Abschiedsspiel von Lukas Podolski Immer Poldi, immer Mensch

Bonn · Nach 13 Jahren sagt Lukas Podolski der Nationalmannschaft „tschö“. Er wird in Erinnerung bleiben – als der Mann mit dem linken Hammer, vor allem aber als Typ. Seine Sprüche sind unvergessen.

Nach allem, was man weiß, war früher nicht nur alles besser, sondern auch einfacher. Früher, als der Fußballer noch nicht vollkommen aus Glas bestand und eine Pizza nicht den Todsünden zuzurechnen war, kam auch schon mal einer Tageszeitung eine große Bedeutung zu. In einer solchen machte sich Ralf Krutwig, damals D-Jugend-Trainer des 1. FC Köln, gerne mal schlau, um zu erfahren, auf welchen Plätzen die Talente der Region denn anzutreffen waren. „Wo die meisten Tore geschossen wurden“, sagte er einmal dieser Zeitung, „da bin ich halt mal hingefahren.“ Er fuhr auch nach Bergheim. Und traf auf Lukas Podolski, den er in einer Art Ad-hoc-Aktion gleich mit ans Geißbockheim nahm. Die Geschichte des kleinen Lukas, der ein Großer, ein Weltmeister in dieser wunderbaren Welt des Fußballs werden sollte, nahm seinen Lauf.

Die Geschichte Krutwigs, der seitdem als Podolskis Entdecker gilt, hielt beim FC jedoch kein Happy End bereit. Aber als sich der Club von dem Siegburger 2011 trennte, trat ein edler Prinz auf den Plan – und schrieb das Märchen einfach fort. Podolski holte seinen ehemaligen Mentor als Nachwuchschef zu seinem Heimatverein FC Bergheim 2000 (früher Jugend 07); später wurde Krutwig Bayern-Scout. Es ist nur eine Episode in Podolskis Vita, aber sie zeichnet ein Bild von ihm als Menschen, das vor allem auf zwei Säulen basiert: Verlässlichkeit und Treue.

Im polnischen Gliwice vor bald 32 Jahren geboren, kam der schmächtige Junge mit seiner Familie im Alter von zwei Jahren nach Köln. Seine polnischen Wurzeln hat er nie verleugnet. Rot und Weiß sind seine Farben. Er habe „ein polnisches Herz“, sagte er neulich dem Magazin „11Freunde“. Dass dort aber noch reichlich Platz für seinen ewigen Sehnsuchtsort Köln bleibt, hält er nur selten im Verborgenen. In der Stadt wird er verehrt wie Tünnes, Schäl und Millowitsch.

Die Liebe gibt der „kölsche Jung“, der seit Kindertagen von allen nur Poldi genannt wird, zurück. Und liegen noch so viele Tausend Kilometer zwischen ihm und seiner Stadt – er hält in aller Welt die kölsche Fahne hoch, an seinem Arm ein üppiges Stadtwappen tätowiert, auf seinem Kopf nicht selten ein rot-weißes Schlapphütchen. Wenn er in den großen Arenen mit den Fans bereitwillig und mit seinem typischen Breitbandgrinsen Fotos macht, steht er zwar im Mittelpunkt. Im Grunde aber ist er immer nur: einer von ihnen. Und wenn er da so posiert, grinst, für sich einnimmt, wirkt das niemals aufgesetzt oder berechnend. Im Gegenteil: Es kommt authentisch daher, irgendwie immer ehrlich, geradlinig, bodenständig. Das gilt auch für den privaten Menschen. Der zweifache Familienvater ist schon lange mit seiner Jugendliebe Monika verheiratet. „Vielleicht“, sinnierte Poldi neulich, „vielleicht mögen mich die Leute so, weil ich die Mentalität eines Straßenfußballers habe.“ Und: „Ich habe mich nie verstellt.“

Poldi in der Nationalelf
12 Bilder

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Hoffnungsträger einer Fußballnation

Die Mentalität hatte er schon immer. Auf dem Bolzplatz setzte er sich damals gegen ältere Kinder aus aller Herren Ländern durch. Seine einzigartige Schusstechnik half ihm dabei. Es schien immer so, als könne er mit seiner linken Klebe einen Ochsen umhauen. Ein Blick, ein Schuss. Klatsch, Bumm, Peng. Das war schon immer das Pfund, mit dem er wuchern konnte. Und so ballerte er sich mit Frische und Unbekümmertheit und seinem linken Hammer über den FC, den er noch heute „meinen FC“ nennt, in die Nationalmannschaft und in die Fan-Herzen. Rasch galt er als großer Hoffnungsträger einer Fußballnation, da war er nicht einmal 20, die all der Rumpelfüßler überdrüssig war. Ein EM-Desaster wie 2004 (Aus in der Vorrunde) mit jener unheilvollen „Scheißdreckkäsemist“-Mannschaft von Rudi Völler sollte es nicht mehr geben.

