GA-Serie "Auf dem Weg nach Rio" Ein bemerkenswertes Comeback

BONN · Nach langer Krankheitspause überraschte der Bonner Brustschwimmer Max Pilger bei den deutschen Meisterschaften in Berlin mit Platz drei, verpasste aber das Olympiaticket. Stattdessen fährt er zur EM.

Hat sich eindrucksvoll zurückgemeldet: Max Pilger

Hat sich eindrucksvoll zurückgemeldet: Max Pilger

Foto: Joseph Kleindl

Der Volkspark Prenzlauer Berg ist ein beliebtes Berliner Naherholungsgebiet – errichtet auf dem Schutt, der nach dem Zweiten Weltkrieg dort abgelagert wurde. Ein Eldorado für Spaziergänger und Jogger. Nur ein paar Hundert Meter entfernt lagen am Sonntag in der futuristischen Schwimmhalle des Europaparks sportliche Hoffnungen und vielleicht sogar Karrieren buchstäblich in Trümmern. Die jahrelange Schinderei für das Lebensziel Olympia – vergebens. Bei den deutschen Schwimm-Meisterschaften zerplatzten viele Träume.

Auch Max Pilger musste sich von seinen leisen Hoffnungen, vielleicht doch noch die Bordkarte für den Rio-Flieger zu ergattern, verabschieden. Und dennoch war der für die SSF startende Bonner unter denen, die an der Olympianorm verzweifelten, ein Gewinner. Der 20-Jährige holte Bronze auf seiner Paradestrecke 200 m Brust, hinter Welt- und Europameister Marco Koch und dem Überraschungszweiten Fabian Schwingenschlögl. Mit 2:12,01 Minuten lag Pilger zwar im Finale rund 1,6 Sekunden über der Rio-Qualifikationszeit, Familie und Freunde aber durften nach Monaten des Mitleidens angesichts der langen Krankheitspause erleichtert konstatieren: Max ist zurück.

Mutter Ute Pilger, selbst ehemalige Leistungsschwimmerin, war noch am Tag danach aufgewühlt. „Max hat gezeigt, dass er ein Kämpfer ist. Viele haben auf ihn geguckt: Packt er es noch mal? In dem Alter und nach der Vorgeschichte kommt es ja häufiger vor, dass man die Flinte ins Korn wirft. Dass Max dann eine solche Leistung abgerufen hat, davor kann ich nur den Hut ziehen.“

Sechs Monate hatte der Bonner im vergangenen Jahr wegen körperlicher Überlastung und einer langwierigen Infektion aussetzen müssen. Couch statt Startblock. Pilger, in den vorläufigen Ruhestand versetzt, legte die Füße hoch oder fuhr Rad. Für einen, dessen Lebensrhythmus durch den Sport bestimmt wird, kommt dies einer Höchststrafe gleich. Aufhören, alles hinwerfen? Auch wenn es diese trüben Gedanken gab, hat er sie schnell wieder verdrängt. Dafür ist Schwimmen zu sehr Teil seines Lebens.

Die Gefühlslage nach den Tagen von Berlin beschreibt er selbst als zwiespältig. „Einerseits traurig, weil es nicht gereicht hat. Ich hatte schon ein wenig mit Rio geliebäugelt. Andererseits: Nach nur vier Monaten Training diese Zeit, das war richtig gut.“ So gut, dass die Belohnung nicht lange auf sich warten ließ. Bundestrainer Henning Lambertz nominierte Pilger für die Europameisterschaft in London, bei der die Schwimmwettkämpfe Anfang nächster Woche beginnen. Pilger startet über 50, 100 und 200 m Brust. „Ein Riesenschritt für mich. Ich repräsentiere Deutschland erstmals im Herrenbereich, wir schwimmen im Olympiabecken von 2012 – eine coole Sache“, schwärmt der frühere Jugendeuropameister.

Er macht weiter, das Fernziel für ihn könnte Tokio 2020 lauten. Andere wie sein Trainingspartner bei der SG Essen, Christian vom Lehn, werden sich fragen, ob die Spiele in Japan noch als Anreiz taugen, die Karriere fortzusetzen. Sein Aus über 200 m Brust war eine der großen Überraschungen dieser Meisterschaften.

Die Vorlauf-Mindestzeit für Olympia (2:12,02) hatte der Kumpel noch geknackt – im Gegensatz zu Pilger (2:13,24). Doch im Finale als Teil zwei der Olympia-Quali spielten dem Essener die Nerven einen bösen Streich. Als ob er eine Bleiweste mit sich geschleppt hätte, blieb vom Lehn in 2:12,07 weit über der geforderten Norm. Totalschaden auf dem Weg nach Rio. „Ich war geschockt“, sagte Pilger. „Christian war auf einem hohen Level. Auch unsere Trainerin Nicole Endruschat war mit den Nerven am Ende.“

So wird in Rio über Pilgers Spezialstrecke 200 m Brust nur Marco Koch die deutschen Farben vertreten. Der Darmstädter Ausnahmeschwimmer hatte zwar im Vorlauf nur einen besseren Trainingswettkampf absolviert und in 2:12,51 die Quali-Zeit für Rio nicht geschafft, besitzt aber den Weltmeister-Bonus und hat damit das Ticket in der Tasche. Zu welchen Zeiten er fähig ist, bewies er im Finale, als er die Konkurrenz in 2:07,88 distanzierte. Zum Vergleich: Der Weltrekord des Japaners Akihiro Yamaguchi liegt bei 2:07,01.

„Marco ist ein Supertyp“, sagt Pilger. „Gutherzig, sehr offen, er ist einer, der sich für die Probleme anderer interessiert.“ Und so fragte der Weltmeister auch bei seinem jungen Konkurrenten immer wieder nach, wie es ihm gesundheitlich gehe, gab Tipps. „Er hat sich gefreut, dass ich wieder zurück bin“, sagt Pilger.

Vielleicht stößt der Bonner ja irgendwann selber in die Leistungsbereiche der großen deutschen Olympiahoffnung vor. Koch ist 26 und im besten Schwimmeralter. Max Pilger hat also noch viel Zeit. Dass er eine Kämpfernatur ist, hat er in den letzten Monaten nachdrücklich bewiesen. Im August, wenn die Spiele in Rio beginnen, wird ihn noch einmal die Wehmut packen. Ohne die lange Zwangspause wäre sein Olympia-Traum womöglich schon jetzt in Erfüllung gegangen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Berechtigte Ausgrenzung
Kein Platz für Müller im DFB-Team Berechtigte Ausgrenzung
Aus dem Ressort