GA-Interview mit Arnd Schmitt "Der Zustand des Fechtens ist desolat"

Bonn · Die großen Zeiten der Fechter sind längst vorbei, die Olympischen Spiele 2016 in Rio finden weitgehend ohne deutsche Teilnehmer statt. Mit Arnd Schmitt, Olympiasieger 1988 und 1992, sprach der GA-Sportchef über Spitzensportförderung und den desolaten Zustand des Fechtens.

 Arnd Schmitt im Interview mit GA-Sportredakteur Berthold Mertes.

Arnd Schmitt im Interview mit GA-Sportredakteur Berthold Mertes.

Herr Schmitt, ist es heutzutage schwieriger als zu Ihrer Zeit als Spitzensportler, sich durchzusetzen?
Arnd Schmitt: Ich weiß nicht, ob man das so vergleichen kann. Um Studium und Sport unter einen Hut zu bringen, war früher mehr Eigeninitiative gefragt.

Aber der Druck auf die aktuelle Generation ist größer, oder?
Schmitt: Absolut. Die Luft wird dünner, was den beruflichen Rahmen betrifft. Genau deshalb haben wir mit der Sportstiftung NRW als Ergänzung zur finanziellen Förderung durch die Deutsche Sporthilfe das Modell der Zwillingskarriere eingeführt – es dient inzwischen bundesweit als Vorbild.

Was verbirgt sich dahinter?
Schmitt: Der Gedanke, dass Ausbildung und Sport im Sinne einer dualen Karriere Hand in Hand gehen müssen. Wir binden konkret den Sportler an einen Mentor aus der Wirtschaft. Einen Unternehmensmanager, der den beruflichen Weg im Blick hat und ebnen kann, der auch Trainee-Programme einstreut während der Sportlaufbahn. Das ist eine Gesamtplanung des Erfolgs in jeder Hinsicht. Sportlich und beruflich.

Bilder aus der Karriere von Arnd Schmitt
11 Bilder

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Was haben Unternehmen davon?
Schmitt: Sie profitieren, weil sie potenzielle künftige Führungskräfte kennenlernen. Der Begriff Zwilling passt in zweierlei Hinsicht: in puncto Vereinbarkeit von Sport und Beruf sowie auf das Zusammenspiel zwischen Sportler und Mentor. Jungen Athleten sage ich: Nutzt das Angebot. Wir haben diese Chance so nicht gehabt. So gesehen hatten wir es vielleicht schwerer.

Liegt die höhere Belastung der jetzt aufstrebenden Athleten auch an gestiegenen Trainingsmengen und -intensitäten?
Schmitt: Das glaube ich nicht. Die Intensitäten waren immer gefragt. Täglich ein- oder zweimal zu trainieren war auch früher zeitraubend. Anders sind die Anforderungen für den Berufsstart: Schon mit 20 soll man alles Mögliche vorweisen, im Ausland gewesen sein, und so weiter. Das wird immer verrückter. In dieser Hinsicht hat man es heute schwerer.

Der Bonner Fechter Moritz Kröplin beispielsweise absolviert ein Zwillingsprogramm, hat aber Olympia 2016 verpasst. Was nun?
Schmitt: Die Kooperation mit dem DAX-Unternehmen GEA soll dazu beitragen, dass er an seiner beruflichen Perspektive arbeiten und gleichzeitig alles Notwendige tun kann, um mit dann 27 Jahren in Tokio 2020 die deutschen Farben zu vertreten.

Damit sind wir beim Fechten, Ihrem früheren Metier. Wie beurteilen Sie die aktuelle Situation?
Schmitt: Desolat. Fast noch schlechter, als ich vor 25 Jahren vorhergesagt habe. Das ist traurig.

Die Ursachen?
Schmitt: Sie sind vielfältig. Natürlich sind international ein paar Weichen gestellt worden, die nicht glücklich waren für den deutschen Fechtsport. Und selbstverständlich ist die Lage im Nachwuchsbereich ebenso schwierig wie in anderen Sportarten. Es gibt heutzutage viel mehr Möglichkeiten für Jugendliche, die sich fragen: mache ich Fechten oder irgendetwas anderes.

