Hrubesch-Nachfolgerin Bundestrainerin Voss-Tecklenburg: "Horst hat viel geleistet"

Düsseldorf · Die neue Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg beginnt ihre Mission bei den DFB-Frauen mit einem Trainingslager. Sie soll das Team im WM-Jahr zu alter Stärke zurückführen. Versprechen macht die 51-Jährige zum Start ihrer Tätigkeit aber nicht.

 Martina Voss-Tecklenburg kommt mit ihrer Mannschaft in Spanien zusammen.

Martina Voss-Tecklenburg kommt mit ihrer Mannschaft in Spanien zusammen.

Foto: Arne Dedert

Am Montag startet die deutsche Frauenfußball-Nationalmannschaft in das WM-Jahr. Auch für die neue Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg beginnt mit der direkten Turniervorbereitung eine spannende Zeit.

Im Interview der Deutschen Presse-Agentur erläutert die 51-Jährige vor dem einwöchigen Trainingslager in Marbella ihre Pläne, Vorstellungen und Ziele mit Blick auf die WM im Sommer in Frankreich - und darüber hinaus.

Frage: Nach längerem Anlauf fällt nun der Startschuss. Was erwarten Sie vom ersten Zusammentreffen mit der Mannschaft und dem Trainingslager in Spanien?

Antwort: Ich bin froh, dass es jetzt endlich losgeht, auch wenn ich schon seit fünf Wochen dabei bin. Die erste Zeit war bereits intensiv mit Trainersitzungen, Tagungen und regem Informationsaustausch. Zudem musste ich noch einige Abläufe beim DFB kennenlernen. Jetzt haben wir alles vorbereitet, so dass wir loslegen können und aus meiner Sicht einen guten Start haben werden.

Frage: Wo liegen die Schwerpunkte in der ersten von vier WM-Vorbereitungsphasen?

Antwort: Erstmal ist es gut, ein Trainingslager ohne den Druck eines Spiels zu haben. Viele Spielerinnen sind erst seit wenigen Tagen im Training. Da treten auch schon die ersten kleinen Blessuren auf. Es geht nun darum, die Belastung gut zu steuern. Und wir haben in Spanien viel Zeit, Gespräche zu führen und die Spielerinnen besser kennenzulernen. Das ist sehr wichtig.

Frage: Warum verzichten Sie auf ein Testspiel im Trainingslager?

Antwort: Zwei Dinge sprechen dagegen: Erstens sind die Spielerinnen noch relativ früh in der Vorbereitung. Da macht ein Testspiel mitten in der Belastung nicht viel Sinn. Zudem haben wir genug Akteurinnen mit und können gegeneinander spielen. So kann man die Belastung besser steuern, wir sind flexibler. Oft stellt man nach vier, fünf Tagen fest, dass das, was man sich vorgenommen hatte, nicht voll umgesetzt werden kann und manche Dinge anpasst werden müssen. Zweitens wollen wir mehr Zeit haben, Gespräche mit den Spielerinnen zu führen. Für sie ist es ja auch spannend zu sehen, wer kommt denn da jetzt.

Frage: Also ist es zunächst eher ein Beschnuppern?

Antwort: Natürlich nicht nur. Es wird auch hart gearbeitet auf dem Platz. Wir wollen sehen, wie die Spielerinnen auf Belastung reagieren, wie sie mit Kritik umgehen, wie sie sich im Eins-zu-Eins-Vergleich verhalten. Ein Vorteil ist, dass die Co-Trainer Britta Carlson und Thomas Nörenberg schon länger bei der Mannschaft sind. Wir kennen die Spielerinnen sehr gut aus der Liga. Einige kenne ich noch aus meiner Verbandszeit und als Trainerin in Duisburg und Jena. Wir gehen nun alles Schritt für Schritt an. Später in der Vorbereitung spielen wir dann nur gegen Topnationen, um zu sehen, wo wir stehen und was uns mit Blick auf die WM noch fehlt.

Frage: Es gibt nicht viel Zeit, weil das Turnier schon am 7. Juni beginnt. Macht Ihnen das Sorgen?

Antwort: Der Zeitplan ist schon sehr eng. Einige Spielerinnen werden nach der Bundesliga-Saison nicht viel Urlaub haben, vor allem wenn sie mit ihrem Club vielleicht noch im Champions-League-Finale oder im DFB-Pokalendspiel stehen. Aber wir haben ja keine andere Wahl. Es ist wie es ist, und wir wollen das Optimale rausholen.

Frage: Unter den 30 Spielerinnen, die in die Vorbereitung starten, sind auch einige sehr junge...

Antwort: Wir haben einige Jüngere eingeladen wie Lena Oberdorf, Sjoeke Nüsken, Lena Lattwein, Giulia Gwinn, Klara Bühl oder Tanja Pawollek. Die sind allesamt spannend. Da möchte ich einfach sehen, wie weit sind sie schon im Vergleich zu den Älteren und Etablierten? Welches Potenzial haben sie? Ich möchte auch ein Signal geben, dass es nicht darum geht, ob eine Spielerin ein oder 125 Länderspiele bestritten hat. Sondern darum, was sie aktuell in ihren Clubs leisten, wie oft sie spielen, wie viel sie spielen. Das wird auch ein Auswahlkriterium bei der endgültigen WM-Nominierung sein.

