36. Rennen am Hockenheimring Verabschiedet sich die Formel 1 aus Deutschland?

Hockenheim · Zum 36. Mal gastiert die Formel 1 am Sonntag in Hockenheim. Möglicherweise ist es das letzte Rennen von Vettel und Co. auf dem Hockenheimring. Unser Autor hat sich vor Ort ein Bild gemacht.

Die Schlange steht bis weit auf den Asphalt. Unter den Sonnenschirmen sind alle Stühle besetzt. Schon in den frühen Morgenstunden macht die kleine Bäckerei in einer Seitenstraße ihr Geschäft des Jahres. Menschenmassen schieben sich durch die engen Gassen der 22000-Einwohner-Stadt. Und dennoch hat Hockenheim an diesem warmen Sonntagmorgen etwas Beschauliches.

Nur wenige Meter entfernt ein ganz anderes Bild: In einem abgegrenzten Bereich reihen sich Souvenir- und Fanshops an Burgerbuden und Getränkestände. Es riecht nach einer Mischung aus Bier und Bratfett. Die Szenerie erinnert an die Atmosphäre englischer Fußball-Spieltage. Für die Anwohner ist dieses Spektakel kein Neues. Zum 36. Mal beheimatet Hockenheim den Formel-1-Zirkus. Möglicherweise zum letzten Mal.

Die Ausrichtung ist dem Veranstalter zu teuer geworden. Bis zu 15 Millionen Euro müssen für die Lizenz bezahlt werden. Damit liegt der Grand Prix in Hockenheim noch nicht einmal im Mittelmaß. Andere Nationen kostet die Austragung 50 Millionen. Doch dort wird die Formel 1 vom Staat subventioniert – in Hockenheim ist man auf sich allein gestellt. Werbeeinnahmen kommen den Sponsoren und Veranstaltern der Rennserie zu Gute.

Durch die Eintrittsgelder lässt sich das Rennen schon lange nicht mehr refinanzieren. Gut 100 Euro kostet das günstigste Ticket, das teuerste fast 400. Dabei sind in diesem Jahr wieder mehr Fans gekommen. Alleine am Sonntag sind es 70.000 – deutlich mehr als beim letzten Heimspiel 2016. Dort kamen 57.000. Es ist der beste Besuch seit 2006. Die junge Dame hinter dem Tresen der Bäckerei kommt trotz der brummenden Klimaanlage ordentlich ins Schwitzen. Und obwohl mit Sebastian Vettel der Lokalmatador die WM-Wertung anführt, hat sich das Bild der Fans deutlich gewandelt. Dominierte in den vergangenen Jahren Ferrari-Rot oder Red-Bull-Blau, hüllt sich Hockenheim in Orange.

Viele Fans von Max Verstappen

Auf den Campingplätzen steht Wohnwagen an Wohnwagen. Die meisten tragen ein gelbes Nummernschild. Auch in den Zelten wird hauptsächlich Niederländisch gesprochen. „Wir sind wegen Max hier“, erklärt John und trinkt fröhlich aus seinem Bierbecher, den wohl jeder Daheimgebliebene sofort gegen einen Morgenkaffee tauschen würde. „Max gehört die Zukunft.“ Max Verstappen begeistert die Niederländer wie einst Michael Schumacher hierzulande.

Der polarisierende 20-Jährige füllt die Zuschauerränge der Rennstrecken – nicht nur in Deutschland. Er hat in den Niederlanden einen Boom ausgelöst. „Max wird es machen. Es ist ja fast schon ein Heim-Rennen“, sagt John lachend und geht weiter. Fast. Denn ein Heim-Rennen ist es tatsächlich für Vettel. Auch wenn er noch nie in Hockenheim gewonnen hat, verbindet ihn mit dieser Strecke etwas Emotionales: Keine 30 Kilometer entfernt ist er aufgewachsen. Und doch – so richtig warm geworden sind er und Hockenheim nicht. „Wir haben ein durchwachsenes Verhältnis“, sagt Vettel zur Strecke. „Manchmal sind wir uns so nahe und aus unerklärlichen Gründen kommen wir dann doch nicht zusammen.“

Der Heppenheimer hat es trotz seiner vier Weltmeister-Titel nicht geschafft, den Formel-1-Boom, den Michael Schumacher in Deutschland entfachte, aufrecht zu halten. Spielzeug-Boliden, Fahnen mit Konterfeis erinnern an Schumacher, der nach seinem Skiunfall 2013 aus der Öffentlichkeit herausgehalten wird. Die Formel-1-Nation Deutschland blickt wehmütig auf erfolgreichere Zeiten zurück. Mit Vettel und Nico Hülkenberg nehmen nur noch zwei deutsche Piloten am Renn-Zirkus teil, die Verantwortlichen des Nürburgrings verzichteten 2015 und 2017 auf die Austragung des deutschen Rennens, ein Platz im Rennkalender 2019 ist unwahrscheinlich. Und nun droht das Aus am Hockenheimring.

Bei der lauten Musik auf den Campingplätzen ist es kaum vorstellbar, aber: Still und leise verabschiedet sich die Formel-1 aus Deutschland. Sollten sich die Hockenheim-Veranstalter nicht mit den Verantwortlichen der Renn-Serie einigen, werden die lokalen Geschäfte auf ein anderes Event als Geld-Maschinerie hoffen müssen.

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