Die Folgen von Doping „Die Athleten haben keinen Plan B“

Bonn. · Leistungssteigernde Mittel werden seit Jahrzehnten im Sport eingesetzt. Um Erfolg zu haben, nehmen Athleten auch Gesundheitsschäden in Kauf.

 „Monsieur 60 Prozent“: Bjarne Riis gewann 1996 die Tour de France und gestand 2007, 1996 gedoptgewesen zu sein. 

„Monsieur 60 Prozent“: Bjarne Riis gewann 1996 die Tour de France und gestand 2007, 1996 gedoptgewesen zu sein. 

Foto: AFP/PASCAL GUYOT

Stefan Denifl galt in Österreich schon in jungen Jahren als großes Radsport-Talent. Der Kletterspezialist gewann viele Juniorentitel, später eine Etappe bei der Vuelta und die Österreich-Rundfahrt. Dem Tiroler traute man sogar den Gesamtsieg einer der großen Touren zu. Vor zwei Wochen geriet der 32-Jährige in die Schlagzeilen. Denifl gestand vor dem Innsbrucker Landgericht Blutdoping, versicherte aber, dass er kein Verbrechen begangen habe. Im Profibereich würden Leistungen verlangt, die ohne Doping nicht mehr möglich seien. Die Teams wüssten das, denn ohne Doping hätte er nach einer Knieverletzung nie einen Vertrag erhalten.

Reumütig wirkt Bjarne Riis nicht, als er im Januar seinen Amtsantritt als Teammanager beim Radsportteam NTT Pro Cycling gibt und damit seine offizielle Rückkehr in den Radsport feiert. „Ich bin immer noch der gleiche. Ich habe immer noch die gleiche Philosophie und die gleichen Werte“, sagt Riis. Dieser Satz wirkt alarmierend. Denn der Tour-de-France-Sieger von 1996 ist ein überführter Dopingsünder. Seine Rückkehr in den Radsport wird kritisch gesehen.

Hoher Wert der roten Blutkörperchen kann auf Blutdoping hinweisen

Nicht ohne Grund: Riis wurde zu seiner aktiven Zeit „Monsieur 60 Prozent“ genannt. 60 Prozent in Anspielung an einen Hämatokritwert, der regelmäßig bei dem Dänen festgestellt worden sein soll. Der Wert beschreibt den Anteil der roten Blutkörperchen am Volumen des Blutes. Der Normalwert liegt bei 40 Prozent, bei Leistungssportlern auch schon mal bei 45 bis 47 Prozent. Ein zu hoher Wert kann auf Blutdoping oder die Einnahme von Epo hinweisen.

Blutdoping und Epo – ein effektiver Weg, das Blut mit roten Blutkörperchen anzureichern, ein leistungsteigender, aber auch ein gefährlicher Weg. Blutdoping birgt beispielsweise ein erhöhtes Risiko für Thrombosen, Infarkte oder Infektionen. Ein Risiko, dass die Sportler in Kauf nehmen.

Ferner ist GW1516 – auch Endurobol genannt – ist ein effektives Mittel. Nur wurde es 2007 vom Markt genommen, nachdem in Tierversuchen ein erhöhtes Krebsrisiko festgestellt worden war. „Unter anderem aufgrund dieser Erkenntnisse wurde die klinische Entwicklung ausgesetzt“, so Mario Thevis, Dopingexperte und Leiter des Instituts für Biochemie an der Sporthochschule in Köln. Dennoch gab die Welt-Doping-Agentur (Wada) 2013 eine Warnmeldung für den Missbrauch dieser Substanz heraus. „Das Mittel ist einfach nachzubauen“, sagt Thevis, der schon 2011 eine ähnliche Warnung herausgegeben hatte. „Wahrscheinlich ist es daher auch vergleichsweise leicht erhältlich.“ Nicht nur für Profisportler, auch Body-Building-Bereich ist Endurobol sehr beliebt.

Doping auf Kosten der Gesundheit

Doping auf Kosten der Gesundheit, lebensbedrohliche Risiken – ein hoher Preis für den Erfolg. Das bestätigt auch eine Studie des US-Arztes Bob Goldman. Dieser befragte seit 1982 regelmäßig Hochleistungssportler. 50 Prozent der Befragten gaben an, den Tod innerhalb der kommenden fünf Jahre in Kauf zu nehmen, wenn sie durch die Einnahme von Arzneien einmal eine Goldmedaille bei Olympischen Spielen gewinnen würden.

Dabei ist Erfolg relativ. Denifl wollte nur einen Profi-Vertrag erhalten. Andere Ex-Radprofis sprachen davon, einfach bei einer Tour nur mithalten zu können. Ein hoher Einsatz. Wofür? „Das hat viel mit Identität zu tun. Für Athleten ist Sport das Leben. Es gibt keinen Plan B“, sagt Marion Sulprizio vom Psychologischen Institut der Sporthochschule in Köln. „Es ist wichtig, diesen Athleten zu zeigen, dass es auch andere Dinge gibt, die einen weiterbringen. Etwa die duale Karriere, eine berufliche Perspektive.“ Doch das Problem scheint vielschichtiger zu sein. Denn auch im Amateurbereich nehmen Sportler gesundheitliche Risiken für ihren Sport in Kauf. „Wir dürfen davon ausgehen, dass es im Amateursport ein größeres Dopingproblem gibt als bei den Profis“, so Thevis. „Dort, wo kaum oder keine Kontrollen stattfinden, kann auch nichts gefunden werden.“ Erst im vergangenen Jahr wurden bei einer Großrazzia in ganz Europa 3,8 Millionen Präparate sichergestellt und 234 Menschen verhaftet. „Das zeigt, wie groß offenbar der Markt ist“, sagt Thevis.

Missbrauch fängt auf kleiner Ebene an

Dabei fängt der Missbrauch schon auf kleiner Ebene an. Yannik M. (Name von der Redaktion geändert) zog sich im Training eine Bänderverletzung im Knöchel zu. Der 21-Jährige erfuhr von einem Sportmediziner, der sonntags vor den Ligaspielen Fußballer fit spritzen würde. „Über einen Teamkollegen bin ich an den Arzt gekommen“, sagt der C-Liga-Kicker. Und tatsächlich: Der Arzt verabreichte dem Sportler eine Spritze, die die Verletzung kaschierte. „Der Sport sollte eigentlich dazu dienen, dass es dem Menschen gut geht. In diesem Fall liegt aber eine absolute Überbewertung vor“, so Sulprizio. „Der Sport wird falsch eingeschätzt, die Relevanz stimmt nicht.“

Stefan Denifl drohen bis zu zehn Jahre Haft. Das einstige Ausnahmetalent wäre dann ein überführter Straftäter. Immer noch besser als ernsthafte gesundheitliche Schäden. Denn unter den falschen Umständen ist Sport vielleicht dann doch Mord.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort