Interview mit Michael Gabriel „Man kann von einer Historie des Scheiterns sprechen“

Bonn · Nach dem Skandal um die Schmähplakate gegen Hoffenheims Mäzen Dietmar Hopp (79), Mitbegründer des Weltunternehmens SAP, versuchen Fußballverbände, Clubs und Fans wieder in den Dialog zu treten. Mit am Tisch sitzt auch die Koordinationsstelle der Fanprojekte (KOS). Mit KOS-Leiter Michael Gabriel sprach Tobias Schild.

 Als Leiter der KOS ist Michael Gabriel eng dran an den Fans.

Als Leiter der KOS ist Michael Gabriel eng dran an den Fans.

Foto: schmidtbild.de

Herr Gabriel, Ultras werden oft als Chaoten und Krawallmacher dargestellt. Stimmt das?

Michael Gabriel: Manchmal sind sie das tatsächlich. Aber die Gruppe ist sehr heterogen. Da sind viele gebildete junge Menschen dabei. Die Frauenquote hingegen liegt bei nur rund zehn Prozent. Die Einstellungen innerhalb einer Gruppe können divergieren. Manche Gruppen engagieren sich für fanpolitische Themen wie 50+1 oder Abschaffung der Montagsspiele, andere eher für gesellschaftspolitische, etwa Antirassismus. Und dann gibt es auch Gruppen, für die die Konkurrenz zu anderen im Vordergrund steht. Da geht es um Männlichkeit und auch Gewalt.

Das Verhältnis der Ultras zu den Vereinen und den Fußballverbänden scheint schwierig zu sein.

Gabriel: Die meisten Clubs haben ein belastbares, auf Dialog basierendes Verhältnis zu ihren Fans. Die Clubs haben da viel investiert und wir sehen eine beachtliche Entwicklung. Bei den Verbänden ist das eher schwierig. Vor allem der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat bei den Fans massiv an Glaubwürdigkeit verloren. Mit Blick auf den Dialog der Verbände mit den bundesweiten Fanorganisationen kann man von einer Historie des Scheiterns sprechen. Nach den jüngsten Ereignissen werden die Verbände viel tun müssen, um das verlorengegangene Vertrauen der Fans zurückzugewinnen.

Wie groß ist die Macht der Ultras in den Vereinen?

Gabriel: Ich finde den Begriff Macht in diesem Zusammenhang irritierend, Einfluss trifft es besser. Die Fans sind ein wesentlicher Faktor bei der Gestaltung der Spiele. Die Attraktivität der Bundesliga beruht auf der Performance der Spieler auf dem Rasen und der Stimmung auf den Rängen. Die machen zum großen Teil die Ultras. Aber sie wollen in dieser Rolle auch gehört werden, so wie andere Stakeholder im Fußball, etwa Sponsoren oder TV-Sender. Das ist ja auch eine große Stärke im deutschen Fußballsystem.

Inwiefern?

Gabriel: Es gibt viele definierte Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Fans, etwa als Mitglieder in den Vereinen. Das ist so in Europa einzigartig. In Italien etwa hat es nie eine konstruktive Auseinandersetzung zwischen Clubs und Fans gegeben. Das führte über Phasen von Gewalt und Rechtsextremismus schließlich hin zu einem enormen Zuschauerverlust. In Deutschland haben diesbezüglich auch die Fanprojekte als vermittelnde Einrichtungen einen wichtigen Beitrag zur positiven Entwicklung geleistet.

Den Mitarbeitern der Fanprojekte und den Fanbeauftragten wird öfter nachgesagt, dass sie Fans, die strafbare Handlungen wie das Zünden von Pyrotechnik vornehmen, kennen, aber nicht der Polizei melden. Stimmt das?

Gabriel: Nein, das ist auch nicht ihre Aufgabe. Die Ultras sind außerdem bei Pyroaktionen extrem gut vorbereitet und achten sehr genau darauf, dass sie nicht erkannt werden können. Bei den Vereinen weiß man in der Regel, welche Ultragruppe involviert war, aber nicht welche Personen genau. Die Fanprojektler stehen ja auch nicht inmitten der Ultras.

Die Fans kritisieren vor allem die Kommerzialisierung des Fußballs. Aber ohne können die Clubs international nicht mithalten.

