Was macht eigentlich...Peter Nettekoven? Bonner Urgestein war WM-Dritter im Ringen

BONN · Was macht eigentlich . . . Peter Nettekoven? Der WM-Dritte ist auch im Alter von 79 Jahren ständig auf Tour. Der Niedergang seines Vereins TKSV Duisdorf macht den ehemaligen Weltklasseringer traurig.

 Olympia hat ihn nie losgelassen: Bis auf Seoul 1988 war Peter Nettekoven bei allen Sommerspielen als Tourist vor Ort. FOTO: EICKENBERG

Olympia hat ihn nie losgelassen: Bis auf Seoul 1988 war Peter Nettekoven bei allen Sommerspielen als Tourist vor Ort. FOTO: EICKENBERG

Foto: eickenberg

Anfang nächsten Monats packt Peter Nettekoven wieder den Koffer. Das Reiseziel gehört nicht zu den Hotspots im Tourismus, aber Sightseeing steht erst an zweiter Stelle auf der Prioritätenliste. In Rumäniens Hauptstadt Bukarest werden im April die Europameisterschaften im Ringen ausgetragen – und wo auch immer ein hochkarätiges Turnier in einer der klassischsten olympischen Disziplinen stattfindet, ist die Duisdorfer Ringer-Legende dabei.

Acht Tage hat Nettekoven mit seinem Clübchen aus der Ringerszene für die Tour nach Südosteuropa veranschlagt, eine Rundfahrt durch die Karpaten gehört ebenso zum Programm wie eine Besichtigung der Zwei-Millionen-Metropole Bukarest mit ihrem riesigen Parlamentspalast. „Den kulturellen Teil legen wir immer ein, wenn die Frauen ringen“, lacht der Bonner. Ansonsten lässt er keinen Wettkampftag aus.

Seine 79 Jahre sieht man ihm nicht an, er wirkt drahtig und voller Energie. Die Woche ist durchgetaktet: Kraftraum, Sauna, Stammtisch, Touren mit dem E-Bike – und am Wochenende natürlich Ringen. Beim Bundesliga-Endkampf zwischen Heilbronn und dem späteren Meister Wacker Burghausen war er ebenso wie beim Finale der Deutschen Ringer-Liga, die von fünf Spitzenclubs nach Differenzen mit dem Deutschen Ringer-Bund 2016 gegründet wurde. „Das Niveau hier ist viel höher als in der Bundesliga“, hat Nettekoven beim Titelgewinn des alten Bundesliga-Rivalen VfK Schifferstadt festgestellt.

Und der TKSV? „Die Entwicklung tut schon weh“, sagt Nettekoven. Erst vor wenigen Wochen hat der Bonner Traditionsclub seine Mannschaft aus der Oberliga zurückgezogen und tritt künftig in der Landesliga an. Nach mehr als vier Jahrzehnten zwischen erster und zweiter Liga ist damit eine Ära zu Ende gegangen, die Nettekoven entscheidend mitgeprägt hatte. Der gelernte Metzger, seit 70 Jahren Vereinsmitglied, war Aktiver, später Trainer – und ist bis heute das Gesicht des Ringens in Duisdorf.

„Schnitzlers Saal“, das Vereinslokal des TKSV, war Ende der 40er-Jahre die Keimzelle der späteren Karriere, die ihn bis zu den Olympischen Spielen in Mexiko führen sollte. Hier trafen sich die Vereinsmitglieder. „Erst wurde geturnt, dann die Matte herausgeholt. Wir haben miteinander gerungen und gebalgt, das war das größte für uns Kinder“, erinnert sich Nettekoven. Trainer Peter Sonntag erkannte schnell das Talent des Jungen. Der ließ dann Fußball und Turnen sein und konzentrierte sich aufs Ringen. „Der Kampf Mann gegen Mann, das hat mich immer fasziniert. Hier entscheide ich alles selbst, hier bin ich verantwortlich“, sagt Nettekoven.

1957 – das erste Karrierehighlight. Das Vereinslokal ist brechend voll, draußen spielen zwei Musikkapellen, der Bürgermeister macht seine Aufwartung – Nettekoven hat als 17-Jähriger die Jugend-Landesmeisterschaft gewonnen. Ein Empfang wie für einen Weltmeister – heute unvorstellbar. „Das ganze Dorf war auf den Beinen“, so Nettekoven. Ein Jahr später wird er in Heiligenwald im Saarland deutscher Jugendmeister. Wieder geht's im Triumphzug durch Duisdorf in „Schnitzlers Saal“. Sein Chef, Metzgermeister Rosen, lässt sich nicht lumpen: 100 Mark und acht Tage Sonderurlaub für den kampfstarken Gesellen.