Frage: Dann starten alle bei null mit denselben WM-Chancen?

Antwort: Natürlich gibt es einige Spielerinnen, von denen wir wissen: Das sind unsere Leistungsträgerinnen und Führungskräfte. Um sie baut man das Team herum. Aber es ist schon ein Zeichen, dass die Tür offen ist für alle. Ich freue mich darauf, die Jüngeren kennenzulernen. Es gibt viele Talente, die in dieser Saison auf sich aufmerksam gemacht haben. Wie weit sind sie? Was machen sie nebenher, was haben sie für Ziele? Das ist ein spannender Prozess. Stand heute könnte ich noch nicht sagen, wer mit zur WM fährt und wer nicht.

Frage: Wie lief der Austausch mit Ihrem Vorgänger Horst Hrubesch?

Antwort: Wir hatten immer Kontakt, in den letzten Wochen wurde er dann intensiver. Wir hatten eine Art Übergabegespräch. Natürlich hat er mir seine Eindrücke vermittelt, aber auch stets betont, dass ich mir mein eigenes Bild machen muss. Horst hat viel geleistet und eine gute Basis geschaffen. Vor allem hat er eines geschafft: Er hat den Spielerinnen wieder Mut und Selbstbewusstsein gegeben. Er konnte ja nicht viel experimentieren und ausprobieren, weil er Ergebnisse liefern musste, um die WM-Qualifikation mit dem Team zu schaffen.

Frage: Wie wollen Sie ihre Aufgabe angehen?

Antwort: Wir werden die zwei, drei Basics, die wir mit Horst besprochen hatten, mit dem zusammenbringen, wie ich mir den Fußball vorstelle. Wir haben eine klare Idee und wollen attraktiv und offensiv spielen. Im modernen Fußball geht es vor allem darum, in den Umschaltphasen das bessere Team zu sein. Wir wollen mutig und selbstbewusst unser eigenes Spiel aufbauen und durchziehen, möglichst mit einer hohen Geschwindigkeit. Und wir wollen auch agieren, wenn wir den Ball nicht haben. Dazu braucht es Mechanismen und Informationen.

Frage: Wie meinen Sie das?

Antwort: Was wissen die Spielerinnen eigentlich, was wird von ihnen im Verein verlangt? Einer der größten Fehler ist - den habe ich auch schon gemacht - dass man bei den Spielerinnen etwas voraussetzt, was nicht vorhanden ist. Dann wundert man sich hinterher, dass es nicht funktioniert. Das wichtigste ist, dass man überzeugt ist von dem, was man tut. Wenn die Spielerinnen Angst haben oder sich beispielsweise die Dreierkette nicht zutrauen - dann kann ich sie eben nicht mit ihnen spielen. Aber das werden wir alles erarbeiten.

Frage: Werden die Spielerinnen in der DFB-Elf auf ihren gewohnten Positionen eingesetzt oder gibt es da Überraschungen?

Antwort: Es ist ja kein Wunschkonzert. Vielleicht sehen wir eine Spielerin auch mal auf einer anderen Position, wenn wir überzeugt sind, dass sie dem Team da am besten helfen kann. Da müssen auch Eitelkeiten verschwinden. Wenn ich auf einer Position nicht spielen will, bin ich verkehrt. Dann sitzt diejenige auf der Bank oder Tribüne. Letztlich geht es darum, das beste Team aufzustellen. Es sollen immer die aktuell elf bis 14 stärksten Spielerinnen auflaufen.

Frage: Haben Sie eigentlich ein Lieblingssystem?

Antwort: Grundsätzlich wollen wir das System spielen, das die Mannschaft am besten umsetzen kann. Aber es gilt auch: Wie und wo tun wir dem Gegner am meisten weh? Wir müssen dahin kommen, dass die Spielerinnen einige Prinzipien verinnerlichen. Wenn sie die verstehen, können wir variabel, überzeugend und erfolgreich spielen. Ich möchte etwas unabhängiger sein von einem starren System. Vielleicht sind es am Ende nur zwei oder drei Systeme, von denen wir sagen: Damit sind wir stark. Es kann sein, dass wir mal im 4-3-3 spielen, wenn ich drei tolle Stürmerinnen habe. Dann wäre ich doch dumm, nur mit einer Spitze zu spielen. Genauso ist es möglich, hinten mal mit einer Dreierkette zu agieren. Oder mit einer Stoßspitze und vier Offensiven dahinter. Das hängt von den Spielerinnen ab, die ich habe. Und natürlich auch vom Gegner.

Frage: Kommt die WM für das deutsche Team, das sich ja im Umbruch befindet, vielleicht ein bisschen zu früh?

