In Bonn und der Region Das Ende des Zelluloidballs im Tischtennis

BONN/RHEIN-SIEG-KREIS · Mit Beginn der neuen Tischtennissaison ist auch in den unteren Klassen nur noch Plastik als Material erlaubt. Für die Profis ist der Ball schon seit 2014 vorgeschrieben.

 Für Profis wie Timo Boll ist der Plastikball schon seit 2014 vorgeschrieben.

Für Profis wie Timo Boll ist der Plastikball schon seit 2014 vorgeschrieben.

Foto: picture alliance/dpa

„Aus, aus, aus, aus! Das Spiel ist aus!“ Es war 1954, vor fast genau 65 Jahren, als diese Worte des legendären Sportreporters Herbert Zimmermann über den Äther gingen und vom Triumph der deutschen Nationalmannschaft im WM-Finale in Bern kündeten.

Damals ging es um Fußball. Hier und heute geht es um Tischtennis. Genauer gesagt um das Aus des Zelluloidballs. Nein, das ist kein Triumph, der hier verkündet wird, vielmehr ist es die Nachricht von einem Ende, das absehbar war. Aber es war ein langer Todeskampf, ein schleichendes Dahinsiechen, das am 30. Juni 2019 sein vorherbestimmtes Ende gefunden hat.

Am Anfang standen Gummibälle und geschnitzter Kork

1891 brachte der englische Ingenieur James Gibb den Zelluloidball von einer Amerikareise mit in seine Heimat und führte ihn in den Tischtennissport ein. Vorher hatte man zum Spielen von Ping-Pong, wie es damals noch etwas gerinschätzig hieß, Gummibälle oder geschnitzten Kork mit etwa fünf Zentimetern Durchmesser benutzt. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts trat dann der Zelluloidball seinen Siegeszug an. Zelluloidartisten nannte man die Tischtennisspieler fortan. Mit diesem Material war Tischtennis auf dem Schulhof oft spannender als Fußball, wenn auch wegen einer Zweckentfremdung: Zelluloidbälle brannten so gut.

Brennbarkeit als entscheidender Grund für die Verbannung

Und das war auch ein entscheidender Grund für die Verbannung von den Tischen: Seit dem 1. Januar 2018 wird weltweit kein Zelluloidball mehr produziert. Bereits 2012 war klar, dass diese Art von Bällen keine Zukunft hat: Der Internationale Tischtennisverband entschied anlässlich der Weltmeisterschaft in Dortmund über die Einführung des Plastikballs. Mangelnde Qualität sowie der Widerstand der Top-Spieler hielten die Umsetzung noch bis 2014 auf.

Übergangsphase ist im Juli dieses Jahres abgelaufen

Besonders aber an der Basis kam es zu tumultartigem Widerstand: Die miserable Beschaffenheit der Bälle und die Unsicherheit, welche Kugeln die gastgebende Mannschaft einsetzt, führten zu einer durchgängigen Verweigerungshaltung.

Aber aufgeschoben bedeutete nicht aufgehoben: Ende 2016 entschied sich der Deutsche Tischtennisbund (DTTB) für eine unverbindliche Verbindlichkeit der Verwendung von Plastikbällen. In einer Übergangszeit bis zum Juli 2019 wurde das neue Material allmählich auf Bundesebene bis zu den Oberligen und nun im letzten Schritt für alle Spielklassen verpflichtend. Bis dahin war es den Vereinen überlassen, mit welchem Ball gespielt wurde; das sorgte dann stets für Unsicherheit und Überraschung bei den Gastmannschaften. Immerhin musste in den oberen Klassen vor Saisonstart von den Vereinen festgelegt werden, ob mit Zelluloid oder Plastik gespielt wird.

Weniger Spin und anderes Sprungverhalten

Wer in der Übergangsphase mit Plastik trainiert hatte und dann im Punktspiel auf Zelluloid traf, merkte den Unterschied sofort. Jan Lüke, Autor der Zeitschrift „tischtennis“ und Spitzenspieler der DJK spinfactory Köln, hatte das Vergnügen, als sein Team am letzten Spieltag der NRW-Liga bei den Zelluloid-Freaks von TuRa Oberdrees antreten musste: „Ich spiele schlecht. Es macht keinen Spaß. Ein Ball kann ein guter Sündenbock sein!“, stellte er fest. Er verlor ein Doppel und das Einzel gegen den Abwehrspieler Christof Maiworm.

Gerade die Abwehrspieler sind es dann auch, die dem Zellu-loidball die dicksten Tränen hinterherweinen: Die Bälle springen jetzt anders, haben weniger Spin, werden aus der Defensive heraus ungefährlicher.

Gewehrt hat er sich nicht gegen seinen Exitus, der Zelluloidball. Aber die Tischtennisspieler, die seit über 100 Jahren in dieser Sportart mit Ausdauer, Verbissenheit und Kampfgeist versucht haben, ihn immer wieder so über das Netz zu spielen, dass der Gegenüber ihn nicht mehr zurückbringen konnte, machten – vergeblich – Front. Manch einer weint ihm jetzt eine Träne nach. Und mit Sicherheit befinden sich auch noch reichlich Kisten mit der alten Liebe in diversen Kellern und Materialkammern.

Den Hobbyspielern ist es ohnehin egal, aus welchem Material der Ball ist. So wird er noch einige Jahre ein Hinterzimmerdasein fristen oder denen, die in Erinnerungen schwelgen, in treuer Verbundenheit als Spielmaterial in Trainingssessions dienen oder vielleicht auch in Zelluloid-Turnieren – bis der letzte von ihnen hinübergegangen ist in die ewigen Sporthallen.

Dann verbleiben allenfalls noch diejenigen Bälle, die den Status einer Devotionalie erreicht und zwischen Pokalen und Trophä- en von ihren Besitzern einen Ehrenplatz zugewiesen bekommen haben. Die Frage „Spielen wir nun mit Plastik oder doch lieber noch mit Zelluloid?“ erübrigt sich ab der Saison 2019/20 – nur noch der Plastikball ist offizielles Spielgerät für alle Wettkämpfe im Tischtennissport.

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