Mercedes vor dem FIA-Tribunal

Paris · Ausschluss, Geldstrafe oder Freispruch? Für Sebastian Vettel ist das Vergehen eindeutig, für sein Red-Bull-Team erreicht die Reifentest-Affäre von Mercedes sogar die Ausmaße des unrühmlichen Spionage-Skandals im Jahr 2007.

 Niki Lauda kennt die Fakten. Foto: HOCH ZWEI

Niki Lauda kennt die Fakten. Foto: HOCH ZWEI

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Der angeklagte deutsche Formel-1-Rennstall wird mit Teamchef Ross Brawn und unterstützt von Anwälten und Experten in Paris aber alles daran setzen, die unabhängigen Richter des Internationalen Tribunals der FIA vom Gegenteil und seiner Unschuld zu überzeugen.

Gelingt es nicht, droht praktisch alles vom Punktabzug über eine satte Geldstrafe bis hin zu Rennsperren. "Beim Tribunal wird sich zeigen, wer Recht hat", betonte Niki Lauda, Aufsichtsratschef des MercedesAMG-Teams. "Die meisten derjenigen, die am lautesten schreien, kennen die Fakten nicht", bekräftigte unlängst sein Landsmann und Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff.

Schuldig oder nicht schuldig? Das vermeintliche Tatgeschehen ereignete sich vom 15. bis 17. Mai. Tatort: Der Circuit de Catalunya bei Barcelona. Nico Rosberg, beim darauffolgenden Großen Preis von Monaco triumphaler Gewinner, und Lewis Hamilton testeten auf Bitten von Pirelli neue Reifen. 1000 Kilometer wurden abgespult, zu knapp 10 Prozent kamen Pneus zum Einsatz, die schon für diese und nicht erst für die nächste Saison konzipiert sind.

Vorwurf I: Mercedes verschaffte sich einen Vorteil durch den Solo-Test. Vorwurf II: Die Silberpfeile testeten mit ihrem aktuellen Rennwagen. Und das ist strikt verboten laut Artikel 22 der Sportlichen Regeln des Internationalen Automobilverbandes. Für Vettel und Red Bull sind die dreitägigen Tests daher ein eindeutiger Regelverstoß. Ferrari, das im April ebenfalls auf dem Grand-Prix-Kurs mit einem zwei Jahre alten Modell fuhr, sieht das genauso, auch Lotus.

Von einer Aberkennung des Monaco-Siegs für Rosberg hält der deutsche Dreifach-Champion aber gar nichts. "Es wäre absolut falsch", kommentierte Vettel, nachdem "Testgate" unmittelbar vor dem Rennen im Fürstentum am 26. Mai bekanntgeworden war.

Red Bull und Ferrari legten damals umgehend Protest ein, die Rennkommissare leiteten ihren Bericht an die FIA weiter. Dort entschied Präsident Jean Todt: Die Akte Ferrari wird geschlossen, die von Mercedes geht vor das Internationale Tribunal, das damit seine Premiere feiern wird. Früher, das heißt auch 2007 bei der Spionageaffäre um McLaren-Mercedes und Ferrari und der 100 Millionen-Dollar-Strafe gegen das britisch-deutsche Team, war noch das World Council zuständig. Nun sind es unabhängige Richter. "Wir vertrauen dem Tribunal", versicherte Brawn, der als einziger von der Teamleitung zu der Anhörung in die französische Hauptstadt reist.

Der Brite, für den ein potenzieller Nachfolger im frisch engagierten Ex-McLaren-Topingenieur Paddy Lowe schon bereitstünde, soll sich dem Vernehmen nach bei Rennleiter Charlie Whiting vor den Fahrten die Rechtmäßigkeit der Tests versichert haben lassen.

Gibt es dafür einen schriftlichen Beweis? Wenn ja, steht eine Einschätzung des langjährigen Formel-1-Rennleiters der FIA gegenüber einem Team über den festgeschriebenen und allen jederzeit zugänglichen Regeln?

Für die österreichische Doppelspitze des runderneuerten deutschen Werksrennstalls kommt die Belastungsprobe zur Unzeit. Sportlich zeigt die Kurve klar nach oben. Der Sieg von Rosberg und die Serie in dieser Saison mit vier Nummer-Eins-Startplätzen nacheinander demonstrierten das Potenzial des Silberpfeils. In der Konzernzentrale in Stuttgart dürfte dies wohlwollend zur Kenntnis genommen worden sein - nach drei eher tristen Jahren des Vor-sich-hin-Dümpelns als selbst ernannte deutsche Formel-1-Nationalmannschaft.

Doch was passiert, wenn hinter den Türen des Salle du Comité, auf dem Place de la Concorde die Daumen nach unten gehen? Was passiert, wenn auf Regelverstoß entschieden und zum Beispiel eine drastische Geldstrafe verhängt wird? Wolff und auch Brawn werden sich zweifelsohne auch dieser Situation ohne Ausreden stellen. Beide betonten mehrfach, dass es sich um private Tests von Pirelli gehandelt habe und nichts geheim gewesen sei. Die neutralen Helme hätten die beiden Star-Piloten aus Schutz vor den Fans getragen. Warum aber schickten sie eigentlich nicht einen ihrer - dafür sind sie ja da - Testfahrer hin?

"Wenn dieser Test ohne Konsequenzen durchgewinkt wird, würden alle Verhandlungen über Kostenbegrenzung über Bord gehen. Das wäre die Öffnung von Pandoras Büchse, die wir dann kaum jemals wieder schließen könnten", meinte Red-Bull-Motorsportdirektor Helmut Marko. Er verglich den Fall sogar mit dem Spionage-Skandal vor sechs Jahren.

Im Zweifel für den Angeklagten oder doch schuldig? Wann die Entscheidung verkündet wird, ist völlig offen. Wenn es zu einem Anhörungsmarathon kommt, ist sogar denkbar, dass das Urteil erst am Freitag verkündet wird. Gegen die Entscheidung kann Mercedes dann vor dem Berufungsgericht der FIA Protest einlegen.

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