"Die Mannschaft" Großes Kino ohne große Schauspieler

Schemenhaft zeichnet sich der Mann am Schreibtisch hinter der Glasscheibe ab - ein Bild wie gemalt. Der Blick geht von draußen nach drinnen, hinter die Kulissen, in Jogis Denkfabrik, das Büro von Weltmeister-Trainer Joachim Löw im Campo Bahia von Santo André. In dem 900-Seelen-Dorf hatte die deutsche Nationalmannschaft ihr Basisquartier während der fünf Wochen in Brasilien.

 Wie gemalt: Bundestrainer Joachim Löw in einer seiner ruhigen Stunden im Mannschaftsquartier.

Wie gemalt: Bundestrainer Joachim Löw in einer seiner ruhigen Stunden im Mannschaftsquartier.

Foto: Constantin Film Produktion GmbH

Zeitlos schön wirkt die Aufnahme, und sie lässt die gefühlte Ewigkeit der Vorbereitungszeit mit all den Rückschlägen und Zweifeln spüren, die vor der magischen Nacht von Maracana lagen.

Das Bild ist eine Kernszene des Films "Die Mannschaft", der morgen in die deutschen Kinos kommt - auf den Tag genau vier Monate nach dem Triumph des Löw-Teams im WM-Finale von Rio de Janeiro. Anders als beim "Sommermärchen" von Sönke Wortmann bei der Heim-WM 2006 drehten diesmal Mitarbeiter des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) die Bilder, federführend DFB-Fernseh-Mediendirektor Uli Voigt aus Bonn. Ganz nah dran, ohne Distanz, verständlicherweise "ohne journalistischen Anspruch", wie Voigt im Interview mit dieser Zeitung sagte.

Auch wenn besonders kritische Zeitgenossen den Streifen deshalb als überlanges PR-Video geißeln mögen, herausgekommen ist eine vergleichsweise intime Dokumentation deutscher Sportgeschichte - des ersten Titelgewinns eines europäischen Teams auf dem südamerikanischen Kontinent. Somit selbstverständlich anrührend und emotional. Dazu romantisch, dank der grandiosen Teamquartier-Kulisse mit Palmen im Wind und Sonnenaufgängen am Meer. Und mit lustigen Sequenzen. Die konnten bei den bewiesenermaßen häufig zu Streichen aufgelegten, jung gebliebenen Erwachsenen nicht ausbleiben - etwa der mit Thomas Müller, der seine Kameraden nach verlorener Wette im Dirndl bedient. Klar, dass Spaßvogel Lukas Podolski mehr als einmal lachend durch das Bild läuft. Müller tanzt mit Indianern, "Poldi" mit Schulkindern - die Deutschen kamen gut an bei den Brasilianern.

Gänsehaut garantieren die Tore, die zum 7:1 im Halbfinale gegen die Gastgeber, und nicht zuletzt jenes in der 113. Minute des Endspiels gegen Argentinien. Das Happy End kennt jeder, bevor er den Kinosaal betritt.

Außer Gefühlsduschen werden immerhin ansatzweise auch Erklärungen für den Erfolg geliefert. Gleich zu Beginn sagt Jogi Löw: "Wir hatten so etwas wie einen Masterplan." Dessen Kern: die vielbeschworene Teamharmonie, realisiert über Mitsprache der Spieler. Erst nach und nach füllen sich die anfangs weißen Blätter im "Matchbook" von Assistenztrainer Hansi Flick. Löw hält Motivationsreden, Kapitän Philipp Lahm Kabinenansprachen, von der Dramaturgie also kein großer Unterschied zum Sommermärchen. Es geht um die Botschaft einer funktionierenden Mannschaft.

Für unfreiwillige Komik sorgt der Mann, der für den letzten Titelgewinn einer deutschen Elf vor dem Triumph von Maracana verantwortlich zeichnete. Berti Vogts, Trainer der Europameister-Elf von 1996 und in Brasilien Berater von US-Trainer Jürgen Klinsmann, trifft Jogi Löw. Es war vor der Vorrundenpartie zwischen Deutschland und den USA in den Katakomben des Stadions von Recife. "Brauchst du noch einen rechten Verteidiger?", fragt Vogts und seine Sprachmelodie erinnert unweigerlich an seinen legendären Tatort-Satz: "Gib dem Kaninchen eine Möhre extra." Die Sequenz steht für das Motto des Dramas, das "Die Mannschaft" aufgrund der Wucht der dokumentierten Geschehnisse ist: Großes Kino ohne große Schauspieler. Aber mit Ausnahmesportlern, die sich geben, wie sie sind - und den vierten Stern deshalb verdient haben.

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