GA-Sonntagskicker - Folge 39 Glück in alten Fußballschuhen

SANKT AUGUSTIN · 20 Flüchtlinge spielen seit dieser Saison in einer eigens für sie eingerichteten Mannschaft beim FC Sankt Augustin. Sportlich läuft es gut, für den Verein gibt es jedoch auch einige Hindernisse zu überwinden.

 Früher in der ersten syrischen Liga, heute in der Kreisliga C: Ali ist einer der Besten beim FCA.

Früher in der ersten syrischen Liga, heute in der Kreisliga C: Ali ist einer der Besten beim FCA.

Foto: Matthias Kirch

Zu Trainingsbeginn um 18 Uhr sind erst sechs Fußballer der dritten Mannschaft auf dem Gelände des FC Sankt Augustin eingetroffen. Die anderen Spieler trudeln nach und nach ein, sie kommen mit dem Fahrrad von ihren Deutschkursen. Wenn man den Rufen auf dem Sportplatz lauscht, hört man trotzdem wenig Deutsch. In der Mannschaft wird hauptsächlich arabisch gesprochen, es ist die einzige Sprache, die jeder versteht. Neben der Sprache haben die 20 Spieler, die am Ende auf dem Feld stehen, noch etwas gemeinsam: Sie alle sind Flüchtlinge.

Bis vor etwa drei Monaten trainierte das Team von Coach „Fadi“ Haytham Haaj Hassan noch beim VfR Hangelar. Zu dieser Saison wechselten die Fußballer aber nach Sankt Augustin, wo sie am Spielbetrieb der Kreisliga C teilnehmen dürfen. Die Ergebnisse können sich sehen lassen: Nach zwei Niederlagen und einem Unentschieden zum Saisonbeginn holten sie aus den letzten vier Partien neun von möglichen zwölf Punkten. Nun befindet sich das Team im Tabellenmittelfeld, das letzte Spiel wurde deutlich mit 8:4 gewonnen.

Dass so viele Tore fallen, ist in unteren Spielklassen üblich. Für Trainer „Fadi“ hat das aber auch einen anderen Grund: „Fußball in Deutschland ist ganz anders als im arabischen Raum“, sagt er. „Hier ist es viel taktischer, dort geht es einfach nur darum, zu spielen.“ Er kennt den Unterschied nicht nur von der Trainerbank. Haaj Hassan kam vor 21 Jahren aus Palästina nach Berlin. In der Hauptstadt ging er mehrmals zu Probetrainings beim damaligen Drittligisten Tennis Borussia, entschloss sich aber dagegen, dort zu spielen. „Ich war jung und hatte keine Lust auf so viel Training. Das war immer wie eine Prüfung“, blickt der 42-Jährige zurück.

Auch bei seinen Spielern sieht er das Potenzial, in höheren Ligen zu kicken: „Fünf oder sechs könnten in der Landesliga spielen, sogar sofort.“ Vor allem technisch sind sie sehr begabt, drei Spieler liefen in der Heimat in der ersten Liga auf. Einer von ihnen ist Ali. Der Mittelfeldmann hat sich in der neuen Heimat feste Ziele gesteckt. „Ich bin in der Schule und mache danach eine Ausbildung. Und Fußball will ich spielen“, meint er mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Der Sport hilft der bunt gemischten Truppe, bestehend aus Syrern, Irakern, Iranern, Marokkanern, Afghanen und Eritreern, ihre Probleme auszublenden. Neben dem Erlebten auf der Flucht gibt es auch in Deutschland große Hürden. Der Verein versucht seine Spieler so weit wie möglich dabei zu unterstützen, diese zu meistern. Man erhebt keinen Mitgliedsbeitrag, stattet sie mit Sportklamotten aus und hilft bei der Wohnungssuche.

Wenn ein Flüchtling zu viel Zeit benötigt, um einen festen Wohnsitz zu finden, werde er „transferiert“, erzählt „Fadi“. So war es vor Kurzem auch bei einem seiner Spieler: „Wir wollten ihm gerade einen Spielerpass ausstellen, dann wurde er vom Amt nach Siegen geschickt“, berichtet Niko Pasaportis, Beisitzer in der Jugendabteilung des Vereins und tatkräftiger Unterstützer des Projekts. Pasaportis ist einer derjenigen, die dafür sorgen, dass die Mannschaft zu ihren Auswärtsspielen kommt. Keiner der Spieler hat ein Auto, und so müssen andere Vereinsmitglieder das Team quer durch den Rhein-Sieg-Kreis fahren.

Uwe Schmitz, Jugendleiter des FCA, beschreibt die Situation so: „Wir haben bei jedem Spiel Probleme, die Jungs mitzukriegen“, und Pasaportis ergänzt: „Gegen Mühl-eip mussten wir vier Spieler am Sportplatz stehen lassen, weil wir nicht genug Autos hatten.“ Um dieses Problem aus der Welt zu schaffen, versucht der Verein händeringend, einen Kleinbus für die Spieltage zu leihen. Dass die Mannschaft überhaupt zu Spielen fährt, ist das Resultat großer Anstrengungen: „Für alle einen Spielerpass zu bekommen, war nicht nur finanziell, sondern auch organisatorisch eine Mammutaufgabe“, berichtet Günter Sandhövel, Geschäftsführer des FCA.

Wenn ein Verein bei der Passstelle in Duisburg eine Spielberechtigung für einen Flüchtling beantragen will, müsse er nachweisen, wann dieser das erste Mal nach Deutschland gekommen ist. Erst dann kontaktiere der Verband sein jeweiliges Pendant im Herkunftsland. Erhält man nach 30 Tagen keine Antwort, werde der Pass ausgestellt. „Wir haben über den DFB von keinem Land eine Antwort über die bisherigen Stationen bekommen“, sagt Sandhövel.

Doch nicht nur die Verantwortlichen im Verein helfen dabei, den Flüchtlingen das Fußballspielen zu ermöglichen: Ein Spieler der ersten Mannschaft vermachte einem Akteur der dritten Mannschaft seine ausgemusterten Schuhe. Genau diese Art der Unterstützung erhofft sich der FCA noch häufiger. „Manche Spieler sind mit ihrer Familie hier und bekommen nur 300 Euro im Monat. Das reicht nicht, um sich Fußballschuhe zu kaufen“, sagt Trainer Haaj Hassan. Unabhängig von der Qualität der Ausrüstung sind die Flüchtlinge glücklich, überhaupt in einer Liga spielen zu können.

Für die laufende Saison wäre ein Aufstieg als Ziel zu hoch gesteckt. Nächstes Jahr soll der Angriff gestartet werden. „Neue Saison, neue Chance“, sagt Schmitz. Auch Sandhövel zeigt sich optimistisch: „Das geht nicht von heute auf morgen, aber wir kommen schon dahin, wo wir hin wollen.“⋌

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