1. FC Köln Wolfgang Overath wird 75 Jahre alt

KÖLN · Wolfgang Overath wird 75 Jahre alt. Idol des 1. FC Köln, Taktgeber der deutschen Weltmeister-Elf von 1974 – und vielleicht der größte Spielmacher, den Fußball-Deutschland hatte: Der Siegburger ist jeden Tag dankbar dafür, dass er vom Glück verfolgt wird.

In den vergangenen Wochen hat der Vollblutfußballer Wolfgang Overath gelitten. Die Halle am Geißbockheim ist wegen Renovierung geschlossen – zum Leidwesen der Altherrentruppe, mit der er sich dort üblicherweise zum Kicken trifft. Immer donnerstags. Stattdessen hat er dann zuletzt immer Dauerläufe über fünf Kilometer gemacht. „Ohne Ball“, sagt Overath – und verzieht dabei die Miene.

Nichtstun ist nicht sein Ding. Auch in seinem 75. Lebensjahr, das Overath am Samstag vollendet. Der sportliche Lebenswandel ist ihm anzusehen, er ist schlank und rank wie eh und je. Drahtig, ein Asket. Bewegt sich im Tempo eines sportlichen Mittvierzigers. „Der Wolfgang ist topfit, achtet sehr auf seine Gesundheit. Er lebt dafür. Im Zweifel isst er dann eben lieber mal nur einen Apfel“, sagt Stephan Engels, in Mondorf wohnhafter Ex-Profi des 1. FC Köln und einer der engsten Freunde des 81-maligen Nationalspielers und Rekordspielers des 1. FC Köln (84 Tore in 409 Bundesligaspielen).

An seinem Ehrentag wird der prominente Siegburger, den jeder und der jeden freundlich grüßt, wenn er in seiner Heimatstadt über den Marktplatz geht, mit seiner genau drei Wochen vor ihm 75 Jahre alt gewordenen Frau Karin und seinen drei Kindern verreist sein. Der runde Geburtstag – diesmal ganz Familiensache.

„Das wird ein nachdenklicher Tag für mich“, sagte Overath Anfang der Woche im Gespräch mit dieser Zeitung. „Meinen Fünfzigsten habe ich mit 500 Leuten im Phantasialand gefeiert“, erinnert er, „aber den Sechzigsten und Siebzigsten schon nicht mehr“. Mit Trübsal hat das nichts zu tun. Die Lebensfreude ist dem ehemaligen Siegburger Karnevalsprinzen nicht abhanden gekommen. Doch alles hat seine Zeit.

„Ich fühle mich fit, mein Wohlbefinden ist okay, ich spüre das Alter nicht. Aber die Zahl steht trotzdem – auch wenn ich anders empfinde“, umschreibt Overath seine Gefühle. Und ergänzt: „Früher war man mit 75 ein alter Mann.“ Das lässt sich von Overath nicht gerade behaupten. Regelmäßig zweimal die Woche spielt er Fußball. Wenn die Halle am Geißbockheim in Ordnung ist. Einmal in Hennef, einmal in Köln. Zudem läuft er zweimal, jeweils samstags und sonntags eine Fünf-Kilometer-Runde durch den Wald – quasi direkt vor seiner Haustür im Siegburger Stadtteil Seligenthal.

Im sportlichen Erfolg spiegelt sich sein Charakter

Das Laufen ohne Ball fällt ihm schwer. „Nach 300 Metern frage ich mich immer: warum machst du das? Du kannst doch auch gehen.“ Macht er aber nicht. „Ich muss jedes Mal meinen inneren Schweinehund überwinden. Aber das ist wichtig im Leben“, sagt der Mann, dessen stets lodernder Ehrgeiz ihn nach seiner Fußballerkarriere auch zum erfolgreichen Geschäftsmann im Immobilienbereich hat werden lassen. Immer aus dem Antrieb, der ihm, geboren während des Zweiten Weltkrieges, als einem von acht Kindern in einer schlimmen Zeit in die Wiege gelegt wurde.

Seine Eltern mussten kurz vor Kriegsende ansehen, wie einer ihrer Söhne im Alter von 14 Jahren wegen einer Verwechslung versehentlich von Besatzungssoldaten vor dem eigenen Haus erschossen wurde. Kein Zweifel, die harte Kindheit Overaths ist ein Schlüssel zu seiner Lebensgeschichte, an deren Anfängen Deutschland in Trümmern lag. Groß war sein fußballerisches Talent, vor allem aber: unermüdlich sein Ehrgeiz.

„Das Spiel zeigt, wie der Mensch im Leben ist“, hat Overath vor ein paar Jahren mal philosophiert – und das sicherlich auch auf sich selbst gemünzt. Im sportlichen Erfolg spiegelt sich sein Charakter.

