"Großartig, einfach großartig" WM-Filmemacher Uli Voigt im Interview

Der Bonner Uli Voigt ist beim Deutschen Fußball-Bund zuständig für die Zusammenarbeit mit den Fernsehsendern. Der 62-Jährige war mittendrin, als Deutschland zum vierten Mal Weltmeister wurde. Der Film "Die Mannschaft", der am Donnerstag in die Kinos kommt, dokumentiert die Sternstunden von Brasilien.

Im Mittelpunkt stehen neben den entscheidenden Spielszenen die Bilder aus dem Innenleben der Nationalmannschaft - aus dem Teamquartier im Campo Bahia, von den Reisen, aus der Kabine. Vollendet wurde das Werk im Oktober in Poppelsdorf. Vor der Uraufführung in Berlin sprach Berthold Mertes mit Voigt, der in seiner Rolle als Filmemacher mit seinen DFB-Kollegen Martin Christ (Kamera) und Jens Gronheid (Schnitt) in die Fußstapfen von Star-Regisseur Sönke Wortmann getreten ist, der 2006 das "Sommermärchen" kreiert hatte.

Herr Voigt, für Sie endete die WM nicht am 13. Juli. Wie waren die letzten Wochen?
Ulrich Voigt: Zuletzt haben Martin, Jens und ich bei mir Zuhause in Poppelsdorf einen Schnittplatz aufgebaut und uns für den letzten Schliff zehn Tage in mein Wohnzimmer zurückgezogen. Davor hatten wir vieles vorgeschnitten und binnen sieben Wochen aus insgesamt 25 Stunden Stoff 120 Minuten Rohmaterial gemacht.

War der Film fest geplant?
Voigt: Wir waren selbstverständlich nicht unvorbereitet in die WM gegangen. Wir wussten, wenn wir Weltmeister werden, dann machen wir den Film.

Und wenn nichts daraus geworden wäre?
Voigt: Dann wäre alles in der Tonne gelandet. Nein, nicht ganz - es wäre eine schöne DVD für Spieler, Trainer und den Präsidenten geworden. Bei Platz zwei oder drei hätte mehr keinen Sinn gemacht - in der Historie der zweiten und dritten Plätze 2006, 2008, 2010 und 2012 ...

Was ist neben dem Happy End anders als im Sommermärchen?
Voigt: Selbstverständlich ist es vor allem das Happy End. Aber auch das Land Brasilien, seine Menschen, und die Atmosphäre im Teamquartier, dem Campo Bahia.

Auch 2006 haben Sie alles aus der Nähe erlebt. Verhielten die Spieler sich diesmal anders?
Voigt: Sie sind noch offener geworden. Sie gehen durch ihre Erfahrungen mit den neuen Medien und sozialen Netzwerken anders mit der Kamera um - einfach selbstverständlicher. Auch die Selfie-Geschichte hat uns sehr geholfen.

Jetzt drehte der DFB im Auftrag der Fifa, 2006 war es Sönke Wortmann. Fehlt dem neuen Film dadurch nicht ein wenig kritische Distanz?
Voigt: Ohnehin können und wollen wir uns in keiner Weise mit Sönke Wortmann vergleichen. Wir zeigen, wie wir die WM erlebt haben. Das hat keine journalistische Komponente, sondern ist eine gefühlte Innenansicht. Das Tolle an dem Film ist, dass wir so supernah dran waren, bei den Ansprachen der Spieler und Trainer, auf den Busfahrten, und in der Kabine nach dem Titel.

Im Sommermärchen gab es kritische Momente: die Diskussion, in der Ballack und Kahn dagegen waren, sich nach der WM in Berlin von den Fans groß feiern zu lassen. Und diesmal?
Voigt: Solche Situationen sind einfach nicht vorgekommen. Die Unsicherheit nach dem 2:2 gegen Ghana, die Unruhe in der Frage, wo Lahm spielt, die Kritik nach dem Algerien-Spiel - all das waren nur Medienthemen. Im Innenleben war alles gut. Für mich hätte es auch noch ein Jahr so weitergehen können. Alles war komplett entspannt. Deshalb passt der Filmtitel "Die Mannschaft" auch so gut.

