Fußball Löw-Team bereit für "schweren Weg" in Frankreich

Évian-les-Bains · Mehr Ausfälle als Frankreich, höhere Belastung und ein Auswärtsspiel. Doch Joachims Löws Plan soll die kleinen Nachteile des deutschen Teams ausgleichen. "Ordnung" und "Entschlossenheit" können für Manager Bierhoff im Halbfinale zu entscheidenden Faktoren werden.

 Für Joachim Löw steht jetzt Feinabstimmung auf dem Programm.

Für Joachim Löw steht jetzt Feinabstimmung auf dem Programm.

Foto: Arne Dedert

Alle setzen auf Joachim Löw. Das Vertrauen in den Chef des deutschen EM-Unternehmens ist gewaltig vor dem Halbfinalduell gegen eine euphorisierte "Grande Nation" im heißen Marseille.

"Er weiß in den Situationen, wie er zu regieren hat", sagte Offensivspieler Thomas Müller mit der Gewissheit, dass Löws Matchplan wie schon im Viertelfinalkrimi gegen die Italiener zum Erfolg führen wird. "Er wirkt auch auf uns sehr zuversichtlich", berichtete der Torjäger voller Vorfreude auf die Partie am Donnerstag (21.00 Uhr) im Stade Vélodrome. "Viel schönere Fußballspiele gibt es nicht", sagte der 26 Jahre alte Müller mit blitzenden Augen.

Oliver Bierhoff schiebt Frankreich zwar eine "leichte" Favoritenrolle zu. Doch die Protagonisten der deutschen Fußball-Nationalmannschaft sehen trotz großer Personalsorgen und der größeren Belastung auf dem bisherigen Weg gute Chancen, zum siebten Mal ein EM-Finale zu erreichen. "Die Mannschaft hat sich im Laufe des Turniers gesteigert, ist zusammengewachsen. Deshalb bin ich überzeugt, dass wir die Ausfälle auch kompensieren können", erklärte Teammanager Bierhoff im DFB-Basisquartier am Genfer See. "Wir haben wirklich den schweren Weg vor uns, aber wir sind auch bereit, den zu gehen."

Neun deutschen Siegen stehen gegen die "Blauen" bisher elf Niederlagen entgegen. Allerdings hat die DFB-Auswahl zuletzt die wirklich wichtigen Partien bei Weltmeisterschaften gegen Frankreich gewonnen: 5:4 im Elfmeterschießen 1982 in Sevilla, 2:0 im mexikanischen Guadalajara 1986 und zuletzt 1:0 im Viertelfinale vor zwei Jahren in Rio de Janeiro. Löw interessieren die Statistiken nicht: "Das Jetzt ist entscheidend."

Im Jetzt wird der Bundestrainer im Halbfinale "neue Namen reinbringen". Löw muss neben dem gelb-gesperrten Mats Hummels die verletzten Mario Gomez und Sami Khedira sowie voraussichtlich auch Bastian Schweinsteiger ersetzen. Der Kapitän konnte wegen seiner erneuten Knieverletzung auch zwei Tage vor dem Frankreich-Hit nur Fitnessübungen bestreiten. Bierhoff glaubt aber an das Team: "Wir haben keine Rumpfmannschaft, und das macht natürlich Mut."

Mindestens drei Startelfwechsel wird Löw gegenüber dem Viertelfinale gegen die Sqadra Azzurra vornehmen. Für Hummels dürfte bei vorausgesagten hohen Temperaturen Shkodran Mustafi in die Dreierkette rücken, falls sich der Chefcoach wieder für diese Abwehrvariante entscheidet. Da es im deutschen Aufgebot keinen gesunden klassischen Mittelstürmer mehr gibt, könnte Müller die Rolle von Gomez übernehmen und Julian Draxler wieder im offensiven Mittelfeld beginnen.

Auf der Khedira-Position in der Mittelfeldzentrale hat der Dortmunder Julian Weigl gute Chancen auf sein Turnierdebüt. "Er löst manche Dinge anders, hat ein ganz geschicktes Positionsverhalten. Er macht die Passwege zu, ist unglaublich sicher am Ball", zählte der Bundestrainer die Vorzüge des 20 Jahre jungen Dortmunders auf. Löws großer Stab hat zwischen den Spielen immer dafür Sorge getragen, dass die Reservisten topfit sind, wenn es darauf ankommt.

Dass auch Benedikt Höwedes am Dienstag im Stade Camille Fournier von Évian nicht am Teamtraining teilnahm, bezeichneten die DFB-Verantwortlichen als Vorsichtsmaßnahme. Der Schalker Allroundspieler ist für den Bundestrainer "Gold wert", egal ob er gegen die nach dem 5:2 im Viertelfinale gegen Island euphorisierten Franzosen eine Dreier- oder Viererkette in der Abwehr aufstellt.

Nach dem Jahrhundert-Elfmeterschießen gegen Italien soll nun auch die Partie gegen Frankreich zu einer Zwischenstation werden. "Es ist normal, dass die französische Mannschaft selbstbewusst ist, gerade die Offensive. Das heißt aber nicht, dass wir Angst haben. Wir wissen, dass wir ein sehr gutes Turnier gespielt haben gerade in der Defensive", betonte Welttorhüter Manuel Neuer, der im EM-Turnier bisher nur vom Elfmeterpunkt aus bezwungen werden konnte.

Dass Manager Bierhoff den zweimaligen Europameister Frankreich dennoch leicht im Vorteil sieht, begründete er mit den jüngsten Erfolgserlebnissen, der möglichen größeren Frische des Kontrahenten sowie der riesigen Fanunterstützung. "Wir wissen um die hohe individuelle Klasse der Franzosen. Dem müssen wir Ordnung und Entschlossenheit entgegenstellen", unterstrich Bierhoff.

Von Parallelen zu Brasilien vor zwei Jahren, als ein ebenfalls hochmotivierter WM-Gastgeber überdrehte und unterging, will der einstige DFB-Kapitän nichts wissen. "Den Gefallen wird uns Frankreich nicht tun, das wird ein ganz anderer Widerstand", sagte Bierhoff.

Müller amüsierte der Gedanke an eine Wiederholung des Spektakels von Rio. "Wenn es eine Parallele wird, ist es gut für uns. Aber ich will jetzt nicht sagen, dass wir 7:1 gewinnen, das wäre ein bisschen zu viel", erklärte der Münchner. Nach insgesamt zehn EM-Spielen ohne eigenen Treffer will Müller die Torbilanz endlich aufpolieren. "Tore sind nicht mein Benzin, eher der Lack auf dem Auto, der Speziallack, der nach außen gut aussieht", erklärte Müller. "Mein Benzin ist mein Antrieb nach Erfolg. Mein Antrieb ist es, mit der Mannschaft etwas Großes zu leisten. Wir sind als Weltmeister hier angetreten. Und internationale Titel nacheinander zu holen, so wie es die Spanier vorgemacht haben, ist ja nicht alltäglich."

Die voraussichtliche Aufstellung:

Neuer - Höwedes, Boateng, Mustafi - Kimmich, Weigl, Kroos, Hector - Özil, Müller, Draxler

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