Am Auge Gottes gibt es kein Erbarmen

Wie ein erfahrener Hobbyläufer mit den Schwierigkeiten des Siebengebirgsmarathons zurechtkommt

  Auf der Margarethenhöhe  ging die Strecke vorbei am Forsthaus.

Auf der Margarethenhöhe ging die Strecke vorbei am Forsthaus.

Foto: Handt

Bad Honnef. Für einen, der im Siebengebirge lebt und Läufer ist, ist es auf Dauer geradezu unmöglich, dem Siebengebirgsmarathon aus dem Wege zu gehen. Im fünften Jahr stellte ich mich endlich der Herausforderung, nachdem ich bisher immer einen guten Grund gehabt hatte, nur zuzusehen.

Bonn-Marathon-erfahren und Drachenlauf-gestählt, was sollte da schon schiefgehen. Doch die Spezies "Marathonläufer" ist ehrgeizig und stellt sich der Herausforderung eigentlich nie ohne ein konkretes Ziel. Das gilt vielleicht nicht für Herren wie Horst Preisler aus Hamburg, der im Siebengebirge seinen Weltrekord auf 1 230 Marathonläufe schraubte. Er verfolgte ein anderes Ziel als der gemeine Dauerläufer unter den knapp 700 Teilnehmern.

Was ist also drin, wenn man dreimal in Bonn unter drei Stunden und 30 Minuten geblieben ist. Wieviele Minuten kosten die Steigungen beim steten Auf und Ab durch das Siebengebirge, die 500 Höhenmeter nach Angaben des Veranstalters, der jedoch nur die größeren Anstiege gezählt hat. Nach anderen Berechnungen sollen es weit über 1 000 Höhenmeter sein.

Ein Läufer wäre kein Läufer, wenn er seine Zielzeit nicht unter besonderer Berücksichtigung zahlreicher Faktoren ermitteln würde. Streckenprofil, Wetter, persönliche Befindlichkeit, wobei letztere eigentlich nie gut ist. Wenn es nicht die hartnäckige Erkältung ist, kann man sich meistens darauf verlassen, dass gerade dieser Lauf aus dem vollen Training heraus bestritten wird. Der nächste Marathon kommt bestimmt, die Ausrede bleibt dieselbe.

Bei mir traf weder das eine noch das andere zu, aber die Weihnachtsfeier am Freitagabend und die Geburtstagsfete am Samstagabend - ja, warum muss dieser unsensible Mensch auch noch in seinen 40. Geburtstag hineinfeiern - waren Gründe genug, nicht in bester Verfassung am Start zu stehen. Also einigte ich mich mit mir selbst auf einen Zielkorridor von 3:40 bis 3:45 Stunden.

Und es ging gleich gut los. Nach dem üblichen Gedrängel am Start auf der Aegidienberger Pferderennbahn pendelte sich meine Kilometerzeit schnell auf etwas über fünf Minuten ein. Das war zwar rund 15 Sekunden zu schnell, aber konnte ich denn wissen, ob heute nicht doch mein Tag ist.

Außerdem lud der erste Kilometer auf der breiten Hauptstraße durch Aegidienberg ja geradezu zum Tempomachen ein. Auch taten die Steigungen der ersten Streckenhälfte zum Löwenburger Hof, rund um den Lohrberg vorbei an der Margarethenhöhe und anschließend um die Löwenburg überhaupt nicht weh. Vielleicht auch, weil ich in meinem Trainingsrevier jeden Meter und jeden Stein kenne.

Das Hochgefühl wurde anschließend sogar noch größer. Bergab an der Frühmesseiche vorbei Richtung Schmelztalstraße rollte es so richtig, wie der Läufer den Zustand körperlichen Wohlbefindens nennt. Jenseits der Schmelztalstraße führte die Strecke dann für mich in läuferisches Niemandsland.

War es das oder war es die langgezogene Steigung zwischen Kilometer 18 und 19, jedenfalls spürte ich urplötzlich etwas, auf das ich zu diesem Zeitpunkt gut hätte verzichten können.

Erstmals meldeten sich meine Beine zu Wort, was sich Nichtläufer ungefähr so vorstellen können: Beine an Großhirn: "Du läuft viel zu schnell. Das machen wir nicht noch 23 Kilometer mit." Das Fatale ist, es entsteht kein Dialog, die Beine erwarten auch gar keine Antwort. In diesem Augenblick sind die schönsten Ziele nicht mehr als fromme Wünsche ohne Aussicht auf Erfüllung.

Der tote Punkt wird zur toten Strecke, der "Mann mit dem Hammer", sonst immer erst zwischen Kilometer 30 und 35 ein ungebetener Gast, kam dieses Mal zur Unzeit, mindestens zehn Kilometer zu früh. Kein Blick mehr für die Schönheiten der Landschaft rund um Himmerich und Leyberg, nur noch Hoffen auf das Ende der nächsten Steigung.

Selbst am Auge Gottes gab es kein Erbarmen. Jeder Meter bergan wurde zur Qual, die nur durch immer längere Gehpausen zu lindern war. Der Grad der Erschöpfung im Verhältnis zur Entfernung zum Ziel ließ in meiner Fantasie nur noch einen Gedanken zu: Aussteigen oder nicht aussteigen? Und wenn ja, wie?

Schließlich war die Laufstrecke ab Kilometer 30 zugleich der kürzeste Weg zum Ziel. Da konnte man auch gleich laufen. Also blieben nur zwei Möglichkeiten: Entweder unter Vortäuschung schlimmster Wadenkrämpfe bei einer Verpflegungsstelle einen barmherzigen Helfer finden, der mich zum Ziel fährt. Oder in das aus heiterem Himmel auftauchende Rotkreuzfahrzeug einsteigen. Das hätte den Charme gehabt, den Kollegen, der bei Kilometer 28 ausgestiegen war, wiederzusehen.

Doch ich versagte mir beides. Als ich drei Kilometer vor dem Ziel einen weiteren Kollegen einholte, erschien mir das wie ein Zeichen, dass das Schlimmste hinter mir liegt. Als wenig später auch noch das Ortsschild von Aegidienberg auftauchte, setzte ich zum Schlussspurt an. Drei Stunden und 50 Minuten zeigte die Stoppuhr im Ziel. Warum ich bei meinem persönlichen Duathlon aus Laufen und Wandern nicht besser war, darüber denke ich noch nach. Da gibt es sicher noch triftige Gründe, die ins Feld zu führen wären. Hauptsache, ich glaube selber daran.

Hansjürgen Melzer ist Redakteur in der Redaktion Siebengebirge des General-Anzeigers.

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