Seit 2005 sind Sie beim DFB. Markiert der Film den Höhepunkt Ihrer beruflichen Laufbahn?
Voigt: Das Highlight ist der WM-Titel an sich. Ansonsten: So etwas machen zu dürfen, ist großartig. Einfach großartig.

Das gilt auch für die Feier am Brandenburger Tor?
Voigt: Wir hätten diesmal nichts gemacht, wenn wir Dritter geworden wären.

Thomas Müller sagt im Film: "Wer denkt, dass ich bei dem Freistoßtrick hingefallen bin, ist falsch gewickelt." Dann wird gezeigt, wie der Trick auf dem Trainingsgelände im Campo Bahia geübt wurde. Das ist doch ein Gag, oder? Und die Trainingsszene nachgedreht - stimmt's?
Voigt: Das war vorher, wirklich.

Thomas Müller hätte den Spaß sicher mitgemacht ...
Voigt: Im Ernst: Hansi Flick hatte ein so genanntes Mental-Book entwickelt, im Voraus die komplette WM geplant. Ein Baustein war, dass die Mannschaft im Training selbst entwickeln sollte, wie sie die Freistöße ausführt.

Und wer hatte die Idee zum Stolperfreistoß?
Voigt: Toni Kroos, Mesut Özil und natürlich Thomas Müller. Der Trick: Alle achten auf den, der stolpert und nicht mehr auf die Ausführung. Jogi war begeistert und sagte: Eine geniale Idee.

Im Achtelfinale gegen Algerien sah das aber alles andere als grandios aus.
Voigt: Zugegeben: Ein anderer Zeitpunkt als die 89. Minute dieses Spiels, als das WM-Abschneiden auf des Messers Schneide stand, wäre geeigneter gewesen.

Schwarzseher erkannten in diesem Moment die deutsche Elf als Versager und wähnten Joachim Löw vor dem Rausschmiss ...
Voigt: Sogar die ganze Welt hat über uns gelacht. Doch mein Kameramann kam zu mir und sagte: Ich habe auch den Stolperschritt aus dem Training drauf. Zwar nicht ganz, aber dank Aufnahmen einer Scouting-Kamera haben wir die Szene komplett im Film.

Sie haben in Ihrer Zeit als Aktiver in der Oberliga gespielt, seit 1988 halten Sie Rot-Weiß Lessenich die Treue. Welche Unterschiede gibt es in puncto Teamchemie zwischen der Nationalelf und einem Kreisligaclub?
Voigt: Der einzige Unterschied: Alles drum herum ist eine Nummer größer, die Kabinen, das Umfeld, die Stadien ...

... aber die Wahrheit liegt auf dem Platz?
Voigt: Das Geile ist: Ob du Kreisliga-Meister wirst oder den WM-Titel holst - im Endeffekt sind es dieselben Spielertypen und dieselben Lieder, die gesungen werden.

Mit 55 waren Sie noch ziemlich fit, meint mein Kollege Simon Bartsch. Der ist fast 30 Jahre jünger als Sie und erzählte, dass sein junges Team vom SC Widdig gegen die alten Herren von Lessenich keine Schnitte bekamen. Warum haben Sie die Schuhe mit 60 schon an den Nagel gehängt?
Voigt: Die Zeit der Reibekuchen (er meint durch Kontakt mit Hartplätzen aufgerissene Oberschenkel, die Red.) ist mit 62 Jahren vorbei. Aber wenn der Kunstrasenplatz in Lessenich fertig ist, greife ich in meiner Karriere in der dritten Mannschaft wieder richtig an.

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