Stephan Engels war als Neunjähriger während der WM 1970 fasziniert vom deutschen Spielmacher, „der das Heft in die Hand nahm, den Rhythmus eines Spiels bestimmte“. Nach Platz drei in Mexiko wäre er 1974 im eigenen Land fast nicht an Bord gewesen, doch sein Kampfgeist siegte. Weltmeister wurde er, weil er nie aufgab.

Overath führte den Ball so elegant wie Günter Netzer. Sie waren Freunde, doch sportliche Rivalen. Gemeinsam auf dem Rasen, das ging nicht. „Weil wir beide immer jeden Ball haben wollten“, sagte Overath schon vor Jahren: „Wahrscheinlich hat es deshalb nicht funktioniert: Einer wäre immer Zweiter gewesen.“ Overaths Bilanz: Bei seinen drei WM-Teilnahmen von 1966 bis 1974 bestritt er alle Spiele (18). Wurde Zweiter, Dritter, und dann endlich Erster.

Den Geißbock trägt er tief im Herzen

„Vor der WM in Deutschland habe ich katastrophal gespielt und die Tendenz in der Öffentlichkeit war eindeutig: Netzer sollte an meiner Stelle spielen. Ich verlor mein Selbstvertrauen und wollte schon absagen“, erzählt Overath und bekräftigt: „Ein Spielmacher braucht Selbstvertrauen.“

Bundestrainer Helmut Schön zerstreute seine Zweifel mit dem Satz: „Wolfgang, wir brauchen dich.“ Die bessere konditionelle Verfassung gegenüber dem von seinem Club Real Madrid ohne hundertprozentige Fitness zum Nationalteam gekommenen Europameister Netzer gab den Ausschlag. Mit dem ersten WM-Gruppenspiel platzte der Knoten bei Overath, auch weil er „kein Fernsehen mehr geschaut und keine Zeitungen mehr gelesen hatte“.

Dann der 7. Juli 1974, das Endspiel in München: Er liest das Spiel, lenkt es – aber kämpft und rennt sich auch die Seele aus dem Leib. Franz Beckenbauer war der Kapitän der Elf, aber Overath der Taktgeber, der Regisseur des Sommermärchens 1974. Und vielleicht der größte Spielmacher, den Fußball-Deutschland je hatte. Wie es im heutigen 90-Minuten-Vollgasfußball keinen mehr geben kann. Brasilien hat ja auch keinen Rivellino oder Zico mehr.

Ein großes Ego auf dem Spielfeld – und doch ist Overath im wirklichen Leben kein Egoist. Die Zeit, in der er aufwuchs, hat auch den Charakterzug der Hilfsbereitschaft und des Teilens geprägt. „Ich habe so viel Glück im Leben gehabt, davon will ich etwas zurückgeben“, sagt er. Regelmäßig unterstützt Overath Obdachlose in Siegburg. Und den Schritt, mit seiner Frau ein (inzwischen längst erwachsenes) brasilianisches Kind adoptiert zu haben, bezeichnet er als „eine unserer besten Entscheidungen im Leben“.

Vier Jahre lang ging er nicht ins Kölner Stadion

Den Adler trug er auf der Brust, den Geißbock trug und trägt er tief im Herzen. „Das ist mein Club“, sagt Overath über den 1. FC Köln, dessen erfolgreichste Ära er prägte, anfangs noch gemeinsam mit dem anderen großen FC-Idol, dem 1954er-Weltmeister Hans Schäfer. Als Neunjähriger hatte Overath beim Siegburger SV 04 mit dem Fußball begonnen, mit 17 Jahren ging er zum FC, erzielte dessen erstes Bundesligator, wurde gleich in der Premierensaison deutscher Meister. Wie sonst nur noch HSV-Ikone Uwe Seeler ist Overath die Mensch gewordene Vereinstreue.

Deshalb taten ihm auch die Jahre so weh, in denen er nach seinem Rücktritt als FC-Präsident im Clinch mit seinem Nachfolger Werner Spinner lag. Vier Jahre lang ging er nicht ins Kölner Stadion. Seit Anfang 2017 gehört der Zwist der Vergangenheit an, Overath ist wieder Stammgast in Müngersdorf und hofft inniglich, „dass der FC wieder aufsteigt und in nicht allzu ferner Zukunft in der ersten Liga als großer Traditionsverein neben Dortmund, Schalke und den Bayern Fuß fasst“.

Mit sich und der Welt ist das Geburtstagskind im Reinen: „Wenn ich die Wahl hätte, würde ich gerne das gleiche Leben noch einmal leben. Ich habe Glück mit meiner Frau und meinen Kindern. Ich war immer auf der Sonnenseite und bin es noch“, philosophiert der fast 75-Jährige. Seine persönlichen Wünsche: „Dass die Gesundheit weiter mitspielt und es in meinem Leben so weitergeht wie bis zum heutigen Tag.“ Ziemlich sicher auch, dass die Halle am Geißbockheim nicht mehr allzu lange gesperrt ist.

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