Und so kam es: 2006 schrieb er das Sommermärchen bei der WM im eigenen Land mit, 2010 war er fester Bestandteil jener deutschen Elf, die mit einem erfrischenden und vor allem hochwertigen Konterfußball in die Weltklasse stürmte. Unter Trainer Joachim Löw, den er als einer der wenigen Spieler duzen darf. Stets an Poldis Seite: sein Freund Bastian Schweinsteiger, der erst vor Kurzem seine DFB-Karriere beendete. Doch während der Münchner sich bis zuletzt seinen Nimbus des Unverzichtbaren erhielt – trotz vieler Verletzungen –, wurde der Kölner mehr und mehr zum Nebendarsteller. Bei der WM 2014 wollte er zwar den goldenen Pokal gar nicht mehr hergeben, kam aber insgesamt nur auf 53 Minuten Einsatzzeit.

Ihn ficht das nicht an. Ein Karriereende wie für Philipp Lahm, Miroslav Klose und Per Mertesacker kam gleich nach Brasilien nicht infrage. Keinen Moment dachte er daran. „Ich hatte weiterhin Lust zu spielen. Das liegt mir einfach im Blut. Und ich hatte Lust auf die Nationalmannschaft.“ Und sei es als Bankangestellter. Das Spiel der deutschen Auswahl hat sich über die Jahre gewandelt, sein Spiel ist gleich geblieben. Er steckte fest inmitten all dieser Samt- und Seidefüßler wie in Treibsand. Er hat sich dennoch weiterentwickelt – als Person.

Poldis soziales Engagement

Seine Antworten in Interviews bestehen inzwischen aus mehr als nur einem Wort. Und seine Sätze sind mit Sinn gefüllt. Er wägt seine Wörter ab, ohne dabei seine berühmten Bonmots zu vernachlässigen. Er hat aus sich eine Marke gemacht, mit eigenem Klamottenlabel. Ein Brauhaus in der Kölner Altstadt trägt den an ihn angelehnten Namen „Zum Prinzen“, wird aber nicht von ihm betrieben.

Was aber häufig vernachlässigt wird, ist Podolskis soziales Engagement. Vielleicht auch, weil er es nicht an die große Glocke hängt. Er hat die Lukas Podolski Stiftung ins Leben gerufen, ist Botschafter des Kinderhilfswerks Arche, kümmert sich um benachteiligte Kinder, beschenkt sie, spielt mit ihnen.

Keine Frage, Poldi hat auch Fehler gemacht im Laufe seiner Karriere: die blonden Strähnchen im Haar zu Beginn etwa, sein Hieb ins Gesicht von DFB-Kapitän Michael Ballack. Klatsch, Bumm, Peng. Sanktionen von Ziehvater Löw gab es nicht. Oder seine Spielsucht, die ihn auch von engagierten Freizeitkicks mit seinen Kumpels in der Halle nicht abhält. Bei einem davon hatte er sich einmal eine Verletzung zugezogen, die eine längere Pause nach sich zog. Böse war ihm niemand. So ist er eben, der Poldi, dachten die meisten. Einem wie ihm verzeiht man eben gerne. Er will doch nur spielen. Ganz gleich ob in den großen Arenen dieser Welt oder auf den kleinen Bolzplätzen.

Auf allerhöchster Ebene setzt er am Mittwoch mit der Partie gegen England (20.45 Uhr, ARD) seinen Schlusspunkt nach dann 130 Länderspielen. Der Münchner Mats Hummels schwärmt geradezu: „Poldi ist in ganz Fußball-Deutschland hoch angesehen.“ Der Nationalmannschaft wird er jedenfalls fehlen, und ihm wird die Nationalmannschaft fehlen. „Ich habe jede Minute dort genossen“, sagte er. Und zum Abschied: „Es war mir eine Ehre.“ Ein Trost bleibt, zumal für einen echten Kölner, der künftig in Japan spielt. Denn niemals geht man so ganz. Oder, um mit Lukas Podolski zu sprechen: „Rein das Ding und ab nach Hause.“

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