Fußball-Nationalmannschaft Serge Gnabry ist zum Weltklassespieler gereift

Dortmund · Serge Gnabry beweist auch gegen Argentinien, dass er zu einem Weltklassespieler gereift ist. Joachim Löw baut in der EM-Quali gegen Estland um

 Der Trainer und sein Hoffnungsträger: Joachim Löw (l.) und Serge Gnabry.

Der Trainer und sein Hoffnungsträger: Joachim Löw (l.) und Serge Gnabry.

Foto: dpa

Momente, in denen er seine Gegenspieler rasend macht, kommen nicht selten vor. Sie ärgern sich dann über Serge Gnabry, den rasenden Problembereiter. Sie ärgern sich über seine Wendigkeit, die er trotz seiner Kompaktheit mit sich bringt. Sie ärgern sich über seine technischen Vorzüge, mit denen er auch auf engstem Raum ihren Abwehrversuchen entgleitet. Ja, sie ärgern sich auch und vor allem über seine enorme Abschlussstärke, die er seit Wochen an den Tag legt. Und manchmal findet er auch bislang von der Menschheit unentdeckte Räume und Weiten.

Es kommt sogar vor, dass sich seine eigenen Mitspieler angemessen über ihn aufregen. Neulich erst fuhr im der grätschende Niklas Süle in die Beine. Gnabry hatte ihm zuvor "eine Klatsche auf den Kopf gegeben", wie er selbst zugab. Da es sich glücklicherweise um ein beidseitiges Vergehen bei Feierlichkeiten handelte, war alles nur, wie Gnabry erzählte, "ein bisschen Spaß". Den hatte er auch zuvor auf dem Platz, vier Tore erzielte er für die Bayern in der Champions-League-Partie in Tottenham. Später kam dann die Frage auf, ob dies das beste Spiel seines Lebens gewesen sei. Er zierte sich. Murmelte etwas von "einigen guten Spielen", wusste aber mit ziemlicher Sicherheit, dass es genau das war: das beste Spiel seines Lebens. Bislang.

Denn Gnabry macht auch im Nationaltrikot nicht den Eindruck, auch nur einen Millimeter zurückweichen zu wollen von seiner Vollgasmentalität. Beim 2:2 (2:0) im Testspiel gegen Argentinien mit einer deutschen Elf, die eher einer Betriebssportgemeinschaft ähnelte, die nie weiß, ob der angekündigte Torwart auch tatsächlich zum Treffpunkt erscheint, war er einer der Besten, nein: der Beste auf dem Platz. Er bereitete nicht nur den Länderspiel-Premierentreffer des ebenfalls sehr auffälligen Leverkuseners Kai Havertz mit chirurgischer Präzision vor, sondern erzielte das 1:0 selbst, mit einer technischen Brillanz, die es ihm ermöglichte, den Ball im Fallen mit dem Außenrist ins Tor zu streicheln.

Während der frühere Bundestrainer Jürgen Klinsmann Gnabrys Spiel "eine Augenweide" nannte, war sein Münchner Clubkollege Joshua Kimmich tief beeindruck nach dem Duell der früheren Weltmeister. "Ich habe selten einen Spieler gesehen", sagte er in den Katakomben des Dortmunder Stadions, "der so zielstrebig ist Richtung Tor." Für den mit 24 Jahren gleichalten Kimmich sei er "in unserem Jahrgang immer der beste Spieler" gewesen.

Ohnehin zeigte sich der Anführer sehr auskunftsfreudig nach der wechselhaften Fußballnacht im Ruhrpott, die eine starke erste Hälfte der DFB-Elf bot, dafür aber eine schwächere zweite. Und war zu Scherzen aufgelegt. Die Kapitänsbinde, die er als Vertreter von Manuel Neuer erstmals in einem Länderspiel tragen durfte, war ihm schlicht noch eine Nummer zu groß. "Vielleicht muss der DFB eine in XS herstellen", meinte er. "Mir ist sie immer wieder runtergerutscht, da muss ich morgen meine Bizeps aufpumpen."

Mit unbestechlichem Ernst sprach er dagegen über Gnabry (während der in Dortmund keinen Kommentar abgab), dem er das Prädikat "absolute Weltklasse" verpasste. Eine Kategorie, die nach wie vor auch Lionel Messi verkörpert. Doch der kleine Argentinier, der gerade zum sechsten Mal zum Weltfußballer gekürt wurde, fehlte gegen das DFB-Team, weil er den argentinischen Verband kritisiert und sich so eine Sperre eingehandelt hatte. Selbstredend, ein Vergleich zwischen den beiden ist nicht zulässig, aber Gnabrys Spielstil reißt mit und kurbelt die Fantasie an, was dieser junge Mann noch alles zu leisten imstande sein kann. Gegen die Südamerikaner erzielte Gnabry nicht nur sein zehntes Tor im elften Länderspiel, sondern er riss die anderen mit seinem Einsatz mit. Sein Mentor Joachim Löw hatte ein "wahnsinniges Tempo" bei ihm gesehen, "unglaubliche Wege". Und er sei "überall aufgetaucht und war ständig brandgefährlich".

Dabei war Gnabrys Weg in das Spitzensegment des Fußballs von einigen Schlaglöchern gekennzeichnet. Aufgewachsen als Sohn einer Schwäbin und eines Ivorers in der Nähe von Stuttgart, fasste Gnabry, der mit 15 Jahren vom VfB zum FC Arsenal nach England wechselte, erst über Umwege endgültig in der Bundesliga Fuß. Trotz der harten englischen Schule verzagte er nicht, sie härtete ihn ab. Zurück in Deutschland nahm er den Kampf gegen alle Widrigkeiten an, ging von Bremen nach München, wurde wieder ausgeliehen an Hoffenheim, sammelte Spielpraxis. Er traf regelmäßig, und so ist er selbst beim FC Bayern mit all seinen kickenden Großkalibern gesetzt. Eine Ehre, die ihm nun auch in der Nationalelf widerfährt. Er hat sich zu einem Unverzichtbaren entwickelt in dieser Mannschaft des Umbruchs. Löw hat ihn mit einer seltenen Garantie zum Spielen ausgestattet, die etwa aktuelle Größen wie Messi oder frühere Größen wie Thomas Müller schon genossen. "Serge Gnabry", sagte der Bundestrainer neulich, "spielt immer."

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