"Erdbeben" im WM-Skandal? Verschlüsselte Dateien werfen Fragen auf

FRANKFURT/MAIN · Die Aufklärung des WM-Skandals scheint alles andere als abgeschlossen. Für Schlagzeilen sorgen verschlüsselte Dateien in einem Ordner mit dem passenden Namen "Erdbeben".

Entgegen aller Versprechen droht dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) das nächste "Erdbeben" im Skandal um das Sommermärchen 2006. Die Süddeutsche Zeitung berichtete am Freitag von verschlüsselten Dateien, die vom Namen her brisanten Inhalt offenbaren könnten. In jedem Fall beweist der Fund, dass der DFB eben nicht "alles" getan hat, um die WM-Affäre aufzuklären.

Die im Ordner "Erdbeben" gespeicherten Dateien ruhten seit dem 12. November 2015 auf den DFB-Servern und wurden der Staatsanwaltschaft Frankfurt laut SZ erst am vergangenen Montag, also fast genau ein Jahr später, zugänglich gemacht. Die Behörden hatten bereits am 3. November 2015 zur Razzia an der Tür zur DFB-Zentrale geklopft - und konnten deshalb die Dateien, unter anderen mit dem Namen "Komplex Jack Warner", noch nicht finden.

Der inzwischen lebenslang gesperrte und in den USA angeklagte Warner spielte in verschiedenen Skandalen beim Weltverband FIFA eine zentrale Rolle. In der WM-Affäre wurde er durch einen von Franz Beckenbauer gezeichneten, höchst dubiosen Vertrag, der kurz vor der Vergabe der WM 2006 geschlossen wurde, zur Schlüsselfigur. Auch dieser Vertrag führte letztlich zum Rücktritt des damaligen DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach am 9. November 2015.

Ex-Generalsekretär streitet mit DFB vor Gericht

Gefunden hatte den Warner-Vertrag der frühere stellvertretende DFB-Generalsekretär Stefan Hans, der Ende November 2015 entlassen wurde, seitdem vor Gericht mit dem DFB streitet - und mutmaßlich der Verfasser der verschlüsselten Dateien im "Erdbeben"-Ordner ist. Hans habe zwar allerlei Passwörter geliefert, die hätten aber nicht gepasst, teilte der DFB der SZ mit. Der Ex-Angestellte war am Freitag nicht zu erreichen. Gespeichert wurden die Dateien zeitlich eng zwischen Razzia und Hans-Entlassung.

Selbst wenn die Dokumente am Ende keine neuen Erkenntnisse bringen, bleibt die entscheidende Frage, warum der DFB die Dateien so lange zurückgehalten hat. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Steuerhinterziehung, es geht um die dubiosen 6,7 Millionen Euro, die von den WM-Organisatoren um Beckenbauer wohl illegalerweise falsch deklariert worden waren. Zumindest im Dunstkreis dieser Zahlung schwebt auch Warner.

"Wir haben getan, was ein gemeinnütziger Verband tun kann. Alle Fragen zur Aufklärung, die wir beantworten können, sind beantwortet", hatte der neue DFB-Präsident Reinhard Grindel erst Anfang November nach seiner Wiederwahl gesagt. Nun seien die staatlichen Ermittler an der Reihe. Deren Arbeit wurde aber offensichtlich vom DFB - ob mutwillig oder nicht - erschwert.

"Hätte die Staatsanwaltschaft das (die Datei(en), d. Red.) gekriegt, wäre es jetzt noch dort", sagte DFB-Vizepräsident Rainer Koch der SZ. Die fehlende Akteneinsicht sei der "banale Grund" für das monatelange Zurückhalten der Datei. Im vom DFB in Auftrag gegebenen Freshfields-Bericht ist die verschlüsselte Datei "Komplex Jack Warner" aus dem "persönlichen Dateiablageordner von Stefan Hans" in einer Fußnote erwähnt. "Vielleicht hätte man die Datei im März der Staatsanwaltschaft rüberfahren sollen", sagte Koch.

Der DFB und die Freshfields-Ermittler hatten zwar großes Interesse an der Entschlüsselung der Dateien, Experten hätten aber wegen zu hoher Kosten davon abgeraten. Warum nicht unmittelbar die Staatsanwaltschaft, die über weitaus mehr Möglichkeiten verfügt, eingeschaltet wurde, ist offen.

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