Was läuft denn konkret schief?
Schmitt: Ein entscheidender Fehler ist dieser Versuch, radikal zu zentralisieren. Also die Talente aus den kleinen Vereinen abzusaugen mit der Begründung, dass sie professionell an einem Stützpunkt trainieren müssen. Das führt dazu, dass die kleinen Vereine ausbluten und irgendwann keine Lust mehr haben.

Wie war es denn zu den erfolgreichen Zeiten?
Schmitt: Es war eine irrsinnig intensive Konkurrenz. Wir waren damals bei WM-Lehrgängen mit 40 Degenfechtern. Die kamen aus allen möglichen Stützpunkten und Vereinen an einem Ort zusammen, aber letztlich haben sie ihr Training dezentral gehabt. Jetzt sind die froh, wenn sie mit fünf Fechtern solche Stützpunkttrainings machen. Das kann nicht funktionieren.

Wie kam es zu dieser Entwicklung?
Schmitt: Es gab und gibt zu viele persönliche Interessen von Funktionären, die nicht das Wohl des Fechtsports im Blick haben, sondern einfach ihre eigene Karriereleiter. Zudem haben die Vereine immer noch nicht verstanden, dass es nicht darum geht, wer Deutscher Meister wird. Es geht darum, bundesweit Bedingungen zu schaffen, dass man überall fechten kann. Damit möglichst viele Talente entwickelt werden, die im Endeffekt die deutsche Mannschaft stark machen.

Ist Besserung in Sicht?
Schmitt: Ich sehe keine Bereitschaft, diese Fehler zu bekennen. Der Bundestrainer Degen denkt ja immer noch, er wäre der beste. Dabei haben wir noch nie eine schlechtere Situation gehabt. Wie man da noch glauben kann, man macht alles richtig, ist mir ein Rätsel.

Macht die Konzentration in Bonn, Dormagen und Tauberbischofsheim keinen Sinn?
Schmitt: Der Trend geht ja dahin, noch mehr zu zentralisieren. Aber das ist völliger Nonsens. Ich habe schon damals in der Fachgruppe gesagt: ich versichere Euch, es wird schiefgehen. Genauso ist es gekommen.

Der Löwe von Bonn hat einen neuerlichen Tiefpunkt im Florett markiert. Als einziger Fechter des Stützpunkts ist der Koblenzer Peter Joppich für Rio qualifiziert, die Mannschaft aber gescheitert.
Schmitt: Das Problem ist nicht florettspezifisch, sondern betrifft alle außer derzeit Säbel am Standort Dormagen. Langfristig wird das für Deutschland nicht reichen, da der Erfolg im Bereich Säbel zu stark nur vom dortigen Verein abhängt.

Was muss für den Neuaufbau passieren?
Schmitt: Ein Patentrezept gibt es nicht und es wäre ein ganzer Maßnahmenkatalog notwendig. Zunächst eine Analyse: Welche Trainer habe ich? Wie sind die Strukturen in den Landesverbänden? Welche klaren Richtlinien brauche ich? Der Neuaufbau selbst würde einige Jahre in Anspruch nehmen.

Warum beschränken Sie Ihr Funktionärsengagement auf die ehrenamtliche Mitarbeit in der Sportstiftung NRW, statt im Fechterbund oder dem Deutschen Olympischen Sportbund Verantwortung zu übernehmen?
Schmitt: Ich war auch nicht Aktivensprecher, weil ich es hübsch fand oder irgendeinen Posten brauchte. Ich habe mich immer nur dann engagiert, wenn ich nicht das Gefühl bekam, wenn ich einen Schritt mache, dann torpedieren das fünf andere. Den Eindruck habe ich beim Fechtsport in jeder Hinsicht. Dafür ist mir meine Zeit zu schade.

Warum lohnt es sich in der Sportstiftung NRW?
Schmitt: Weil ich noch in keiner anderen Organisationen erlebt habe, dass so vernünftig und strategisch sinnvoll Sportpolitik gemacht wird. Dafür gebe ich gerne meine Zeit. Das ist in erster Linie ein großes Lob an die Hauptamtlichen, also Geschäftsführer Jürgen Brüggemann und seine Mannschaft.

