Bei den Stichworten Handball und Bart erscheint vor dem geistigen Auge des kundigen Beobachters natürlich sofort das Gesicht von Heiner Brand, der seinen buschigen Schnäuzer als Markenzeichen etablierte. Brand ist neben dem Franzosen Didier Dinart der einzige Handballer, der als Spieler und Trainer Weltmeister wurde.

Als der Gummersbacher die deutsche Auswahl beim Wintermärchen 2007 auf den Thron führte, klebten sich seine Spieler Schnauzbärte an, wenig später wurde das Accessoire im Kölner Karneval tausende Mal gesichtet.

Nun – zwölf Jahre später – ist sie also wieder zurück, die Haartracht im Gesicht. Matthias Musche (26) trägt allerdings eine wesentlich vollere Variante eines Barts. Nicht nur deshalb gehört der Linksaußen zu den auffälligen Vertretern der deutschen Handballszene. In der Bundesliga spielte er in dieser Saison bislang fulminant auf und führt die Torschützenliste an. Nun will er mit der Nationalmannschaft bei der Heim-WM glänzen, die für ihn die Premiere auf der großen internationalen Bühne ist.

Herr Musche, Sie haben nach dem Auftaktspiel gegen Korea berichtet, wie bewegt Sie waren. Die Hymne, die Stimmung in der Halle – was hat das in Ihnen ausgelöst?

Matthias Musche: Das war tatsächlich relativ unbeschreiblich. Es ist ja wirklich ein Traum, der in Erfüllung geht. Ich habe in den letzten Wochen viel darüber nachgedacht, viel darüber gesprochen, viel darüber gelesen – und dann stehst du da in der proppevollen Halle. Das ist einfach etwas Besonderes.

Ihr Kollege Silvio Heinevetter sprach davon, er habe „Pipi und den Augen“ gehabt. Ging es Ihnen genauso?

Matthias Musche: Das geht schon in die richtige Richtung. Es ist einfach mega-emotional, eine WM im eigenen Land zu spielen. Das ist das, worauf jeder Spieler Ewigkeiten hinarbeitet. Wenn du das dann erleben darfst, ist das eine große Ehre.

Wie wichtig ist das Publikum, um eine erfolgreiche WM zu spielen?

Matthias Musche: Das ist enorm wichtig. Die können uns drei, vier oder fünf Prozent geben, die uns pushen und uns entscheidend nach vorne bringen. Auch deshalb ist eine Heim-WM etwas ganz Besonderes. Wenn dich mehr als 13.000 Leute unterstützen, ist das gigantisch.

Das Eröffnungsspiel haben über sieben Millionen Zuschauer im ZDF verfolgt, was ein starker Wert ist. Kriegt man das als Spieler mit, wie groß das nationale Interesse ist?

Matthias Musche: Das kriegst du schon mit, dass da eine Euphorie herrscht. Das merken wir auch bei Instagram und Facebook. Dass es sieben Millionen im Fernsehen waren, wusste ich bis jetzt nicht, aber das ist eine tolle Nachricht.

Wie ist das für Sie sich die Position des Linksaußen mit einer Koryphäe wie Uwe Gensheimer zu teilen, der als Kapitän der Nationalmannschaft ja eine Autorität darstellt?

Matthias Musche: Wie soll das sein? Ich freue mich, wenn Uwe gut spielt und wenn ich auf die Platte komme, versuche ich, meine Leistung zu bringen. Aber es ändert nichts daran, wer da noch auf meiner Position mitspielt. Ich versuche immer, meine beste Performance abzuliefern. Natürlich hat Uwe einen riesigen Erfahrungsschatz und ist ein guter Ansprechpartner, wenn ich mal Fragen habe. Weil er jede Situation zig Mal öfter durchgespielt hat als ich.

In welchen Bereichen haben Sie sich im letzten Jahr entwickelt, dass Sie jetzt vom Bundestrainer und von der Öffentlichkeit anders wahrgenommen werden?

Matthias Musche: Seit ich Handball spiele, versuche ich, mich konstant zu verbessern. Und zwar in allen Bereichen: Abwehr, Angriff, athletischer Aufbau, Variabilität in den Würfen – das gehört für mich alles dazu. Es fällt mir schwer, da was rauszupicken, wo ich den großen Schritt gemacht habe.

War die Nicht-Nominierung für die EM im letzten Jahr für Sie Antrieb, noch mehr Biss und Ehrgeiz zu entwickeln oder gab es einen anderen Klickmoment?

Matthias Musche: Den gab es eigentlich nicht, weil ich immer ehrgeizig bin. Ich gehe gerne zum Training und versuche ständig, mich zu verbessern.

Es fällt auf, dass Sie jetzt viel mehr Tore werfen. Hängt das nur damit zusammen, dass Sie in Magdeburg auf Ihrer Position als Alleinunterhalter fungieren? Oder sind Sie vor dem Tor cooler geworden?

Matthias Musche: Wenn man die Quote vom letzten Jahr sieht, ist die aus dem Feld nicht viel schlechter als jetzt. Es liegt einfach daran, dass ich jetzt die Siebenmeter werfe. Da kommen einfach unfassbar viele Tore dazu.

Sind Sie bei der WM als zweiter Siebenmeterschütze hinter Gensheimer eingeteilt?

Matthias Musche: Da haben wir noch nicht drüber gesprochen. Wenn Uwe mal verwerfen sollte, geht der ran, der sich sicher fühlt. Wenn der Trainer oder die Mannschaft sagen, „nimm Dir den Ball und hau ihn rein“, werde ich mich nicht verstecken.

Um den Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung während eines langen Turniers hinzubekommen, wurde für die Mannschaft ein Spielzimmer eingerichtet. Wie wird das angenommen?

Matthias Musche: Richtig gut. Manche sitzen in der Ecke und spielen Brettspiele, manche erzählen miteinander oder hören Musik. Das ist keine Pflicht, sondern ziemlich locker. Jeder, wie er es für sich braucht. Ich gehe da gerne hin, weil Silvio Heinevetter eine Dartscheibe mitgebracht hat, vor der wir schon einige Stunden verbracht haben.

Und schon eine 180 dabei gewesen?

Matthias Musche: Nee, aber ich arbeite dran.

Was ist Ihre Bestmarke?

Matthias Musche: Ich habe gestern ein Mal die 140 geworfen.

Nicht schlecht.

Matthias Musche: Na ja, bei 300 Versuchen. Es ist ehrlich gesagt ein ziemliches Glücksspiel, wo die Würfe hingehen. Ich brauch hier in Berlin noch ein paar Tage, um mich zu verbessern.

Wer ist der Beste in der Mannschaft?

Matthias Musche: Silvio Heinevetter, der die Scheibe mitgebracht hat. Der scheint zuhause heimlich zu üben.

Das Interview führte Felix Meininghaus