Kommentar zum Mittelfinger Die beeindruckende Karriere eines Fingers

Meinung | Bonn · Der von Bayerns Trainer Carlo Ancelotti in Richtung Berliner Fans gezeigte Mittelfinger hat für relativ wenig Aufregung gesorgt. Das zeigt, dass die einst vulgäre Geste fast hoffähig geworden ist.

 Bayern-Trainer Carlo Ancelotti muss nach nach dem Zeigen des Mittelfingers mit einer Geldstrafe oder sogar Sperre rechnen.

Bayern-Trainer Carlo Ancelotti muss nach nach dem Zeigen des Mittelfingers mit einer Geldstrafe oder sogar Sperre rechnen.

Foto: dpa

Der Mittelfinger hat eine ansehnliche Karriere hingelegt in letzter Zeit. Als Einziger von Fünfen darf er sich nämlich mit einem Künstlernamen schmücken. Der Daumen ist der Daumen, der Zeigefinger der Zeigefinger, der Ringfinger der Ringfinger, der kleine Finger der kleine Finger. Aber der Mittelfinger, der ist der Stinkefinger.

Tradition verpflichtet. Es war schon immer etwas Besonderes, den Mittelfinger zu zeigen. Bereits in der Antike signalisierte der phallisch herausgestreckte längste Finger: Du kannst mich mal. Das war und ist nicht höflich, aber deutlich.

Die Zeiten haben sich geändert

Die Menschen benötigten allerdings lange, um sich mit dieser Geste zu arrangieren, sie sozusagen hoffähig zu machen. Als Stefan Effenberg den deutschen Fans während der WM 1994 sein prächtiges Exemplar zeigte, war die Zeit noch nicht reif. Bundestrainer Berti Vogts warf Effenberg aus dem Kader.

Auch Peer Steinbrück und Yanis Varoufakis (ob's nun ein Fake war oder nicht) machten sich nicht unbedingt Freunde. Aber die Zeiten ändern sich. Längst ist der Stinkefinger im Duden angekommen und aus der Verkehrssünderkartei getilgt. Früher konnte ein Finger für fünf Punkte in Flensburg sorgen, heute kostet er nur noch Geld und nicht mehr den Lappen.

Aufregung hält sich in Grenzen

Insofern ist auch nicht davon auszugehen, dass Carlo Ancelotti demnächst seine Trainerlizenz verliert. Aber der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes ermittelt, weil der Italiener einem Berliner Fan den Stinkefinger zeigte, nachdem er angeblich bespuckt worden war. Die Herren in Frankfurt müssen das wohl so machen.

Ansonsten hält sich die Aufregung in Grenzen. Im Gegenteil, viele Trainerkollegen äußern Verständnis. Von wegen Druck und so. Weil wohl auch im Bundestag niemand an einen Untersuchungsausschuss denkt, im Medienbereich nicht einmal die "Bild" Schnappatmung bekam und Freiherr Adolph Franz Friedrich Ludwig Knigge längst nicht mehr unter uns weilt, dürfte die Sache einigermaßen glimpflich ausgehen. Die Herren in Frankfurt werden streng gucken und sich vielleicht für eine Geldstrafe von 10.000 entscheiden. Wenn sie dafür keinen Stinkefinger, sondern den erhobenen Daumen ernten wollen, darf Ancelotti die Währung aussuchen. Lire wären angemessen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Berechtigte Ausgrenzung
Kein Platz für Müller im DFB-Team Berechtigte Ausgrenzung
Aus dem Ressort