Antwort: Die WM kommt insofern nicht zu früh, als dass jedes große Turnier ein riesiger Lernprozess für jede Spielerin ist. Turniererfahrung ist durch nichts zu ersetzen. Ich denke ja nicht nur an das nächste halbe Jahr, sondern längerfristig. Wir müssen eine Vision für die Zukunft haben, was wir mit den Spielerinnen zusammen in den kommenden Jahren erreichen wollen. Deswegen ist es wichtig, dass wir mit unseren U-Teams immer bei den Endrunden vertreten sind. Die WM könnte aber von der Erwartungshaltung, die man von außen hat, vielleicht etwas zu früh kommen. Weil viele meinen, Deutschland muss immer um den Titel spielen. Das wollen wir auch.

Frage: Können Sie das schon? Welche Rolle trauen Sie ihrem Team zu?

Anwort: Ganz ehrlich? Ich kann jetzt noch nicht einschätzen, ob es realistisch ist, um den WM-Titel mitzuspielen. Es wäre vermessen, das jetzt zu sagen. Aber am Ende des Trainingslagers will ich den Spielerinnen schon sagen können, was wir anstreben oder wie die Ziele lauten. Eines ist klar: Wir werden unsere Spiele nicht gewinnen, nur weil wir Deutschland heißen. Du musst in jedem Spiel Leistungen auf Topniveau abrufen, auch gegen vermeintlich kleinere Nationen. Wenn du heutzutage gegen Schottland nicht top performst, wirst du auch gegen Schottland nicht gewinnen.

Frage: Wie stark schätzen Sie die Vorrundengruppe mit China, Spanien und Südafrika ein?

Antworten: Es ist eine schwere Gruppe. Beim 0:0 zuletzt gegen Spanien gab es schon viele gute Dinge, obwohl unser Team so noch nie zusammengespielt hatte. China ist eine Wundertüte. Auch Südafrika kann ich noch nicht so beurteilen. Sie werden sicher am Anfang alles raushauen. Ich bin ganz froh, dass wir Südafrika erst im letzten Gruppenspiel haben. Da können wir sie im Turnier vorher noch zweimal sehen.

Frage: Aber das erste Ziel lautet doch sicher, die K.o.-Runde zu erreichen...

Antwort: Das ist natürlich der Anspruch. Aber: Wenn wir nicht Gruppen-Erster werden, haben wir schon einen starken Zweig. Dann droht im Achtelfinale Titelverteidiger USA, du machst ein tolles Spiel und verlierst am Ende vielleicht unglücklich durch einen Elfmeter. Dann kann man ja nicht sagen, es war eine schlechte WM.

Frage: Wer ist denn Titelfavorit?

Antwort: Es gibt viele Favoriten, weil es an der Spitze immer enger wird. Dazu gehören die üblichen Verdächtigen wie die USA und Gastgeber Frankreich. Man hat bei der EM in den Niederlanden auch gesehen, wie das den Gastgeber beflügeln hat. Andererseits ist der Druck im eigenen Land besonders hoch. Was ist mit Japan? Was mit Spanien, England und den Skandinaviern? Es ist eine WM, bei der viele Teams berechtigterweise sagen können, um den Titel mitspielen zu wollen. Nicht nur die USA. Deswegen wird es besonders spannend.

Frage: Spüren Sie besonderen Druck als Bundestrainerin, weil Sie hier mehr im öffentlichen Fokus stehen als in der beschaulichen Schweiz?

Antwort: Nein, das muss ich wegschieben. Für mich geht es darum, mit meinem Trainerteam, in dem wir eine hohe Qualität haben, in Ruhe mit der Mannschaft zu arbeiten. Ich bin ein positiver Mensch und will Freude und Leidenschaft vermitteln. Wenn wir diese Attribute rüberbringen und der Funke überspringt, sind wir zu guten Leistungen fähig. Aber wir müssen von dem überzeugt sein, was wir tun. Dann wird es auch funktionieren. Ich bin froh und dankbar, dass wir so eine tolle Qualität im Kader haben. Trotzdem weiß ich, dass in Deutschland viele sehr kritisch sind.

ZUR PERSON: Martina Voss-Tecklenburg ist ehemalige Nationalspielerin (125 Länderspiele/27 Tore), gewann mit der DFB-Elf vier EM-Titel und wurde 1995 Vize-Weltmeisterin. Im November 2018 übernahm die 51 Jahre alte Duisburgerin das DFB-Amt von Interimscoach Horst Hrubesch, nachdem sie sechseinhalb Jahre als Trainerin der Schweizer Frauen tätig war. Zuvor trainierte sie die Bundesligaclubs USV Jena und FCR Duisburg, mit dem sie zweimal den DFB-Pokal und den UEFA-Cup (2009) gewann. Sie ist verheiratet mit dem Bauunternehmer Hermann Tecklenburg und hat eine erwachsene Tochter (Dina) aus einer früheren Beziehung.

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