Gabriel: Das wird immer ein Thema der kritischen Auseinandersetzung bleiben. Und in dem haben die Fans ja auch einige bemerkenswerte Erfolge gefeiert. Etwa, dass die DFL und die Clubs sich entschieden haben, auf die Montagsspiele zu verzichten. Auch dass es im deutschen Fußball die 50+1-Regel gibt, wonach immer die Vereine und nicht eventuelle Investoren die Stimmenhoheit haben, ist zum Teil ein Verdienst der Fans. Dieses Engagement schützt auch den Fußball als Volkssport.

Dietmar Hopp wird vor allem beleidigt, weil er die TSG Hoffenheim als Mäzen mit seinem Geld in die Bundesliga gebracht hat. Seit 2008 schwelt sein Streit mit den Fans von Borussia Dortmund, auch weil Hopp sich immer wieder gerichtlich gewehrt hat. Wäre es nicht besser gewesen, wenn er nicht auf die Beleidigungen reagiert hätte?

Gabriel: Es gab tatsächlich Viele, die Hopp in der Vergangenheit geraten haben, die Schmähungen der BVB-Fans über sich ergehen zu lassen. Er hat einen anderen Weg gewählt, der Konflikt mit den BVB-Fans wurde dadurch immer wieder von beiden Seiten befeuert. Durch die zuletzt ausgesprochene Kollektivstrafe gegen die Dortmunder ist es jetzt viel massiver geworden und präsenter als es je war. Und deshalb sind auch die Fans anderer Clubs, wie die der Bayern, aufgesprungen.

Im Nachgang zu dem Skandal beim Spiel Hoffenheim gegen Bayern haben viele Funktionäre, allen voran Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge, harte Strafen gegen die Täter gefordert. Ist das zielführend?

Gabriel: Das ist ein Phänomen, das wir häufig beobachten, dass nach einem solchen Vorfall bestimmte Akteure schnell und unbedacht populistische Forderungen stellen. Im Anschluss haben dann die bedächtigeren und zukunftsorientierten Kräfte Mühe, das zurückzuholen und wieder in geregelte Bahnen zu führen. Es ist nun die Aufgabe von DFL, DFB und der Vereine, den Konflikt konstruktiv zu bearbeiten.

Gerade der konstruierte Zusammenhang zwischen den Fadenkreuzplakaten mit Hopp und dem Terrorakt von Hanau hat die Ultras wütend gemacht.

Gabriel: Viele sind erschrocken darüber, wie hier gesellschaftliche Kategorien verwischt wurden. Die Ultras engagieren sich seit Jahren konstant gegen Rechtsextremismus und haben dafür gesorgt, dass sich die Atmosphäre in den Stadien besonders in diesem Punkt sehr verbessert hat. Dieses Engagement wird durch solche Aussagen entwertet. Der Fußball hat aber jetzt die Chance, seine Haltung und auch seine Begrifflichkeiten zu Themen wie Rassismus, Diskriminierung sowie Hass und Hetze zu schärfen.

Was meinen Sie da konkret?

Gabriel: Der Drei-Punkte-Plan etwa wurde als Handlungskonzept bei Rassismus eingeführt, nicht bei Beleidigungen, wofür er zuletzt angewandt wurde. Das bedarf nun einer genauen Definition. Man sollte auch unbedingt darüber nachdenken, wo die Schwelle ist, wann ein Spiel unter- oder gar abgebrochen wird. Wird diese Schwelle noch tiefer gelegt, wie es zuletzt vom FC Schalke angekündigt wurde, gibt man Fans, die es nicht gut meinen, Eingriffsmöglichkeiten, die keiner will.

Sie sprachen vorhin Kollektivstrafen an, die ja ein zentraler Grund für die Proteste und Beleidigungen sind. Machen diese Sinn?

Gabriell: Man möchte offensichtlich auf dieses Instrument nicht ganz verzichten. Wenn das so ist, muss  der Verband klarmachen, dass es nur eine klar definierte ultima ratio sein kann. Junge Menschen haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Wir wissen aus der Erfahrung, wie verheerend Kollektivstrafen auf sie wirken. Es kann doch nicht sein, dass 25 000 Menschen auf der Dortmunder Südtribüne bestraft werden, weil 100 sich danebenbenommen haben. Da werden Selbstregulierungsprozesse in der Kurve sofort gestoppt und alle verbinden sich gemeinsam gegen den Angriff von außen. Auch die DFL sagt ja, dass Kollektivstrafen noch nie geholfen haben.

Aber warum wendet sie der DFB dann immer wieder an?

Gabriel: Da müssen sie den DFB fragen!

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