestleistung gereicht hat. Ich freue mich sehr für Markus, denn er ist ein ambitionierter Athlet der sehr hart für seine Ziele arbeitet und langfristig plant und trainiert!

Hat der DLV ihm das nicht zugetraut - und deshalb noch nicht untersucht, ob er wegen oder trotz Prothese so weit springt?
Scharf: Es gehört sicher nicht zu den bisherigen Aufgabenfeldern, sich verstärkt mit dem Thema Inklusion zu beschäftigen, obwohl das Thema spätestens mit der Zulassung von Oscar Pistorius auf der Agenda aller Leichtathletikverbände hätte stehen müssen. Daher kommt der DLV jetzt in Zeitdruck. Aber wichtig ist doch unterm Strich, dass sich der Sport dem Thema vorurteilsfrei stellt und den Eindruck habe ich aktuell beim DLV.

Was, glauben Sie, kommt bei den Untersuchungen raus? Hat er einen Vorteil oder nicht? Oder kann man ihn gar nicht mit den gesunden Sportlern vergleichen?
Scharf: Mit dem Wissen um die Pistorius-Studie behaupte ich, er hat keinen Vorteil! Meine Behauptung beruht auf der Tatsache, dass wir den Weitsprung als gesamte Bewegung sehen müssen und der besteht aus Anlauf, Absprung und Flugphase. Den Vorteil, den Markus beim Absprung möglicherweise hat, hat er als Nachteil im Anlauf während die Flugphasen vermutlich keine Unterschiede bringen. Letztendlich steht hinter allem die Frage, ob die Verbände offen sind für die Inklusion.

Was glauben Sie? Nimmt Markus Rehm an der EM teil?
Scharf: Ich würde mir sehr wünschen, dass Markus bei der EM starten darf, glaube aber die Verbände werden dies aktuell nicht genehmigen, da nicht genügend wissenschaftliche Daten zur Verfügung stehen. In dem Fall hoffe ich, dass aufgeschoben nicht aufgehoben ist. Vom Trainingspensum her gibt es kaum noch Unterschiede zwischen Paralympischen und Olympischen Athleten. Ich würde mich freuen, wenn Markus starten darf. In jedem Fall habe ich großen Respekt vor seiner Einstellung und der Tatsache, dass er das Thema bis zur Entscheidungsreife vorangebracht hat!

Zur Person

Michael Scharf (51) war von 1996 bis 2012 Vorsitzender der SSF Bonn und ist seitdem Ehrenvorsitzender des größten Bonner Sportvereins. Der Vorsitzende des Stadtsportbundes Bonn war in den 80er Jahren einer der besten deutschen Modernen Fünfkämpfer, vierfacher deutscher Mannschaftsmeister, 1987 Einzelmeister und vor Olympia 2004 in Athen zwei Jahre Frauen-Bundestrainer. Seit 2004 ist er Leiter des Olympiastützpunktes Rheinland.

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