Sind die Probleme, die Sie am Beispiel Fechten aufgezeigt haben, Probleme des gesamten deutschen Sports?
Schmitt: Es war schon zu meiner Zeit kein fechtspezifisches Problem. Als Aktivensprecher hörte ich es aus allen möglichen Richtungen: vom Schwimmen, vom Tischtennis, vom Eiskunstlauf.

Wie sehen Sie über den Tellerrand des Fechtens hinaus die deutschen Aussichten für Rio? Herr Vesper erwartet bekanntlich zumindest das Ergebnis von London.
Schmitt: Jeder, der dort hinfährt, tut dies, um oben anzukommen. Die wenigsten wollen bloß mal olympische Luft schnuppern. Trotzdem: Die Medaillenzählerei ist Kokolores. An der Anzahl der Medaillen kann man nicht festmachen, wie gut es der jeweiligen Sportart geht oder dem deutschen Sport generell.

Warum taugt der Maßstab nicht?
Schmitt: Weil es immer die Frage einer Zeitspanne von zehn Jahren ist, also wie ist die Sportart oder der gesamte Sport in Deutschland aufgestellt. Dazu kommt die offene Frage, wie sehr Doping die Medaillenwertung beeinflusst.

Was meinen Sie?
Schmitt: Die Athleten dürfen es natürlich nicht sagen, weil es nach Ausrede klingt. Es ist auch keine einfache Geschichte, das richtig zu bewerten. Ich will nur sagen: Auch dieser Faktor spielt bei der Beurteilung des deutschen Abschneidens eine Rolle. Richtig analysieren können das aber nur Insider mit Kenntnis der Strukturen, die auch wissen, an welcher Stelle vielleicht Pech dabei war, weil es Verletzungen gab und deshalb ein gut geplanter und vorbereiteter Erfolg ausbleibt. Olympia zeigt zudem immer nur einen Ausschnitt, weil es eben nur alle vier Jahre stattfindet.

Mit welchem Gefühl nehmen Sie die vielen Skandalen im Sport wahr?
Schmitt: Wenn ich meine Brötchen im Sport verdienen würde, würde das mich sicher mehr beschäftigen. Dass es so ist, überrascht mich nicht sehr. Die Ausmaße sind erschreckend und es ist einfach schade, weil: Je mehr davon zu Tage tritt, desto größer ist die Gefahr, dass der Sport Schaden nimmt. Eine Folge ist das Nein der Hamburger Bevölkerung zur Olympiabewerbung.

Macht es aus Ihrer Sicht Sinn, ganze Sportarten oder Nationen von Olympia auszuschließen, Beispiel Russland und die Leichtathletik?
Schmitt: Durch solche Ausschlüsse werden immer Athleten getroffen, die dafür nichts können. Die Olympiaboykotte 1980 und 1984 sind vor allem zu Lasten von Athleten gegangen, die sich vier Jahre lang vorbereitet hatten.

Aber ohne mutige Entscheidungen von IOC-Seite wird sich nichts verändern.
Schmitt: Das ist höchst schwierig und ich möchte nicht mit den Verantwortlichen tauschen. Bemerkenswert finde ich, wie Richard Pound als Wada-Chefermittler für mich gefühlt erstmals konsequent diesen Geschichten nachgeht. Man hat nicht den Eindruck, dass er auf irgendetwas Rücksicht nimmt. Das gibt Hoffnung.

Rückblickend auf Ihre Studienzeit: Warum sind Sie damals für Leverkusen gestartet und nicht für den OFC Bonn, obwohl Sie dort trainierten?
Schmitt: Der damalige Fecht-Boss Emil Beck sagte mir ins Gesicht: Ich mache dich fertig, du kriegst kein Bein auf den Boden. Bonn und der Fechterbund waren mir zu sehr in seinem Einflussbereich. Leverkusen dagegen war Wurscht, was der Beck sagt, und deshalb war ich dort gut aufgehoben.

Welche guten Erinnerungen haben Sie an Bonn?
Schmitt: Viele. Zum Beispiel an das Laufen am Rhein, an die exzellenten Lektionen mit Manfred Kaspar. Aber vor allem, ass ich meine Frau dort kennengelernt habe.

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