Als Nettekoven 1961 vor 2000 Zuschauern in der Bonner Hans-Riegel-Halle erstmals deutscher Meister bei den Senioren wird, weckt das Begehrlichkeiten bei anderen Clubs. Die Vorgehensweise: altertümlich, aber liebenswert. Kein Anruf, kein Hausbesuch, kein Scheck – es kam eine Postkarte von Heros Dortmund, schon damals eine gute Adresse im Ringen, mit der Einladung zum Training. „Es gab 20 Mark Fahrgeld“, so Nettekoven. Die Aussicht, mit Top-Ringern zu trainieren, war für ihn entscheidender. Er nahm an – und blieb zehn Jahre.

Die 125 Kilometer ins Ruhrgebiet nahm er einmal in der Woche auf sich, trainieren musste er aber jeden Tag. Doch das gestaltete sich schwierig. In Duisdorf hatte er keinen adäquaten Gegner mehr. Und so klapperte er abends die Kölner Vereine ab. Erst nach Mülheim, fand er da keinen Partner, ging's weiter nach Ossendorf zum nächsten Club. „Manchmal bin ich bei drei Vereinen vorstellig geworden. Man musste ja auch vorsichtig sein: Hast du deinen Gegner zu hart angefasst, will der beim nächsten Mal nicht mehr mit dir auf die Matte.“ Ein mühseliges Geschäft.

Aber die Plackerei lohnt sich. 1966 wird Nettekoven, inzwischen deutscher Abonnementmeister, Fünfter bei der Europameisterschaft in Essen. Eine starke Platzierung, die eigentlich auch die Fahrkarte zur WM nach Toledo/Ohio im Jahr darauf bedeuten sollte. Doch sein Name fehlt auf der Nominierungsliste. Der Deutsche Ringer-Bund wollte seine Klasse nicht besetzen – aus Kostengründen. Der Frust saß tief, was tun? Sein Verein Heros Dortmund rief die Mitglieder zu Spenden auf und verkaufte eine große Ringer-Skulptur, seit vielen Jahren Vereinseigentum. 3600 Mark kamen zusammen. Nettekoven („Ich war so dankbar“) erhielt grünes Licht vom Ringer-Bund, reiste in die USA und wurde sensationell Dritter. Es war seine beste internationale Platzierung und der Grundstein für die Olympia-Nominierung 1968 in Mexiko.

Die Teilnahme an den Sommerspielen ist für ihn bis heute ein prägendes Erlebnis, auch wenn es sportlich nicht nach Wunsch lief. Nach einem Sieg im Auftaktkampf unterlag er dem Österreicher Berger. Nettekoven: „Den hatte ich bis dahin immer geschlagen. Was war ich enttäuscht.“ Im dritten Kampf, gegen einen Rumänen, gab der Bonner auf: Atemprobleme. „Sie haben mich von der Matte getragen. Nichts ging mehr.“

Was blieb von Mexiko? „Der Einmarsch bei der Eröffnung mit der gesamten Mannschaft, die Abschlussfeier, der Zusammenhalt, der Flair der Spiele, dem man sich nicht entziehen kann“, sagt Nettekoven, der auch den Höhepunkt von Mexiko fast hautnah miterlebte. „Als Bob Beamon auf 8,90 m flog, saß ich auf Höhe der Weitsprunganlage.“

Die Spiele 1972 in München hätte er gerne noch als Aktiver mitgenommen, doch er war 32 Jahre alt, und der Deutsche Ringer-Bund setzte auf die Jugend. Nettekoven beendete seine internationale Karriere, kehrte zum TKSV zurück und baute eine Mannschaft mit vielen Duisdorfer Eigengewächsen auf, die dann in der Bundesliga die Schmitthalle bei Kämpfen zum Beben brachte. Später auch mit dabei als Leistungsträger: seine Söhne Tim und Tobias.

Doch Olympia hat ihn nie losgelassen. Montreal 1976 erlebte er als Assistent von Bundestrainer Heinz Ostermann in offizieller Funktion, danach war er bis auf Seoul 1988 bei allen Sommerspielen als Tourist mit Ehefrau Christel vor Ort, von Barcelona 1992 über Sydney 2000 bis Rio 2016. Und Tokio 2020? „Steht auf dem Plan“, sagt Nettekoven: „Wenn der Herrgott mitspielt und nicht noch mehr Skandale aufgedeckt werden. Das verdammte Doping macht den ganzen Sport kaputt.“

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